Er stammelte, und Melodien konnte er sich nicht gut merken. Also freundete er sich mit der geschriebenen Sprache an, und so kennen wir ihn noch heute, den literarisch begabten Schweizer Mönch.
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"Notker, von Körper, nicht im Geiste schlicht, mit der Stimme, nicht in der Seele stammelnd, in göttlichen Dingen erhaben, in Widerwärtigkeiten geduldig, zu allem mild, war ein scharfer Aufseher in der Zucht der Unsrigen. Im Beten, Lesen und Dichten war er sehr fleißig." Casus monasterii Sancti Galli
Dieses Bild vom Wesen Notkers zeichnete die Chronik der Benediktinerabtei Sankt Gallen. Aus ihr spricht der Stolz des Kloster auf die Leistungen seines größten Sohnes, der schon zu Lebzeiten weit über den Bodenseeraum hinaus hochgeachtet war.
Über die Ausbildung Notkers und seiner Mitbrüder heißt es in der Chronik: "Der Lehrer Marcellus führte sie zu den sieben freien Künsten, besonders zur Musik. Diese Kunst ist ursprünglicher als die übrigen Künste und schwieriger zu erlangen, doch in ihrer Anwendung lieblicher. In ihr brachten sie es zu solcher Meisterschaft, wie sie in ihren Werken sichtbar wird." Casus monasterii Sancti Galli
Notkers Ruhm beruht auf seinen Sequenzen, den Gesängen, die in der Messe auf das Alleluja folgen und musikalisch auf dessen Schlussmelodie beruhen. Im Vorwort zu seinem "Liber Hymnorum", seinem "Buch der Hymnen", erzählt Notker, dass er sich diese langen Melodien nicht merken konnte und sie deshalb mit eigenen Texten versah. Abstrakte Töne prägen sich eben leichter ein, wenn man sie mit konkretem Inhalt verbinden kann. Ein solches Verfahren habe er in einer Handschrift aus der Normandie kennengelernt.
Bald aber entwickelte Notker aus der bloßen Merktechnik eine eigene Kunstform. Seine Sequenzen ragen literarisch weit über die seiner Zeitgenossen hinaus, sowohl in ihrer sprachlichen Dichte als auch in ihrer prägnanten Bildlichkeit: "Du, in den Seelen Leben zu zeugen, befruchtest die Wasser: du mit dem Geisthauch spendest den Menschen das geistige Wesen. Die durch Sprachen und Sitten getrennten Völker – du hast sie vereinigt, Herr, Götzendiener dem Dienste Gottes gewinnend, bester aller Lehrer du. (…) Hehrer Geist, der du heute selbst an die Jünger Christi die unfassliche und für alle Zeiten unerhörte Spende gabst – du hast diesem Tag Glorie verliehen."
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 29. September 2013, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK