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Martha Argerich zum 75. Geburtstag Verletzliche Tastenlöwin

"Eine Wilde, eine Verrückte, nicht leicht zu behandeln und immer ein Risiko-Faktor". Friedrich Gulda sagte das über seine ehemalige Schülerin Martha Argerich. Ihr Agent meinte, Argerich habe alles dafür getan, ihre Karriere zu ruinieren, aber es sei ihr nie gelungen. Und Arturo Benedetti Michelangeli klagte einst, sie sehe den Ton nicht als gottgegeben an.

Die Pianistin Martha Argerich | Bildquelle: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Bildquelle: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Alle reden über Martha. Aber wer ist die 1941 in Buonos Aires zur Welt gekommene Pianistin wirklich? Wer ist die "Löwin am Klavier", wie ihr Biograf Olivier Bellamy über sie titelt? Kaum jemand weiß es. Denn die Ikone des Klaviers ist scheu. Soloabende spielt sie schon lange nicht mehr. Veranstalter fürchten sich vor der Künstlerin, die im Vorfeld nie einen Vertrag unterschreibt und der der Ruf vorauseilt, das Risiko sei groß, sie könnte womöglich kurzfristig absagen. Journalisten haben es längst aufgegeben, sie um ein Interview zu bitten. Denn sie bleibt schweigsam - schon seit Jahrzehnten. Ihre Sprache ist die Musik.

"Ich bin ungern eine Pianistin"

Martha Argerichs ehrgeizige Mutter hatte das hochbegabte Kind einst dem genialen österreichischen Pianisten Friedrich Gulda vorgestellt. Der unterrichtete die junge Südamerikanerin kostenlos. Und konstatierte, dass er ihr schon als sie zwölf Jahre alt war, nichts mehr beizubringen wusste. Sie konnte ja schon alles. 1957 gewann Martha Argerich die Klavierwettbewerbe von Bozen und Genf. 1965 erspielte sie beim Chopin-Wettbewerb in Warschau den Sieg. Möchte man da glauben, "La Martha", wie sie von ihren Freunden genannt wird, habe noch immer vor jedem Auftritt höllisches Lampenfieber?

Martha Argerich | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

"Bloody daughter"

Doku über die Pianistin Martha Argerich

Stéphanie Argerich, Marthas jüngste Tochter, hat vor ein paar Jahren einen Dokumentarfilm über ihre Mutter gedreht. "Bloody daughter" heißt er. Dort sieht man, wie Argerich vor einem Konzert kurz davor ist, alles stehen und liegen zu lassen und abzuhauen, wie sie beinah auf die Bühne geschubst werden muss. Und wie sie dann spielt: ungezügelt, lodernd, selbstvergessen. Und wie glücklich sie den Erfolg genießt, wenn sie von der Bühne zurückkommt. "Ich liebe es sehr, Klavier zu spielen. Aber ich bin ungern eine Pianistin. Und ich möchte nur spielen, wenn ich in der Stimmung bin." So wird Martha Argerich zitiert. Karrieredienlich ist diese Einstellung freilich nicht. Doch das Publikum hat ihr ihre Marotten erstaunlicherweise nie nachgetragen. Vielleicht, weil hinter der Fassade von unergründlicher Sphinx, pianistischer Höllenhündin und  demütiger Hohepriesterin der verletzliche Mensch zum Vorschein kommt - das zwiespältige, rätselhafte Wesen, ohne das all ihre Kunst nicht möglich wäre.

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