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Guarneri del Gesù Meisterlicher Geigenbauer mit Basteltrieb

Lange hielt sich das Gerücht, er sei ein verurteilter Mörder gewesen; manche seiner Violinen bezeichnete man deshalb gar als "Gefängnisgeigen". Aber ehrlich gesagt war Guarneri del Gesù dann doch kein Verbrecher, sondern einfach ein genialer Geigenbauer — mit vielleicht etwas eigenem Charakter...

Geige von Guarneri del Gesu | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

"Der grösste Meister aus der Familie der Guarneri und einer der grössten Geigenmacher überhaupt", so beschrieb der Kunsthistoriker Willibald Leo von Lütgendorff ihn im Jahre 1904, in seinem Buch über historische Geigenmacher. Zwar zeigen neuere Forschungen, dass die Gerüchte um einen vermeintlichen Gefängisaufenhalt Guarneris wegen Mordes ins Reich der Legende zu verweisen sind. Aber dennoch kann man ihn wohl als leidenschaftlichen und genialischen Menschen bezeichnen: Eigenschaften, die sich auch in seinen Instrumenten niederschlugen.

Geboren wurde Giuseppe Guarneri 1698 in Cremona, als jüngster Spross einer traditionsreichen Geigenbauerfamilie. Bei seinem Vater Giuseppe Giovanni dürfte Klein-Giuseppe denn auch sein Handwerk gelernt haben; doch ließ er sich auch vom etwas älteren Kollegen Antonio Stradivari inspirieren. Um etwa 1716 sind wohl seine ersten eigenen Geigen entstanden, doch ist die Zuordnung zu Vater oder Sohn in dieser Frühphase schwierig, aus der keine originalen Geigenzettel erhalten sind.

1722 heiratete Giuseppe Junior, und in den Jahren danach schien er sich mindestens zeitweise vom Geigenbau abgewandt zu haben: 1728 etwa wird er in alten Urkunden als Betreiber eines Wirtshauses genannt.

Der "del Gesù"

Als um 1730 jedoch sein Vater starb, übernahm Giuseppe dessen Werkstatt, und ab dieser Zeit kennzeichnete er seine Instrumente mit den Buchstaben IHS — den griechischen Initialen des Namens Jesu. Deshalb trug er fortan den Beinamen del Gesù, unter dem man ihn noch heute kennt.

Die Jahre bis etwa 1735 bezeichnet man als seine zweite Schaffensphase, in der seine Instrumente etwas einheitlicher waren als früher oder später. Ab 1740 setzt man eine dritte Phase an, wieder stärker dem Experiment verpflichtet.

Im Vergleich zu anderen Geigenbauern fällt also auf: Guaneri blieb Zeit seines Lebens ein Bastler. Sicher, alle etwa 150 bis 200 von ihm erhaltenen Violinen weisen einen kräftigen, vollen Klang und leichte Ansprache auf, auch bei massivem Bogendruck. Aber Wahl und Maserung der Hölzer, Farbe des Lacks, die Form und Position der F-Löcher: Diese ästhetischen Aspekte wurden im Bemühen um immer schöneren Ton ständig verändert — bis zu seinem frühen Tod 1744, im Alter von nur 46 Jahren.

Und leider, leider: Sein Wissen starb damals mit ihm. Guarneri del Gesù hatte offenbar keine Schüler. Über einige Jahrzehnte geriet er denn auch fast in Vergessenheit — bis der berühmte Niccolo Paganini 1820 eine Guarneri geschenkt bekam, die er fortan ausschließlich spielte und liebevoll als seine Kanonenvioline bezeichnete. Dies brachte den Namen del Gesús wieder in aller Munde.

Geigen sind Geldanlagen

Heute gehören seine Geigen zu den teuersten Instrumenten überhaupt — bei Auktionen werden zweistellige Millionenbeträge aufgerufen. Das sorgt leider dafür, dass sie in der historischen Aufführungspraxis kaum einen Platz finden, da sie viel zu teuer sind. Aber ohnehin sind kaum originale Guarneri-Geigen erhalten. Die meisten wurden im Laufe der Jahrhunderte umgebaut, um lauter zu klingen, Stahlsaiten auszuhalten, über ein modernes Orchester hinwegzutönen. Doch auch dies konnte ihren außergewöhnlichen Klang nicht komplett verändern. Und so kann man Willibald von Lütgendorff nur zustimmen, bei dem es heißt:

"Er ging seinen eigenen Weg und ist vollkommen unabhängig von seinen Vorgängern, ein genialer Künstler, dessen Werke denen Stradivari's ebenbürtig sind und diesen jetzt mit Recht sogar manchmal vorgezogen werden."

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 20. August 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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