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Gerhard Polt - Interview zum 75. Geburtstag Lachen - nur eine von mehreren Möglichkeiten

Gerhard Polt ist am 6. Mai - einen Tag vor seinem 75. Geburtstag! - zu Gast bei "Meine Musik". Eine Stunde lang stellt der Kabarettist im BR-KLASSIK-Studio Musik vor, die ihn bewegt und begeistert. Ein Gespräch über Humor, Rache in Form eines Rollmopses und die späte Opernkarriere.

Porträt des Kabarettisten Gerhard Polt | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

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BR-KLASSIK: Herr Polt, wann müssen Sie lachen?

Gerhard Polt: Das weiß ich oft selbst nicht, Gott sei Dank. Sie haben ja gesagt "wann man lachen muss". Dann ist man ja unter Zwang! Also ich würde lieber freiwillig lachen und nicht lachen müssen. Lachen ist ja auch nicht unbedingt eine Qualität für sich, sondern nur eine von mehreren Möglichkeiten. Da gibt es ja auch vom Karl Valentin die Geschichte über die verschiedenen Arten des Lachens – sehr gedehnt oder schallend. Ein wunderbares Stück!

BR-KLASSIK: Wir feiern mit Ihnen den 75. Geburtstag, zum Glück sind Sie voller Energie und voller Angriffslust. Was haben Sie eigentlich früher gedacht, wie lange Sie das alles machen würden?

Gerhard Polt: Ich hab da überhaupt nichts gedacht. Es passiert eh alles und kommt auf einen zu – im Positiven und im Negativen.

Gerhard Polt zu Gast bei "Meine Musik"

Der Kabarettist im Gespräch mit Annika Täuschel
Samstag, 6. Mai 2017, 11.05 Uhr bei BR-KLASSIK im Radio

BR-KLASSIK: Wenn man sich gerade die Kabarett-Szene anschaut: Dieter Hildebrand ist tot und fehlt uns noch immer, Georg Schramm hat sich entschieden, in Rente zu gehen, Volker Pispers hat sich eine unbestimmte Auszeit genommen – also es sind ein paar, die von ihrem Beruf auch ausgelaugt sind oder ernüchtert, dass sich wenig tut. Kennen Sie diese Gefühle auch oder waren Sie immer immun dagegen?

Gerhard Polt: Relativ immun. Es gibt verschiedene Gründe, eine Karriere niederzulegen, familiäre oder krankheitsbedingte, aber ich hatte das nie. Ich war immer umgeben von Menschen, die sehr aktiv, lustig, neugierig sind und der Welt zugetan – wie zum Beispiel meine Freunde, die Well-Brüder. Da muss ich nicht als "Loamsiada" sagen: "Ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr und verzieh mich." Wenn’s einen erwischt, erwischt’s einen. Und dann ist’s eh aus.

Die Menschheit ist ein Universum und unerschöpflich.
Gerhard Polt

BR-KLASSIK: Neben der Umgebung gibt es aber ja auch eine intrinsische Motivation, warum man etwas macht. Ist das eher, dass Sie den Finger in die Wunde legen können, ist es Humor als Ventil, oder ist es auch ein bisschen das Kind im Erwachsenen, das durchkommt?

Gerhard Polt | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gerhard Polt: "Lachen ist ja nicht unbedingt eine Qualität für sich, sondern nur eine von mehreren Möglichkeiten." | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gerhard Polt: Wahrscheinlich spielt das eine Rolle, dass man Gott sei Dank noch ein bisschen kindisch geblieben ist. Und dann: Es gibt Dinge, die erlebt man, die sind erzählenswert – und dann erzähle ich sie gerne. Warum auch nicht? Da prüft man: Muss man es wirklich erzählen oder behält man es für sich? Aber es gibt so viele kleine Dinge im Leben, die erzählenswert sind: Begegnungen in der U-Bahn, im Wartezimmer vom Arzt oder wo auch immer. Die Menschheit ist ein Universum und unerschöpflich. So lange es die Menschen gibt, und man gern zuhört und mit den Menschen redet, erfährt man viel. Und manches kann man dann erzählen.

BR-KLASSIK: Musik ist Sprache, und Sprache Musik. Sie können viele Sprachen: Hochdeutsch, Bairisch, Schwedisch, Italienisch, Englisch. Funktioniert Ihre Art von Humor auch auf Nicht-Bairisch?

Gerhard Polt: Ich weiß es nicht genau. Aber zum Beispiel: Dadurch, dass ich mich einigermaßen auf Italienisch ausdrücken kann, hab ich den letzten Papst, den Ratzinger, nachsprechen können. Ich konnte ihn auf Italienisch imitieren. Ich fand das sehr lustig. Der spricht ja nicht schlecht Italienisch, aber halt mit einer bestimmten Tonlage, die wiederum ganz eigen ist. Und als ich das Italienern vorgeführt habe, fanden die das auch sehr komisch, weil das Klangbild, das er hinterlässt, für die Leute reizvoll war.

BR-KLASSIK: Das ist Ihnen ja auch in diesem Fall wirklich gut gelungen, da haben nicht nur die Italiener laut gelacht.

Gerhard Polt: So wie der Mensch einen Daumenabdruck hat, hat auch jede Stimme was eigenes. Und es gibt Stimmen, die können einen nur vom Hören zum Lachen bringen.

Schadenfreude ist für ein Kind eine unheimlich befriedigende Sache.

BR-KLASSIK: Ich möchte mit Ihnen gern über das Thema Rache sprechen, denn da muss ich an zwei Momente aus Ihrem Leben denken. Einmal sind Sie zur Bank und wollten ungarische Forint umtauschen, und der Bankangestellte war blöd zu Ihnen. Dann haben Sie dem einen Rollmops in die Fußleiste geklemmt. Was hat Ihnen dabei am meisten Spaß gemacht?

Gerhard Polt: Einfach die Fantasie und die Vorstellung, dass man jemandem einen Streich gespielt hat. Also das schöne Wort "Schadenfreude" – übrigens ein Wort, das es nicht in allen Sprachen so gibt. Schadenfreude ist für einen Jugendlichen oder ein Kind eine unheimlich befriedigende Sache, wenn er einem bösen Nachbarn einen Streich spielt. Man lässt die Fantasie spielen: Wie rutscht der aus? Wie fällt ihm das auf den Kopf? Wie stinkt das dann bei dem? Es gab ja auch einen Markt für Scherzartikel, um anderen Leuten nicht unbedingt einen schweren Schaden zuzufügen, aber sie doch irgendwie zu beeinträchtigen in ihrem Tageslauf. Und das ist wunderbar! Manchmal habe ich das Gefühl – wissen tu ich es nicht –, dass das heute ein bisschen fehlt. Die Kinder sind so behütet und werden so beaufsichtigt, dass sie dazu kaum mehr Zeit und Gelegenheit haben. Und ich muss sagen: Die Schule lehrt es einen nicht, wie man sich ventiliert als Kind, und wie man einem Erwachsenen halt auch einmal einen Streich spielen kann.

BR-KLASSIK: Es gibt einen anderen Rache-Akt, den haben Sie öffentlich vollzogen: 1980 bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises, wo Sie acht Minuten lang im ZDF geschwiegen haben – oder besser: über das Schweigen philosophiert haben. Das ist ja auch eine subversive, aber auch eine kalkulierte Antwort. Sie haben ja auch über das Geld geredet, was das kostet. Das war auch mutig, wäre heute vielleicht gar nicht mehr denkbar. Wann ist in Ihnen die Idee gereift, das zu machen?

Gerhard Polt | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Ich sag nix mehr, weil sonst wird’s zu lang." | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gerhard Polt: Erstmal fand ich es schon komisch, ich fühlte mich in einer gewissen Weise damals bedroht, weil mir der Redakteur gesagt hat: Ich sollte in dem, was ich sage, den Namen Old Schwurhand – das war nach der Spielcasino-Affäre die Bezeichnung für den Innenminister Zimmermann – nicht verwenden. Sonst würde die Sendung zu lang, hieß es. Und das fand ich einfach komisch, absurd. Und dieses "zu lang", dass eine Sendung zu lang ist, weil etwas drin ist, was man nicht sagen soll, das hat mich dazu motiviert zu überlegen, was ist Länge? Wann wird es zu lang? Und das führte dann eben dazu, dass ich geschwiegen habe und gesagt habe, ich sag nix mehr, weil sonst wird’s zu lang.

BR-KLASSIK: Man kann den Ausschnitt noch auf YouTube sehen, ich empfehle das jedem, denn es ist ein Lehrstück in Aufrichtigkeit. Wie haben Sie denn diese acht Minuten selber erlebt? Kam Ihnen das länger oder kürzer vor? Oder total absurd dann in diesem Moment?

Gerhard Polt: Wenn ich heute drüber nachdenke, ich glaube schon, das war sehr anstrengend, diese Zeit durchzustehen. Aber umgekehrt war ich ja beseelt von dem Gedanken, das zu tun. Also habe ich’s gern gemacht, und da war dann dieses Gefühl, vielleicht auch etwas kindlich, sich zu rächen.

BR-KLASSIK: Außer, dass Sie noch bekannter wurden, hat das damals irgendwelche Folgen gehabt?

Gerhard Polt: Ja. Das hatte die Folge, dass ich ab da eine persona non grata im ZDF war. Und das ist eigentlich, wie ich gehört habe, erst vor ein paar Jahren gelöscht worden.

BR-KLASSIK: Muss im Humor auch immer etwas Schmerz drin sein?

Gerhard Polt: Ich glaube, dass man eine gute Komödie ohne Tragik schwer schreiben kann.

BR-KLASSIK: Und wie sehr muss man das lieben, was man karikiert?

Gerhard Polt: Ich glaube, man ist sehr gut beraten, wenn die Zuneigung stark ist, denn nur über die Zuneigung kann man Dinge klarer sehen. Wenn Sie aus Wut oder Hass oder totaler Abneigung etwas machen, übersieht man mehr. Und die Lächerlichkeit ist ja etwas Menschliches, Gott sei Dank. Wenn der Mensch nicht mehr lächerlich wäre, dann wäre das fürchterlich. Und das ist ja auch eine Gnade, dass man lächerlich sein kann – für andere.

BR-KLASSIK: Lächerlich ist eine gutes Stichwort für Ihre Arbeit, aber manches geht ja auch darüber hinaus und ist auf einer zweiten Ebene echt garstig. Beispiel: "Mai Ling" – da sitzen Sie da auf dem Sofa, neben Ihnen die Mai Ling, die Sie bestellt haben, und Sie reden über diese Frau wie über ein Stück Papier oder einen Hund, und wir lachen uns kringelig, es ist immer wieder unglaublich gut, obwohl es ja eigentlich wirklich ziemlich schlimm ist, was die Figur da mit ihr macht.

Gerhard Polt: Ich glaube, dass viele Menschen – man selbst auch – in gewisser Weise unschuldig sind. Wenn Sie Kinder sehen, wie die Tiere quälen, dann tun sie es ja nicht nur, weil sie Sadisten sind, dazu fehlt ihnen ja der Hintergrund. Aber sie sind ganz gemein zu Tieren. Und es gibt Menschen, die sind auch unschuldig, und die mobben andere, gehen auf andere los, und merken im Endeffekt gar nicht genau, was sie zerstören. Diese Unschuld, die müssen Sie Menschen als Kredit geben.

Wirklich etwas beobachten, diese Kontemplation, das ist ein Gut, das die Menschen früher mehr hatten als heute.
Gerhard Polt, Kabarettist

BR-KLASSIK: Können Sie eigentlich noch unterwegs sein in der Öffentlichkeit und nicht beobachten?

Gerhard Polt | Bildquelle: picture-alliance/dpa / Tobias Hase "Ich glaube, dass ich die meiste Zeit nicht beobachte." | Bildquelle: picture-alliance/dpa / Tobias Hase Gerhard Polt: Ich glaube, dass ich die meiste Zeit nicht beobachte. Das Leben bindet einen ja auch: Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht hinfallen, Sie brauchen beim Autofahren ständige Konzentration – und dann kommt heute noch etwas hinzu: dass die Ablenkungsmechanismen so groß sind, die einem eh schon immer weniger Raum lassen, um in Ruhe und Gelassenheit etwas zu beobachten. Auch beim Hören: In der Stadt ist es so laut, dass es schon schwierig ist, einen Spatz pfeifen zu hören. Und in der Nacht ist es so hell, dass Sie die Sterne kaum mehr sehen. Die Beobachtungsmöglichkeiten reduzieren sich durch die knappe Zeit und die Schnelllebigkeit, sodass man nurmehr etwas „erhascht“. Wirklich etwas beobachten, diese Kontemplation, das ist ein Gut, das die Menschen früher mehr hatten als heute.

BR-KLASSIK: Sie haben ja dem Medium Fernsehen ein bisschen den Rücken gekehrt. Ist es nicht mehr das richtige Medium? Oder das falsche Publikum, die falsche Welt?

Gerhard Polt: Nein, das würde ich so nicht sagen. Fernsehen ist das, was es ist, aus. Natürlich ist Fernsehen heute etwas ganz anderes als damals, als es zwei oder drei Sender gab. Loriot hat mal gesagt: Es ist für ihn ein Problem, wenn er sich sehr viel Mühe gibt, und dann konkurriert er mit einem Fußballspiel. Aber das ist nicht mein Problem, und ich habe auch nichts gegen Fernsehen, würde es nie ausschließen, Fernsehen zu machen. Nur die Frage, die mich natürlich beschäftigt, ist: Wenn, dann möchte ich mir die Zeit und Konzentration nehmen, etwas zu machen, selber die Aufmerksamkeit bringen und mir überlegen: Was erzähle ich? Und das gut erzählen. Und man sollte sich klar sein, in welchem Medium ist welche Geschichte am besten aufgehoben.

Vielleicht ist das ein schönes Erlebnis, wenn man sein Leben als Amphibie in der Oper ausklingen lässt.

BR-KLASSIK: Die Welt ist im Moment in ziemlicher Aufruhr, könnte sein, dass die Zeiten schlechter werden – was auch immer man darunter versteht – oder zumindest turbulenter oder etwas weniger friedlich. Trump, Putin, Le Pen, Brexit – man kann viele Themen nennen. Sie beobachten das, da bin ich mir ganz sicher. Beunruhigt es Sie? Und was davon würden Sie auch auf die Bühne bringen?

Gerhard Polt: Da gibt es verschiedene Ansätze, die ich da hätte. Zum einen, ja, es stimmt, es ist beunruhigend, was da passiert. Also wenn ich mir überlege, dass da in Nordkorea einer ist, der mit Atombomben Versuche macht, und solche Dinge … jede Form von Apokalypse ist denkbar. Aber wenn das Unabwendbare käme – es gibt ja schon bei den Stoikern eine Haltung, die man lernen könnte, nämlich dass man sagt, worauf man keinen Einfluss hat, das soll man auch nicht beeinflussen wollen. Es ist schon so, man kann nichts machen, ich kann nur jeden Tag was lesen, aber ich habe ja persönlich keinen Einfluss. Und das einzige, was man machen kann, ist, dass man mit Menschen – Freunden oder auch anderen Leuten – darüber redet. Das ist eine Art der Erleichterung. Und das gehört auch zur Kultur, dass man über diesen Trump – oder wie sie alle heißen – redet oder auch schimpft. Ich sehe zum Beispiel besonders meine italienischen Freunde, die über die Verhältnisse in ihrem Land äußerst unzufrieden sind, furchtbar schimpfen und sich noch viel mehr erregen als bei uns. Aber anschließend essen sie eine Riesenportion Spaghetti und fallen wieder ruhig in sich zusammen.

BR-KLASSIK: Lassen Sie uns noch kurz vorausschauen auf Ende dieses Jahres. Silvester 2017 haben Sie was vor, das Sie bislang noch nicht gemacht haben: Sie werden den Frosch in der „Fledermaus“ an der Bayerischen Staatsoper geben.

Gerhard Polt: Ich bin dazu, vorsichtig gesagt, sehr ermuntert worden. Der Herr Bachler hat gesagt: "Polt, wann Sie den Frosch noch nicht gespielt haben, dann haben Sie Ihre Karriere noch nicht beendet." Naja, warum nicht? Vielleicht ist das ein schönes Erlebnis, wenn man sein Leben als Amphibie in der Oper ausklingen lässt.

Das Gespräch führte Annika Täuschel für BR-KLASSIK.

Sendung: "Meine Musik" am 6. Mai 2017, 11.05 Uhr

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