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Interview mit Anne-Sophie Mutter "Man lernt auch aus den schwierigen Zeiten!"

Am 2. April ist Anne-Sophie Mutter zu Gast in der BR-KLASSIK-Sendung "Meine Musik": Die Geigerin spricht anlässlich ihres 40-jährigen Bühnenjubliäums über Besonderheiten des klassischen Konzertpublikums und den geplanten neuen Konzertsaal in München.

Geigerin Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: DG/Harald Hoffmann

Bildquelle: DG/Harald Hoffmann

Ich finde, man sollte sich erlauben, lockerer und emotionsgeladener auf Musik zu reagieren.
Anne-Sophie Mutter

BR-Klassik: Vor 40 Jahren haben Sie bei den Luzerner Festwochen Ihr offizielles Konzert-Debut gegeben. An einem Konzerterlebnis wirken ja irgendwie auch die Zuhörer mit. Was hat sich seither bei Ihrem Publikum am meisten verändert?

Anne-Sophie Mutter: Ein Konzert ist ein Dialog: Die Stille, Konzentration und Aufmerksamkeit, die einem entgegengebracht werden, sind tatsächlich Teil des musikalischen Geschehens. Mein erstes Konzert gab ich übrigens schon mit sechs Jahren! Und schon da ist sehr deutlich geworden, dass das Publikum auf die Interpretation Einfluss nimmt. In diesem Fall war es leider ein sehr negativer, denn bei einem dieser kleinen Konzerte saß eine Dame mit goldenem Schuhwerk in der ersten Reihe. Damals hatte ich noch nicht genügend Erfahrung, um das Licht im Saal abdunkeln zu lassen. Aber seit ich von diesen goldenen Schuhen abgelenkt wurde und auch eine Ehrenrunde in meiner Etüde drehen musste, weil ich den Faden verlor, liebe ich die Dunkelheit, die mich umfängt. Die Sinne sind dann umso gespannter auf das gerichtet, was man hört und empfindet, nicht auf das, was man sieht. Daraus habe ich zwei Schlüsse gezogen: Ich liebe Schuhe. Und es muss im Saal dunkel sein. (lacht)

Geigerin Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: Stefan Höderath / DG Anne-Sophie Mutter im Club "Neue Heimat" in Berlin. | Bildquelle: Stefan Höderath / DG

Klassische Musik ist nicht zuletzt durch Nichtexistenz in den Medien als Kulturgut der empfindlichsten Sorte überstilisiert worden und im Elfenbeinturm verschwunden. Deshalb ist auch fast jegliche Regung des Publikums aus den Konzertsälen verschwunden. In der Oper oder im Ballett erlebe ich ein ganz anderes Publikum. Im klassisch-symphonischen oder auch im kammermusikalischen Repertoire treffe ich dagegen auf unglaublich gebildete, oft auch neugierige Zuhörer, die sich extrem gut benehmen. Natürliche Impulse werden unterdrückt. Meine Kinder, meine Freunde und ich werden oft schwer gerügt, wenn wir Standing Ovations anzetteln. Da gebe es Regeln, man dürfe da nicht einfach aufspringen und anderen die Sicht versperren. Ich finde, man sollte sich erlauben, lockerer und emotionsgeladener auf Musik zu reagieren.

Spontane Reaktionen erlaubt

BR-Klassik: Ist bei Ihnen Klatschen zwischen den Sätzen erlaubt?

Anne-Sophie Mutter: Es gibt Werke, bei denen sich die Spannung durch die musikalische Aussage ungebremst entlädt, beispielsweise nach dem ersten Satz des Tschaikowsky-Violinkonzerts. Das empfinde ich als ganz natürlich.

BR-Klassik: Gehen wir nochmal zurück zu der kleinen Anne-Sophie. Damals hieß es, Sie seien ein Wunderkind. Wie haben Sie darauf reagiert?

Anne-Sophie Mutter: Mein Vater war Journalist. Deshalb habe ich früh gelernt, das, was geschrieben wird, in realistische Relation zum privaten Leben zu setzen. Ich habe diese Artikel damals mit halbem Ohr mitbekommen, aber es hat mich wenig interessiert. Dass ich ein Kind war, wusste ich. Das mit dem Wunder fand ich irgendwie komisch. Später hat es mich eine Weile irritiert, weil man sich als Teenager auch mit den Lebensgeschichten von Kollegen befasst. Man hat mir oft im Interview drohend mitgeteilt, jetzt sei es mal Zeit für die Krise. Als ich 30 war, war es dann Zeit für die Erwachsenenkrise. Mit 40 sollte die Alterskrise kommen. Und mit 50 war es ein Wunder, dass ich mich noch bewegen konnte. Das kann man nicht ernst nehmen. Jedes Leben folgt einer anderen Logik und einem anderen Tempo. Natürlich gab es auch in meinem Leben schwierige Jahre. Aber man lernt aus den Erfahrungen, auch aus den schwierigen Zeiten. Wichtig ist, wie man sich aufrappelt und was man daraus für sich an Kraft generieren kann.

BR-Klassik: Bei vielen Künstlern, die früh starten, etwa bei Yehudi Menuhin, ist das Erwachsenwerden die schwierigste Phase. Weil man sich da auf einmal seiner selbst bewusst wird. Wie in der Geschichte vom Tausendfüßler, der plötzlich anfängt, darüber nachzudenken, welche Beine er hochheben muss…

Anne-Sophie Mutter: Wie gut, dass man als Geiger nur mit zehn Fingern arbeiten muss, sonst würde es wirklich schwierig. (lacht)

Abschotten kann nicht gut gehen

BR-Klassik: Es sind ja noch ein paar andere Muskeln beteiligt...

Anne-Sophie Mutter: …und das Hirn spielt auch noch eine gewisse Rolle. Ich habe in der Arbeit für meine Stiftung immer wieder festgestellt, dass junge Frauen beim Erwachsenwerden mit der Realität des Lebens etwas leichter umzugehen scheinen. Vielleicht, weil wir Mütter dazu neigen, unsere Söhne mehr als unsere Töchter zu verwöhnen. Menuhin hatte extreme Probleme als junger Erwachsener. Er sagte ja auch mit 22, er sei noch nie alleine über eine Straße gegangen. Ich weiß nicht, wie wahr das ist. Aber dieses Abschotten, ach Gott, du bist so begabt, du musst das nicht machen und Mama richtet es und später richtet es die Ehefrau - das kann nicht gut gehen. Frauen sind einfach Multitasker, die waschen zu Hause die Wäsche und…

BR-Klassik: …das hören viele Frauen aber nicht so gerne.

Anne-Sophie Mutter: Beide sollen Wäsche waschen.

BR-Klassik: Frau Mutter, Sie haben immer mal wieder der Musikwelt Sorgen gemacht mit der Ankündigung, Sie dächten darüber nach, sich vom Konzertleben zurückzuziehen.

Anne-Sophie Mutter: Deshalb sage ich gar nichts mehr dazu, sondern werde einfach eines Tages aufhören. Abschiedstourneen finde ich überflüssig.

Wenn jetzt der neue Münchner Konzertsaal sehr schnell käme, dann würde sich die Chance etwas vergrößern, dass ich nicht in zwei, drei Jahren aufhöre.
Anne-Sophie Mutter

BR-Klassik: Was müssen wir tun, um Sie solange wie möglich auf der Bühne zu halten?

Anne-Sophie Mutter: Also wenn jetzt der neue Münchner Konzertsaal sehr schnell käme, dann würde sich die Chance etwas vergrößern, dass ich nicht in zwei, drei Jahren aufhöre, sondern … Aber ich kann ja dann vielleicht, so Gott will, ich noch lebe und anständig spiele, für den neuen Konzertsaal nochmal aus der Versenkung auftauchen.

Architektur und Akustik sind entscheidend

BR-Klassik: Sind Sie mit dem Ergebnis der Standortsuche zufrieden?

Anne-Sophie Mutter: Ich habe mir das Werksviertel angeschaut, ich hatte eine ausführliche Tour mit dem Besitzer, Werner Eckart. Endlich ist eine Entscheidung gefallen! Es gibt eine Anbindung an das pulsierende Leben, Restaurants, Clubs, Bürohäuser und Hotels. Aber letztlich zählt natürlich nur, ob es architektonisch ein Wurf wird. Wenn ich an Australien denke, dann denke ich als Künstler zuallererst an die Architektur des Opernhauses von Sydney. Wenn uns so etwas in München gelänge, wäre das nicht nur ein Riesengewinn für Stadt und Land, sondern auch eine wunderbare Verbeugung vor unserer jahrhundertealten Kultur, die international so eine großartige Brücke ist. Ich denke an die 80er-Jahre, als ich in die Sowjetunion reiste oder dann sehr früh nach China. Was hatte man im Gepäck? Beethoven, Brahms. Diesen Schulterschluss, diese Schiller'sche Idee der Verbrüderung wurde im positiven Sinne regelrecht benutzt, um bei politischen Gesprächen ein Klima des Goodwill zu kreieren. Ich finde, wir müssen jetzt über uns selbst hinauswachsen. Dieser Konzertsaal muss eine Verneigung vor diesem großen Kulturerbe werden. Und dann ist natürlich die Akustik entscheidend.

Das Interview führte für BR-KLASSIK Bernhard Neuhoff.

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