Die Donaueschinger Musiktage nahmen nicht nur Abschied vom langjährigen und 2014 verstorbenen Festivalleiter Armin Köhler. Auch das Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg hatte in dieser Zusammensetzung seinen letzten Auftritt.
Wenig Aufbruch, viel Abschied, so könnte man die Stimmungslage bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktage zusammenfassen. Viele Musiker und Komponisten erinnerten noch einmal an den langjährigen Festivalleiter Armin Köhler, der Ende letzten Jahres verstarb, aber das Programm dieser Musiktage noch komplett konzipiert hatte.
Überdeutliche Kritik neben und auf der Bühne gab es auch noch einmal an der Fusion der beiden SWR-Orchester, die im nächsten Jahr in Kraft tritt. Nach 65 Jahren als prägender Klangkörper der Musiktage hatte das Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg am Sonntag seinen letzten Auftritt vor der Fusion. Den produktivsten Umgang mit dem Thema Abschied fand der Franzose Mark Andre, der mit und für den Klarinettisten Jörg Widmann ein Klarinettenkonzert geschrieben hat. Es ist gleichzeitig ein Requiem für das Orchester, bei dem das Verschwinden zum Thema wird. Klang an der Grenze zur Hörbarkeit und Musik, die elektronisch so verändert wird, dass man irgendwann nicht mehr weiß, ob die Töne vom Solisten oder vom Orchester kommen. Für seine "Feinheit der Klänge" wurde das Stück zum Abschluss der Musiktage mit dem Orchesterpreis geehrt.
Weder fein noch wirklich klangvoll war das radikalste Projekt der Musiktage: die sogenannte "Theorieoper" des Schweizers Patrick Frank zum Thema "Freiheit". Liberte toujours, Freiheit statt Sozialismus und andere Slogans prangen auf Plakaten an den Wänden der Erich Kästner Turnhalle in Donaueschingen. Das Publikum sitzt an Biertischen, isst Brezeln und/oder lauscht einem klugen Live-Hörspiel zum Zusammenhang von Freiheit, christlicher Mission und politischer Ideologie, die Zuschauer können per Tablet live abstimmen, ob sie gelangweilt, ergriffen oder überfordert sind. Das wird als Statistik gleich auf Bildschirmen ausgewertet, genauso übrigens wie die Körpertemperaturen der Musiker oder die allgemeinen Toilettenbesuche.
Ein Oktoberfest der Kunstmusik - Theorie als Spektakel: Bei Performances auf Videoleinwänden, Vorträgen im Bierzelt auf der Wiese, zwischen Hochgeschwindigkeitsphilosophie und minionhaftem Gebrabbel steigt der Anteil der Gelangweilten und Überforderten. Das Projekt tut den Musiktagen in seiner Offenheit gut, auch wenn es das Gewicht verschiebt von der Avantgardewerkstatt zu einem Oktoberfest der Kunstmusik. Plastikflaschen werden zu Instrumenten umfunktioniert, Videoleinwände werden zu Mitspielern, Smartphones zu Hilfskomponisten. Viel ist dabei nicht herumgekommen in diesem Jahr des Umbruchs in Donaueschingen.
Das einzige Stück, das diesen Jahrgang neben dem Orchesterpreisträger mit Sicherheit überdauern wird, kommt von der Österreicherin Olga Neuwirth. Für "Le encantadas" hat sie sich neben einem Roman von Herman Melville von der Akustik einer venezianischen Kirche inspirieren lassen, das Publikum in die Mitte gesetzt und sechs Musikergruppen drumherum. Das Ergebnis ist eine Klangreise, ein rund 80-minütiges Roadmovie für das Ohr, auf ständig schwankendem Boden. Musik, die viel erzählt, ohne geschwätzig zu sein. Davon wünscht man sich in den nächsten Jahren wieder mehr in Donaueschingen.
vom 16. bis 18. Oktober 2015
Künstlerische Leitung: Björn Gottstein