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250 Kompositionen fürs Klavier Pianistin sammelt Töne zu Beethovens Geburtstag

Im Jahr 2020 feiert die Musikwelt Beethovens 250. Geburtstag. Für die Pianistin Susanne Kessel der richtige Anlass, um ganz groß zu denken: Die Bonnerin lässt von 250 Komponistinnen und Komponisten 250 Stücke schreiben. Alle Werke erscheinen in Notenbänden und auf CD.

Pianistin Susanne Kessel | Bildquelle: © David Kremser

Bildquelle: © David Kremser

BR-KLASSIK: Ihre Liebe zu Beethoven muss sehr groß sein – so viel Kraft, Zeit und Lebensenergie, wie Sie in dieses Projekt reinstecken.

Susanne Kessel: Ich glaube, dass die Liebe zu Beethoven überall recht groß ist. Ich bin Bonnerin, schon in der vierten Generation. Ich bin also wirklich sehr verankert in der Geburtsstadt Beethovens, aber eigentlich habe ich gemerkt, dass in fast jedem Land der Welt, in dem ich bisher Komponisten angesprochen habe, diese Liebe zu Beethoven mehr oder weniger sehr aktiv und brennend ist.

BR-KLASSIK: 250 Komponistinnen und Komponisten bringen Sie in Ihrem Projekt zusammen. Welche war denn der Erste, den Sie angesprochen haben?

Susanne Kessel: Der Allererste war Dennis Kuhn, ein Schweizer Komponist und Perkussionist. Er leitet das Mannheimer Schlagwerkensemble und ist ein enger Freund von mir. Ich habe ihm von dieser Idee erzählt und er hat mir so viel Mut gemacht, er fand die Idee großartig und hat mich sofort unterstützt, indem er das erste Stück abgegeben hat: "Ludwig’s Harp", das ich dann 2013 direkt uraufgeführt habe.

Sendung Horizonte am 17.01.2017

22.05 Uhr auf BR-KLASSIK zum Mammutprojekt "250 piano pieces for Beethoven" von Susanne Kessel

BR-KLASSIK: Jedes der Stücke stellt Sie vor andere, vor neue Herausforderungen. Wer hat Sie denn bisher am meisten überrascht?

Susanne Kessel: Also, da muss ich natürlich jetzt diplomatisch sein, das werde ich bis zum Ende des Jahres 2020 nicht verraten. Das habe ich mir auferlegt, ich habe keine Lieblingsstücke.

Mensch, das ist eine Ehre, dass ich aus Bonn zum 250. Geburtstag eingeladen werde, ja, natürlich, schreibe ich was!
Mike Garson

BR-KLASSIK: Schade! Dass ich Sie da nicht kriege!

Susanne Kessel: Es gibt natürlich bestimmte Zusagen, die mich berühren. Bisher haben ausnahmslos alle Komponisten sofort ja gesagt, oder haben gesagt: "Ich kann gerade nicht, aber in drei Jahren kann ich ja immer noch abgeben." Aber was ich besonders aufschlussreich fand: Ich habe den Keyboarder und Arrangeur von David Bowie dabei, Mike Garson, der ist im Notenband 2 vertreten. Und als ich ihn kontaktierte - das war diese Zeit kurz nach David Bowies Tod - gab es gerade einen riesigen Hype: Garson wurde ständig angesprochen, er war schließlich der engste Musiker um David Bowie, er hatte ihn 40 Jahre lang in der Band begleitet. Aber als ich ihn anfragte hat es keine fünf Minuten gedauert, bis er zurückmailte und sich wahnsinnig geehrt fühlte. Er sagte, für Beethoven würde er das sehr, sehr gern machen, und Beethoven würde ihn schon von Kindheit an begleiten. Das öffnet einem natürlich Horizonte, mir war das theoretisch vorher schon klar, dass alle Genres von Beethoven irgendwie inspiriert sind, und auch Pop-Musiker und Stars. Aber ich war trotzdem überrascht, dass so jemand sagt: "Mensch, das ist eine Ehre, dass ich aus Bonn zum 250. Geburtstag eingeladen werde, ja, natürlich, schreibe ich was!" Und zwei Wochen später kam ein wunderschönes Stück über die "Pathétique", eine Jazz-improvisation. Und das macht mich natürlich mutig, die abseitigsten Komponisten einzuladen.

BR-KLASSIK: Bei ihrem Projekt liegt der Schwerpunkt auf der Neuen Musik, sie haben aber Komponisten aus den Bereichen Jazz, Filmmusik und Pop eingeladen ...

Susanne Kessel: Ja, zum Beispiel auch Helmut Zerlett, der durch die Harald Schmidt Show bekannte Keyboarder und Bandleader, der aber auch ein hervorragender Filmmusikkomponist ist. Mit ihm arbeite ich schon seit mehr als zehn Jahren zusammen. Wir haben schon einige John Cage-Programme zusammen gemacht, was auch immer wieder erstaunlich war, weil jeder von uns einen ganz eigenen Background hat. Jedenfalls hat Helmut Zerlett ein Stück über die "Mondscheinsonate" für das Projekt komponiert: "Moon in C sharp minor".

BR-KLASSIK: Die musikalische Bandbreite Ihres Projekts ist sehr groß, sehr international. Da gibt's klassisch-zeitgenössische Komponisten wie York Höller, Moritz Eggert oder Dietmar Bonnen. Und dann aber auch unbekanntere Namen. Wie kommen Sie auf die Komponisten? Finden Sie sie im Internet?

Susanne Kessel: Ich suche Berufskomponisten in verschiedenen Bereichen: Film, Jazz, neue Musik, Pop. Es geht darum, dass diese Komponisten in ihrem Gebiet relevant sind und etwas weitertreiben. Dafür gucke ich im Internet, ich höre mir Sachen auf Soundcloud oder bei Youtube an, und ich frage natürlich auch die Komponisten, die schon dabei sind, ob sie mir jemanden empfehlen können. Es geht nicht um meinen Geschmack, sondern darum, was derjenige in seinem eigenen Umfeld erreicht hat. Zum Beispiel ist William Kinderman mit dabei, der eigentlich einer der größten Wissenschaftler in Amerika ist, die sich mit Beethoven beschäftigen. Er hat viele Bücher geschrieben, und Beethoven-Liebhabern, die viel über Beethoven lesen, fällt auch sofort William Kinderman ein. Er ist kein Berufskomponist! Aber ich habe ihn eingeladen, weil er sich so gut mit Beethoven auskennt und weil er unheimlich gerne mitmachen wollte. Er hat ein Stück geschrieben über die vertonbaren Buchstaben des Namens Beethoven - b, e, e, h, e - und daraus eine kleine Skizze gemacht.

Ich habe das Projekt 2013 in dem Wissen gestartet, dass ich sieben Jahre lang nichts anderes machen kann.
Susanne Kessel

BR-KLASSIK: Es sollen ja noch einige Stücke zusammenkommen, Sie sprechen selber von Gigantismus, bleibt Ihnen im Moment noch Zeit für andere Dinge?

Susanne Kessel: Eigentlich nicht. Ich habe das Projekt 2013 in dem Wissen gestartet, dass ich sieben Jahre lang nichts anderes machen kann.

BR-KLASSIK: Und wie finanzieren Sie das?

Susanne Kessel: Ja, das ist eine gute Frage! Es fing damit an, dass völlig klar war, dass die Komponisten nicht bezahlt werden. Und da lässt sich auch jeder gerne drauf ein, das ist vollkommen klar, man kann 250 Komponisten nicht adäquat bezahlen, wenn man davon ausgeht, dass mindestens 3000 Euro für so ein Klavierstück anfallen - bei manchen sogar viel mehr, je nach Standing. Das kann man nicht finanzieren und außerdem ist das dann kein Geschenk mehr. Das ist ein Geschenk an Beethoven, und die Komponisten und ich, wir arbeiten kostenlos an dem Kernprojekt, bis die Stücke fertig da liegen. Dann kommt dieser Punkt der Abgabe an den Verleger. Da habe ich Nikolas Sideris gefunden mit seinem wunderschönen neuen Musikverlag "Editions Musica Ferrum" - er ist selber Komponist und er macht aus jeweils 25 Stücken einen Notenband. Finanziert werden die Bände von jeweils 25 Notenpaten, die hier in Bonn zusammengesucht werden. Jeder Pate gibt 250 Euro für den Druck eines Stücks und sein Name wird dann dafür für die Ewigkeit unter das Stück gedruckt.

Notenpatenschaft

Wer Notenpate werden möchte, kann sich hier informieren.

Ich würde Beethoven alle Stücke vorspielen und ihm zeigen, wie vielfältig die Stile heute sind.
Susanne Kessel

BR-KLASSIK: Ein kleines Gedankenspiel: Was würden Sie Beethoven fragen, wenn Sie ihm leibhaftig gegenüber stünden?

Susanne Kessel: Er dürfte sich als Geburtstagskind, wie sich das gehört, einfach hinsetzen. Und ich würde ihm ganz viele Komponisten vorstellen, die heute komponieren, und die alle nachweislich seine Musik lieben. Und ich würde ihm einfach erklären, wie das Musikleben heute funktioniert, dass es Komponisten gibt, deren Namen man gar nicht kennt, aber deren Werke, z.B. in der Filmmusik. Und die zeitgenössischen Komponisten heutzutage, 250 Jahre nach seiner Geburt: Wer lebt heute, wer schreibt Musik und wer ist vielleicht genauso unerbittlich in seiner Kunst, wie er selber war. Ich würde ihm alle Stücke vorspielen und ihm zeigen, wie vielfältig die Stile heute sind. Dass wir nicht nur einen Hauptstil haben, sondern dass heute so viele verschiedene Genres und Stile nebeneinander existieren, das würde ich ihm gerne zeigen.

BR-KLASSIK: Da wäre vermutlich selbst Beethoven überfordert …

Susanne Kessel: Und bestimmt auch sehr gerührt! Dass alles, was er geschrieben hat, heute noch so relevant ist für alle Musiker.

BR-KLASSIK: Im Jahr 2020 wollen Sie im Rahmen eines Konzertmarathons alle Stücke präsentieren. Darunter auch ein Stück von Dietmar Bonnen, bei dessen Label Obst Music ihre Beethoven-CDs erscheinen. Was ist das für ein Stück?

Susanne Kessel: Dietmar Bonnen hat ein Klopfstück geschrieben, das ausschließlich unter dem Flügel liegend am Resonanzboden geklopft wird. Es heißt: "Rote Beete". Das ist zum einen natürlich humoristisch gemeint. Zum anderen bezieht sich das auf die Herkunft des Namens Beethoven: van Beethoven heißt "von den Rübenhöfen", von den Rote Beete-Höfen seiner Vorfahren.

Die Fragen stellte Kristin Amme für BR-KLASSIK.

Nächster Klavierabend mit Susanne Kessel

Bonn-Beuel, Klavierhaus Klavins
Samstag, 04. März, 19.00 Uhr

Feierliche Veröffentlichung der Notenedition Vol. 3
Persönlich zu Gast ist der Verleger Nikolas Sideris (London)

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