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Die Donaueschinger Musiktage 2018 Mehr Mut

Jedes Jahr im Herbst wird ein kleiner Ort im Schwarzwald zur Pilgerstätte für Fans und Künstler der musikalische Avantgarde - und dies seit fast 100 Jahren. 2018 fand das Festival vom 18. bis 21. Oktober statt. BR-KLASSIK-Redakteurin Kristin Amme war vor Ort, liefert Fakten zur Geschichte, erzählt von neuen Entwicklungen - und wünscht sich für die Zukunft noch mehr Wagemut.

Donaueschinger Musiktage 2018 | Bildquelle: Donaueschinger Musiktage

Bildquelle: Donaueschinger Musiktage

Was sind die Donaueschinger Musiktage?

Die Donaueschinger Musiktage sind ein seit 1921 jährlich stattfindendes Festival für zeitgenössische Musik – immer am dritten Oktoberwochenende. Es ist das das älteste Festival für Gegenwartsmusik und international eines der bedeutsamsten. Ein Festival, bei dem fast ausnahmslos Uraufführungen und diverse Klanginstallationen zu erleben sind – und das in ganz verschiedenen Spielstätten von der Turnhalle über das Museum, die Bibliothek oder die Kirche bis hin zu verlassenen Orten wie einer alten Molkerei oder einem Fischhaus im Park.

Uraufführungen – Zahlen & Fakten

In diesem Jahr gab es 22 Uraufführungen in 48 Stunden – Werke von neun Komponistinnen und 17 Komponisten aus 18 verschiedenen Ländern, dazu fünf Klanginstallationen. Im Programm grüßten bekannte Namen wie Georges Aperghis, Isabel Mundry und Enno Poppe, aber auch Newcomer wie Koka Nikoladze und Malin Bång. Die Liste der Interpret*innen präsentiert wie immer ein "Who is Who" der Gegenwartsmusik: Klangforum Wien, Ensemble Modern, IRCAM, SWR Experimentalstudio, Neue Vocalsolisten Stuttgart und natürlich das SWR Symphonieorchester – für die rund 10.000 Besucher*innen aus aller Welt bedeutete dies Musik auf durchweg höchstem Niveau.

In welche Richtung geht die zeitgenössische Musik?

Immer mehr Komponistinnen und Komponisten setzen sich in ihren Werken kreativ mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen auseinander und versuchen, mit den Mitteln des Klangs Technologien zu erkunden und soziale Strukturen aufzudecken. Auch wenn die Szene der Gegenwartsmusik oft unter dem öffentlichen Radar fliegt: Das, was im Diskurs gerne unter dem Stichwort "Welthaltigkeit" zusammenfließt, spielt in der zeitgenössischen Musik eine immer größere Rolle.

Welche Trends gibt es?

Die drei wichtigsten Themenfelder in diesem Jahr waren zum einen Technologie und Politik und zum anderen das immer schon oft und gern beschworene Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv.

Der georgische Komponist Koka Nikoladze verwandelte das Klangforum Wien in einen akustischen Synthesizer. Nikoladze, der sich als Post-Komponist begreift, entwickelt für seine Stücke oft eine maßgeschneiderte Soft- und Hardware. So auch für "21.10.18", benannt nach dem Datum der Uraufführung. Die Musiker*innen saßen an interaktiven Notenpulten, Nikoladze steuert sie an wie ein DJ. Für mich ein Highlight. Auch in "Ballett für Eleven" von Brigitta Muntendorf war Technologie ein wichtiges Vehikel: Verstörend bis zum Schlingensief-haften boten das Ensemble Modern szenisches Theater – fantasievoll und im positiven Sinne überfordernd, dazu Sounds aus dem Hier und Jetzt.

Donaueschinger Musiktage 2018 | Bildquelle: Donaueschinger Musiktage "Thinking Things" von Georges Aperghis | Bildquelle: Donaueschinger Musiktage Interpretinnen und Interpreten sind immer häufiger als Performer gefordert. Nicht anders in Georges Aperghis' "Thinking Things" – auch hier beklemmendes Musiktheater mit spannendem Bühnenbild (ein Riesenapparat mit Roboterbeinen, -armen und -kopf), in dem Aperghis das zerstörerische Potenzial von Technik und Künstlicher Intelligenz auslotet.

Einen politischen Impetus hatten die Kompositionen von Isabel Mundry, die in "Hey!" das Münchener Attentat vom Juli 2016 klanglich verarbeitet und in "Mouhanad" ein Gespräch mit einem Geflüchteten aus Syrien vertont hat. Auch im Stück "Case White" der kroatischen Komponistin Mirela Ivičević und in den über die Stadt verteilten Klanginstallationen stand die Reflektion gesellschaftlicher Problemlagen im Zentrum. Schließlich beleuchteten einige Kompositionen das erwähnte Verhältnis von Individuum und Kollektiv. Etwa das Werk "splinters of ebullient rebellion" der schwedischen Komponistin Malin Bång, das formal und klangsprachlich die Frage ins Zentrum rückte, inwiefern Einzelpersonen eine Stimme im politischen Diskurs haben. Der Brite Benedict Mason atomisierte das Orchester gleich in seine Einzelteile: Die Musikerinnen und Musiker des SWR Symphonieorchesters bewegten sich mit Click Track im Ohr durchs gesamte Haus – ein gelungener Versuch, das Konzertformat aufzubrechen.

Was wäre noch wünschenswert?

Donaueschinger Musiktage 2018 | Bildquelle: Donaueschinger Musiktage Björn Gottstein, künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage | Bildquelle: Donaueschinger Musiktage Björn Gottstein, der künstlerische Leiter der Donaueschinger Musiktage, wünschte dem Publikum im Vorwort des Programmbuches "produktive Irritationen". Die gab es vereinzelt durchaus (etwa bei Mason und Muntendorf), doch davon darf es für meinen Geschmack gerne mehr sein. Ich wünsche mir: mehr Mut, weniger ehrfürchtige Ernsthaftigkeit. Mehr Rätselhaftigkeit. Komponist*innen, bei denen sich ein schöpferischer Wille Bahn bricht wie bei Nikoladze. Und im Grunde bieten die Donaueschinger Musiktage genau die richtigen Voraussetzungen hierfür: Weltklasse-Musiker*innen, beste Technik und die notwendigen finanziellen Mittel.

Sendung: "Leporello" am 22.10.2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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