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Kirchenton Urahn von Dur und Moll

Ein Kirchenton, das ist - entgegen seinem Namen - nicht etwa ein einzelner Ton, sondern eine Art Tonvorrat: Quasi der Vorgänger der modernen Tonleiter im Mittelalter. Aber davon gab es nicht nur einen, und das Ganze funktionierte auch etwas anders, als wir es von unserem modernen Dur-Moll-System kennen...

Singende Mönche | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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"Unter den Tonarten der Alten verstehet man diejenigen, die schon von den alten Griechen gebraucht wurden, und die hernach von den Griechen auf die Römer, und von diesen auf uns gekommen, und bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts allgemein ausgeübt worden sind", so heißt es im Musicalischen Lexikon des Heinrich Christoph Koch aus dem Jahre 1802. Was uns zeigt, dass das System der sogenannten Kirchentöne, über die er hier spricht - auch Modi oder Kirchentonarten genannt - noch im 19. Jahrhundert durchaus relevant war.

Die Anfänge des Systems der Kirchentonarten liegen vermutlich irgendwo im 4. Jahrhundert, in den ersten Choralgesängen der noch jungen Christenheit; der erste schriftliche Beleg für ihre bewusste Verwendung ist aus der Zeit um 800 erhalten, etwas später gab es dann auch erste theoretische Abhandlungen darüber.

Authentische Kirchentöne

Im frühen Mittelalter waren acht Modi in Gebrauch. Zuerst einmal die vier sogenannten authentischen: dorisch auf d, phrygisch auf e, lydisch auf f, und mixolydisch auf g. Diese Modi definieren sich nicht nur durch ihren Grundton - seinerzeit Finalis genannt - sondern auch durch bestimmte Eigenheiten in der Melodik: Einmal ihr Tonumfang - gewöhnlich eine Oktave über der Finalis. Dann der sogenannte Rezitationston: ein in der Melodie zentraler Ton, meist eine Quinte über der Finalis, der auch Tenor genannt wird. Und schließlich für jeden Modus eigene Melodieformeln. Für den dorischen Modus ist beispielsweise die bekannte Ostersequenz Victimae paschali laudes typisch.

Plagale Kirchentöne

Für Melodien mit vielen Tönen unter der Finalis gab es die entsprechenden plagalen Kirchentöne: hypodorisch, hypophrygisch, hypolydisch und hypomixolydisch. Dabei verschiebt sich der Tonumfang gegenüber dem authentischen Modus jeweils um eine Quart nach unten, aber die Finalis bleibt gleich. Während sich also im lydischen Ton mit der Finalis f die Melodie vor allem über dem f abspielt, liegt dieses im hypolydischen Modus eher in der Mitte der Skala. Das hört man zum Beispiel in dem noch heute bekannten Kirchenlied Nun bitten wir den Heiligen Geist sehr schön.

Aufrüstung auf zwölf Kirchentöne

 1547 wurden von dem Universalgelehrten Glareanus erstmals noch vier neue Kirchentöne beschrieben: äolisch auf a - das dann zum modernen Moll wurde -, und ionisch auf c - wie das moderne Dur. Mit hypoäolisch und hypoionisch gab es dann also zwölf Kirchentöne. Das hatte damit zu tun, dass die älteren Modi mit ihren Floskeln zwar für einstimmige Gesänge das optimale System dargestellt hatten - für die harmonisch zunehmend an Terzen und Sexten orientierte Mehrstimmigkeit der späteren Renaissance und erst recht des Barock aber nicht mehr recht brauchbar waren. So wurden die Kirchentonarten von den Komponisten immer seltener verwendet und im Laufe des 17. Jahrhunderts nach und nach durch das Dur-Moll-tonale System ersetzt.

Und übrigens: wenn Sie in der nächsten Konzertpause in bildungsbürgerlicher Gesellschaft ein bisschen angeben wollen, dann erwähnen doch mal, dass Sie im letzten Stück ganz deutlich gewisse hypomixolydische Floskeln vernommen hätten...

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 19. August 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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