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Gennadij Roshdestwenskij zum 85. Geburtstag Eigenwillig, steitbar, humorvoll

Der Vater, Nikolaj Anossow, war Professor am Moskauer Konservatorium. Die Mutter, Natalja Roshdestwenskaja, war Sopranistin. Damit war fast vorgezeichnet, dass auch das Leben von Gennadij Roshdestwenskij in musikalischen Bahnen verlaufen würde. Er durchlief das, was man im 20. Jahrhundert die klassische "russische Schule" nannte: strenges, akribisches Studium, zuletzt am Moskauer Konservatorium. Trotzdem ist der Dirigent Gennadij Roshdestwenskij noch immer alles andere als ein angepasster Musiker. Am 4. Mai feierte er seinen 85. Geburtstag.

Gennadij Roshdestwenskij  | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Eigenwillig, steitbar, humorvoll

Portrait Gennadij Roshdestwenskij zum 85. Geburtstag

"Ein kleiner Rest von Unsicherheit erhöht die Konzentration," lautet ein eher ungewöhnliches Credo Roshdestwenskijs. "Das Orchester wird mir bei der Aufführung aufmerksam folgen, und die resultierende künstlerische Spontaneität ist mir lieber als eingeübte und somit in ihrer Erlebniskraft verbrauchte Routine." Mit dieser Haltung macht er sich 1980 bei den Wiener Symphonikern keine Freunde. Zwei Jahre ist der gebürtige Moskauer dort Chefdirigent, dann trennen sich die Wege, die Chemie stimmt nicht. Alle anderen bedeutenden Orchester, die Roshdestwenskij dirigiert, schätzten seine uneitle, akribische Art zu arbeiten, sein exaktes Partiturstudium, seine musikhistorische Kenntnis. Und sie leben gut mit seinem oft skurrilen, unorthodoxen Dirigierstil, ohne Pult, auch mal ohne Taktstock, wenig autoritär, eher verschmitzt, mit Understatement, gänzlich allürenfrei.

Bolschoi-Debüt mit 20 Jahren

Neben Jewgenij Mrawinskij und Mariss Jansons ist Gennadij Roshdestwenskij der wohl wichtigste und bedeutendste russische Dirigent des 20. und 21. Jahrhunderts. Früh schon weiß der junge Moskauer aus einer Musikerfamilie, dass er Dirigent werden will. Als 20-jähriger schafft er das erfolgreiche Debüt am renommierten Bolschoi-Theater, mit Tschaikowskys "Dornröschen". 1951 ist damit eine Karriere in der Sowjetunion programmiert, der Aufstieg klar. Roshdestwenskij dirigiert am Bolschoi und wird 1961 Chef des UdSSR-Radio-und-Fernseh-Sinfonieorchesters.

Einsatz für die Moderne

Gennadij Roshdestwenskij  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gennadij Roshdestwenskij | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sein Repertoire ist breit. Neben Tschaikowsky und Glasunow, Sibelius und Bruckner dirigiert er die Zeitgenossen: Prokofjew, Schostakowitsch, auch Werke von Sofia Gubaidulina, Alfred Schnittke und Edison Denissov. Das gefällt nicht allen Kulturfunktionären in der Sowjetunion. 1970 kommt es deswegen zum Bruch, der streitbare Roshdestwenskij verliert seinen Chefposten am Moskauer Bolschoi-Theater. Es wird nicht der einzige Eklat bleiben zwischen dem heimatverbundenen, aber eigenwilligen Russen und dem Sowjet-Regime. 1974 muss Roshdestwenskij auch seinen Chefposten beim renommierten Orchester des Allunions-Rundfunks der UdSSR räumen, weil er sich schützend vor 42 jüdische Musiker stellt.

Ich möchte spielen, was ich will, wo ich will und wann ich will. All diese drei Gegebenheiten fehlten zu Sowjet-Zeiten.
  Gennadij Roshdestwenskij

Unzählige Plattenaufnahmen

Gennadij Roshdestwenskij, der als Junge an der Gnesin-Musikschule Klavier gelernt und am Moskauer Konservatorium studiert hat, geht Mitte der 70er Jahre dann doch zwangsläufig den Weg in den Westen. Er bleibt zwar sowjetischer Staatsbürger - das ist seine Bedingung -, wird aber Chef des Philharmonischen Orchesters Stockholm, des BBC Symphony Orchestra, gastiert bei den Berliner Philharmonikern und dem Concertgebouw Orkest Amsterdam. Als man ihn 1982 in die UdSSR zurückholt und extra das Staatliche Sinfonieorchester des Kultusministeriums gründet, bedankt sich Roshdestwenskij auf seine Art: Rund 700 Plattenaufnahmen und über 100 Ur- und Erstaufführungen zeigen, wie unermüdlich er arbeitet und wie vertraut er mit der Musik seiner Zeit ist.

Was an zweiter Stelle nach der Musik komme, wurde Gennadij Roshdestwenskij einmal gefragt, als er schon über 70 Jahre alt war. Die Antwort: "Nichts." Und woraus er Kraft schöpfe, Ideen und Inspiration? "Wahrscheinlich aus der Musik. Ich stelle mir mit Schrecken vor, was wäre, wenn sie nicht mehr da wäre. Das wäre wohl das Ende."

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