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Die Motette Vokaler Dauerbrenner

Natürlich zählen die Motetten Johann Sebastian Bachs zu den schönsten Werken dieser Gattung, doch gab es auch in den Jahrhunderten vor ihm bereits beeindruckende Kompositionen, in denen geistliche Texte meisterhaft vertont sind.

Cantus Teil der Motette "Dilige, solitudinem" von Orlando di Lasso | Bildquelle: © gemeinfrei

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"Eine Motette ist ein vokales Werk mit biblischen Texten, wobei es nicht unbedingt biblische Texte sein müssen. Später werden sie auch weltlich." erklärt Gerhard Schmidt-Gaden, Leiter des Tölzer Knabenchors, für den Motetten vom Mittelalter bis in die Moderne zum täglichen Brot gehören.

ERSTE WERKE IN PARIS

Bevor Thomas Tallis allerdings im 16.Jahrhundert seine 40-stimmige Motette "Spem in alium" komponieren konnte, hatte diese Form schon knapp 400 Jahre der Entwicklung hinter sich. Ihre Anfänge lagen vermutlich im Kreis der Notre Dame-Schule in Paris, die um 1200 als internationale musikalische Avantgarde gelten konnte. Dort entstand die Motette aus Melismen im gregorianischen Choral, die rhythmisiert und mit zwei bis drei weiteren Stimmen ergänzt wurden. Eine davon "Motetus" genannt.

""Motette" kommt ja vom Wort "Mot" - das Wort, und immer ist das Sprachliche die Hauptsache. Die Kunst kommt dann erst in einem zweiten Schritt: nicht die Homophonie, sondern die Mehrstimmigkeit, die dann immer kunstvoller wurde." (Gerhard Schmidt-Gaden)

So gehören die sogenannten isorhythmischen Motetten der Ars Nova und Ars subtilior im 14.Jahrhundert zum komplexesten, was jemals für Stimmen komponiert wurde und zwar auf geistliche, aber häufig auch auf weltliche Texte.

HÖHEPUNKT IN DER RENAISSANCE

Ihre höchste Blütezeit erlebte die Motette jedoch im 15. und 16.Jahrhundert, als Komponisten wie Josquin, Dufay, Lasso oder Palestrina immer prachtvollere Werke, meist für vier bis sechs Stimmen, über einen geistlichen Text schrieben. Weltliche Staats- und Huldigungs-Motetten waren eine beliebte Abart. Allen gemeinsam war, dass für jeden Textabschnitt ein diesen oft ausdeutendes Motiv von allen Stimmen imitatorisch gesungen wurde. Häufig sind in dieser Zeit auch die Cantus firmus-Motetten, denen eine Liedmelodie zugrunde lag - nicht selten auch eine weltliche - die dann mit geistlichem Text versehen wurde.

NEUE WEGE IM BAROCK

In der Zeit um 1600 wandelte sich die Motette wiederum: nun wurden die Stimmen, manchmal auch nur eine oder zwei, häufig mit einer Generalbass-Begleitung unterlegt. Claudio Monteverdi oder Heinrich Schütz sind Komponisten, die sich diesem Modell vielfach widmet. Aber, erklärt Gerhard Schmid Garden:

"Bach ist dann schon im absteigenden Gebiet. Die Kunstform der Motette ist vielleicht unter Monteverdi und Gabrieli auf ihrem Höhepunkt."

So müssen zwar natürlich die Bachschen Motetten zweifelsohne noch einmal als besonderes Highlight der Motetten-Komposition gelten. Aber insgesamt wurden im Laufe des 18.Jahrhunderts immer weniger Motetten komponieren. Dennoch geriet die Gattung niemals gänzlich in Vergessenheit. Und gerade die a-capella-Motette erfreute sich in der Romantik wieder großer Beliebtheit, etwa bei Rheinberger, Mendelssohn oder Brahms, die in der Idee ihrer Motetten übrigens oft auf die Modelle des sechzehnten Jahrhunderts zurückgriffen. Aber das war ja nicht die schlechteste Wahl, oder?

Sendungsthema aus "Forum Alte Musik" vom 23. Januar 2021, 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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