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Reinhard Goebel Deutscher Geiger und Dirigent

Einst war er ein junger Wilder, der Barockmusik in atemberaubenden Tempo spielte. Heute ist er ein anerkannter Dirigent, der auch von modernen Orchestern eingeladen wird, denen er die historische Spielweise näherbringt.

Bildquelle: © Wolf Silveri

Reinhard Goebel ist eine Galionsfigur der Alten Musik in Deutschland. In seiner Person verbinden sich Musikalität, Intellekt, Neugierde, Ehrgeiz, Forscherdrang, Sendungsbewusstsein, Motivationsfähigkeit und kreative Energie zu einer einmaligen Melange. Kaum einer überblickt den Reichtum der Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts besser als er - viele vergessene Musikstücke stöbert Goebel in Bibliotheken auf.

"Bei uns hat das 17. Jahrhundert immer was von Jugendbewegung und von Blockflöte und von BDM. Es hat immer so einen Geruch dabei. Ich strenge mich seit 30 Jahren an, diesen Geruch zu vertreiben, aber es bleibt schwer."          

MUSICA ANTIQUA KÖLN

Reinhard Goebel und das von ihm 1973 gegründete Ensemble Musica Antiqua Köln haben mit ihrer Musizierlust weltweit die Ohren des Publikums geöffnet und die Geschichte des Erfolgs der Alten Musik in den vergangenen 30 Jahren entscheidend mitgeschrieben. Ihre legendäre Aufnahme der Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach etwa mit nahezu kammermusikalischer Besetzung und bis dahin nie gehörten rasanten Tempi wirkte 1986 regelrecht verstörend. Heute kommt uns diese Art des Musizierens viel authentischer vor als der damals moderne volltönende Karajan-Sound.

"Man muss ein Stück erstmal klanglich an sich vorüberziehen lassen, also es wirklich spielen, um dann zu sagen: Da entdecke ich dieses, da jenes. Das ist eine Interpretationsarbeit, die bei mir nicht am Schreibtisch läuft, wo ich sage: Da machen wir den Strich, und da die Dynamik. Sondern ich probiere es aus. Das ist einerseits eine enorme Aufgabe, das zu machen, weil es sehr viel Zeit kostet, andererseits ist es eine unglaubliche Befriedigung selbst etwas künstlerisch gelöst zu haben und nicht nachgespielt zu haben."

HERBER RÜCKSCHLAG

Relativ spät, erst mit zwölf Jahren, beginnt Reinhard Goebel mit dem Geigenunterricht. An der Musikhochschule Köln studiert er unter anderem bei Franzjosef Maier, der ihn mit der historischen Aufführungspraxis vertraut macht und hängt an der Universität Köln noch ein Studium der Musikwissenschaft an, um sich intensiver mit der Barockmusik zu beschäftigen, die er mit seinem Ensemble spielt. Die Karriere als Geiger scheint 1990 durch eine Lähmung der linken Hand beendet, doch Goebel gibt nicht auf und erlernt sein Instrument auf der anderen Körperseite neu. Oberstes Ziel von Reinhard Goebel ist es, die Musik nicht nur zu gestalten, sondern auch zu verstehen. Dabei ist er der Historie größtmöglich verpflichtet, obwohl er weiß, dass es den einzig richtigen Weg, um diese Musik zu spielen nicht gibt.

DER GUTE GESCHMACK

"Wenn bei uns, bei einer vollgriffigen Schmelzer-Sonate ein bisschen Brahms dazukommt aus Versehen, dann geht das halt nicht anders. Denn das ist eine Erfahrung, die ich in mir, die meine Kollegen in sich auch nicht abstellen können, und sich beschneiden können und sagen, dass hatte man aber im 17. Jahrhundert nicht. Was wissen wir, was man im 17. Jahrhundert gehabt hat? Das ist eine so ferne Zeit. Ich habe zwar eine Geige von 1665, also genau aus dieser Zeit der Schmelzer-Sonaten, aber die Geige kann mir nicht erzählen, wie sie gespielt werden möchte. Das muss ich schon selbst rausfinden."         

Nach dem schweren Unfall eines Kollegen löst Reinhard Goebel 2006 sein Ensemble Musica Antiqua Köln auf. Seitdem ist er als Dirigent erfolgreich, und macht moderne Sinfonieorchester mit historischer Aufführungstechnik vertraut.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 22. August 2010, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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