BR-KLASSIK

Inhalt

Cantus firmus Vorhandene Melodie, die zur Grundlage einer mehrstimmigen Komposition wird

Eine einstimmige Melodie kann schön sein, doch durch Hinzufügen von weiteren Stimmen kann etwas ganz Neues entstehen: wie in den vielfältigen Cantus-firmus-Kompositionen.

Singende Mönche - Buchmalerei 13.Jh | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

"L'homme armé" ist ein Soldatenlied aus dem frühen 15.Jahrhundert, das sich einst großer Beliebtheit erfreute. "L'homme armé": "Den bewaffneten Mann muss man fürchten, überall hat man ihn rufen lassen, jeder solle sich bewaffnen mit einem eisernen Kettenpanzer."

Dieses kurze Lied wurde aber nicht nur als einstimmige Melodie gesungen, sondern auch von Komponisten als Cantus firmus verwendet, als Gerüst für eine neue, dann mehrstimmige Komposition: von Josquin Desprez, Johannes Tinctoris, von Jakob Obrecht oder von Giovanni Pierluigi da Palestrina und von Guillaume Dufay, der darüber eine vierstimmige Messe setzt. Dufay gönnt sich dabei einige Freiheiten, er ändert natürlich den Text. Er verändert den Rhythmus, ziert die Melodie aus, doch das ursprüngliche Lied ist immer noch deutlich zu erkennen in einer der Mittelstimmen der Messe, zumindest im Notenbild. Im Kyrie beginnen die drei von Dufay hinzugefügten Stimmen, ehe der Cantus firmus einsetzt. In der gesamten Messe wird die Melodie elfmal vollständig wiederholt. Dazu kommen noch kleine Varianten.

VERSCHLEIERUNG

Nicht unbedingt leicht herauszuhören ist das Soldatenlied hier; die drei neuen Stimmen haben wesentlich schnelleren Notenwerte sind viel präsenter als der Cantus firmus. Als Dufay im 15.Jahrhundert seine Missa L'homme armé" schreibt, ist die Idee des Cantus firmus Komposition bereits mehrere Jahrhunderte alt.

Die ersten Cantus firmus-Werke waren die ersten mehrstimmigen Stücke überhaupt. Zunächst schrieben die Komponisten eine zweite Stimme, die sich Note gegen Note unter der vorgegebenen Melodie bewegte, oft in Quart-, Quint- oder Oktav-Parallelen. (Damals waren die noch erlaubt.) Mit der Zeit wandelte sich der Umgang mit dem Cantus firmus, dem "festen Gesang", der dann oft sehr lang gestreckt wurde, in sehr langen Noten gesungen oder gespielt und meistens eine der tiefen Stimmen. Die anderen Stimmen dagegen waren kunstvoll ausgeziert. Musiktheoretiker Franco von Köln beschreibt es im 13.Jahrhundert so:

"zunächst findet eine vorher entstandene Melodie Aufnahme, primo addipitur cantus prius factus, qui tenor dicitur, die Tenor genannt wird, weil sie den Discant trägt und weil von ihr der Discant ausgeht - eo quod discantum tenet et ab ipso ortum habet"

VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM SPÄTBAROCK

Heute noch sehr prominente Cantus-firmus-Kompositionen sind die Werke Johann Sebastian Bachs.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 8. November 2015, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player