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Trompeter Marco Blaauw im Gespräch Töne, die die Farbe wechseln

Marco Blaauws Trompete inspiriert Neue Musik: 2004 schrieb die Komponistin Rebecca Saunders für ihn ein Stück für Doppeltrichtertrompeter solo und nannte es "blaauw". Ihre neue Komposition "White" - ein Kompositionsauftrag der musica viva, der am 26. Februar uraufgeführt wurde - ist ebenfalls Marco Blaauw gewidmet. Der Trompeter im Gespräch über elektronische Vögel und monochrome Gemälde.

Trompeter Marco Blaauw | Bildquelle: BR / Klaus Rudolph  Ensemble Musikfabrik

Bildquelle: BR / Klaus Rudolph Ensemble Musikfabrik

Barbara Eckle: Welcher Entwicklungsprozess hat zwischen "blaauw" und "White" stattgefunden?

Marco Blaauw: Unsere Zusammenarbeit hat lange schon vor "blaauw" begonnen. Es ist seit Ende der Neunzigerjahre ein kontinuierlicher Prozess, aus dem letztes Jahr auch ein Trompetenkonzert hervorgegangen ist. Schon da spielte Rebecca mit dem Gedanken, ihm den Titel "White" oder "Weiss" zu geben. Schließlich hat sie es aber "Alba" genannt, da ihm ein Gedicht von Samuel Becket mit diesem Titel zugrunde liegt. Rebecca interessiert sich sehr für Trompete, und viele Klänge, die in der zeitgenössischen Trompetenmusik auftauchen, entstammen ursprünglich dieser Zusammenarbeit.

Bei "blaauw" ging es um die sogenannten "split tones" und um die extrem langsamen Farbwechsel zwischen offenem und gedämpftem Ton, die man auf der Doppeltrichtertrompete erzielen kann. Die „split tones“ haben wir in den folgenden Jahren stark weiterentwickelt. Bei "Alba" hat Rebecca dann bei den "split tones" die normalen, erkennbaren Töne herausgefiltert, sodass nur noch die hohen Obertöne übrig bleiben. Diesen flirrenden Klang, den sie "electronic birds" nennt, hat sie im Trompetenkonzert aber nur sehr zurückhaltend eingesetzt, weil es für diesen unheimlich zerbrechlichen Klang natürlich schwer ist, neben einem riesigen Orchester zu bestehen. Da sie noch mehr mit diesen "electronic birds" arbeiten wollte, entstand wenig später das Solostück "White".

Barbara Eckle: Bei "blaauw" stand das spezielle Klangfarbenspiel mit der Doppeltrichtertrompete im Mittelpunkt. Auch der Titel "White" weist auf einen Farbfokus hin. Gehören diese Trompetenstücke gemeinsam auf eine größere Farbpalette? Oder in wie weit spielt die titelgebende Farbe eine Rolle?

Rebecca Saunders  | Bildquelle: Astrid Ackermann Die Komponistin Rebecca Saunders | Bildquelle: Astrid Ackermann Marco Blaauw: Rebecca empfindet Farben sehr intensiv und beschäftigt sich oft mit ihnen in ihrer Musik. Es erinnert ein bisschen an die monochromen Gemälde etwa von Yves Klein, Barnett Newman oder auch Mark Rothko. Da nimmt man weniger die Struktur des Gemäldes wahr als die Farbe selbst, ihre Energie. Man empfindet sie sehr stark körperlich. Und ich glaube, das passiert auch, wenn Rebecca in ihrer Musik Farben erforscht. Ich kann das gut nachvollziehen, wenn ich selber male oder wenn ich mich in ein Gemälde vertiefe. Manchmal spüre ich da ein Vibrieren. Es hat eine bestimmte Geschwindigkeit und kann eine bestimmte emotionale Empfindung auslösen. Deswegen ist mir Rebeccas Sprache auch sehr nah, dieser Ausdruck, den sie sucht in einer Geste oder in einem Klang.

Rebecca Saunders über "White"

In painting, white is the most extreme bright and light achromatic colour to the point of absolute luminosity, devoid of all shade and greyness.
White is notably ardent and is the colour of fury, white with rage.
A substance burning with the intensity of white heat, glows with a white light.
White is the cacophony of noise.
White also embodies an exquisite fragility.
White is dedicated to Marco Blaauw with my thanks for those wonderful collaborative sound-searching sessions.

Barbara Eckle: An gewissen Stellen der Partitur von White kann man sehen, dass sie stark mit Nuancierungen eines einzelnen wiederholten Tons arbeitet. Was transportieren diese Töne jenseits der reinen Tonhöhe?

Marco Blaauw: Bei diesen Tönen, die sich ganz langsam entfalten und die Farbe wechseln, ist es so, als schaue man lange auf eine Farbe und entferne sich langsam von ihr. Auf einmal sieht man auch eine Textur. Es ist hier auch eine Erfahrung von sich wandelnden Distanzen und Perspektiven.

Barbara Eckle: Habt ihr in der Zusammenarbeit für "White" Klangmaterial gefunden, das auch für dich als Trompeter eine Entdeckung war?

Marco Blaauw: Diese Arbeit ist immer ein Dialog. Das ganz neue Material hatten wir schon für das Trompetenkonzert "Alba" entwickelt. Und in "White" taucht Rebecca einfach noch tiefer in einzelne Aspekte dieses Materials ein. Hier arbeitet sie auch stark rhythmisch. Die Klangbewegung ist manchmal ziemlich schnell und furios. Das ist neu in ihrer Schreibweise für Trompete. Bei den ganz schnellen Passagen sind die Farbwechsel extrem. Sehr gedämpfte Klänge öffnet sie abrupt. Dadurch entsteht ein Effekt, wie wenn man ein Sforzando umdreht.

Die Komponistin Rebecca Saunders

Der Musikkritiker Gerhard Rohde lobt die "viel gestaltete Substanz" in der Musik der Komponistin Rebecca Saunders. Die gebürtige Engländerin habe "Klangbewusstsein und Fantasie". Die 1967 in London geborene Saunders studierte in Karlsruhe bei Wolfgang Rihm und hat sich in den letzten rund 20 Jahren zu einer der bedeutendsten Komponistinnen ihrer Generation entwickelt. Häufig spielen im Schaffen von Rebecca Saunders menschliche Emotionen wie Brutalität und Wut eine tragende Rolle. Gefühle, die in der Gesellschaft als weniger salonfähig gelten. Rebecca Saunders, die heute in Berlin lebt, kommt aus einer typischen Musikerfamilie. Ihre Eltern und einige der Großeltern sind bzw. waren Pianisten. Sie selbst spielt Geige, hat das Instrument an der "University of Edinburgh" studiert. Trotz ihres familiären Hintergrundes hat sich die Künstlerin mit dem Klavier schwer getan – weil es ihr sehr nahe, vielleicht zu nahe stand. Es sollte dann bis zum Jahr 2004 dauern, ehe mit "Choler" ihr erstes Klavierwerk erschienen ist.  

Barbara Eckle: Wie sieht es mit den Hilfsmitteln aus, die sie ansonsten hinzuzieht?

Marco Blaauw: Whitewird auf einer normalen Trompete gespielt ohne elektronische Klangverarbeitung oder Verstärkung, nur mit einem Dämpfer. Auch die "electronic birds" werden nicht mithilfe von Elektronik erzeugt. Die heißen nur so, weil sie elektronisch klingen.

Barbara Eckle: Hat im Laufe eurer Zusammenarbeit auch eine Reduktion der Mittel stattgefunden?

Marco Blaauw: In der Palette der Mittel ja, aber nicht in der Palette der Klänge. Die Auswahl wird immer größer und Rebecca braucht immer weniger Hardware dafür. Im ersten Stück von ihr, das ich gespielt habe, hat sie sieben Dämpfer verwendet. Jetzt nur noch einen. Alle übrigen Effekte werden mit Spieltechnik bewerkstelligt, nie mit Elektronik. Als nächstes werden wir ausführlich mit Multiphonics arbeiten, einer Technik, die im Trompetenrepertoire noch kaum vorkommt. Dafür werden wir nicht einmal mehr den Dämpfer benötigen.

Barbara Eckle: Welche Rolle spielen diese "electronic birds" in dem Stück? Sind es reine Effekte?

Marco Blaauw: Ich verstehe sie als Fenster und Echos des zuvor Gehörten. Die "split tones", die ich gerade gespielt habe, werden gefiltert. Übrig bleiben die Bewegungen der Obertöne. Sie machen einen großen Raum auf und erwecken eine starke Assoziation zu Wind, Meer und Möwen. Sie sind zudem extrem leise, sodass die Ohren des Zuhörers aufgehen, wie wenn er einen völlig neuen Raum betritt.

Infos zum Stück

Rebecca Saunders (*1967)
White
für Trompete Solo
Entstehungszeit: 2015/16
Auftraggeber: Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks
Widmungsträger: Marco Blaauw
Uraufführung: 26. Februar 2016 um 19 Uhr im Herkulessaal der Münchner Residenz im Rahmen der musica viva durch Marco Blaauw

Das gesamte Konzertprogramm

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