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Ott & Tsangaris im Interview Wie ticken die neuen Leiter der Münchener Biennale?

Worin liegt heutzutage die Kraft von Musiktheater? Welche Rolle spielt im digitalen Zeitalter der Komponist? Und was soll bei der Biennale 2016 eigentlich anders werden? Daniel Ott und Manos Tsangaris stellen sich zum Start des diesjährigen Festivals für zeitgenössisches Musiktheater den Fragen von BR-KLASSIK.

Daniel Ott und Manos Tsangaris -künstlerischer Leiter | Bildquelle: © Manu Theobald

Bildquelle: © Manu Theobald

BR-KLASSIK: Gehen Sie eigentlich auch in die Oper?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Wir gehen sehr gerne in die Oper. Auch gerne ins Opernhaus, ins Theater also, wenn eine gute Oper gespielt wird, um uns vorzustellen, wie es ist, wenn dort mehr zeitgemäße, junge, aufregende, ästhetisch ausgreifende, lebensweltlich und überlebensweltlich aufgehangene und abgefederte Werke gespielt, entwickelt, erforscht und aufgeführt würden oder hoffentlich bald schon werden. Für so ein großes Laboratorium werden dort zu wenige wirklich neue relevante Sachen gemacht. Festtempel soll es bleiben, ja. Wir lieben Barockopern, Reformopern, klassische, romantische, auch die modernromantischen des 20. Jahrhunderts wie "Wozzeck" oder "Die Soldaten". Aber damit darf es nicht enden. Die Lockenwickler-Fraktion hat ausgedient. Schampus in den Händen. Leck.

BR-KLASSIK: Viele diesjährige Biennale-Komponisten und Mitwirkende sind zwischen 30 und 40 Jahre jung. Was bewegt diese Generation?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Das, was alle Generationen bewegt hat: Liebe, Krankheit, Alter, Tod. Die Form nicht als ein Gewand, ein äußeres Kleid, das irgendeinem dieser Kerninhalte übergezogen werden sollte, sondern als wesentliche Gestalt, partes extra partes. Wir haben nichts anderes als diesen Körper. "Unser Geist ist ein Verbindungsglied des völlig Ungleichen", sagt Novalis. Die Gestaltungsmittel, die öffentliche Grammatik (Technologie und ihre Schläuche) hat sich natürlich radikal gewandelt. Das bewegt uns alle.

BR-KLASSIK: Inwieweit beobachten Sie einen gemeinsamen Nenner oder einen Sprung zu Ihrer Generation und Ihrer Arbeit?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Oh. Einige in unserer Geenaration (was ist das eigentlich, unsere, deren, welche? Wolfgang Rihm, der Erhabene, ist nur vier Jahre älter als wir, aber irgendwie, und das ist schön so, für uns beide, eine andere Generation. Teils vielleicht, weil er so wunderbar frühvollendet war, immer schon. Zwischen Lachenmann und Kagel liegen nur vier Jahre der frühen Geburt. Und doch ist (aus guten Gründen) Lachenmann eine Generation jünger als Kagel. Oder? Einige wenige in unserer Generation haben sich schon früh, das heißt, Ende der 1970er Jahre mit den Bedingungen des Komponierens, der Aufführung, den medialen Voraussetzungen denkend kompositorisch befasst. Darin liegt einiges, das die Jüngeren heute bewegt. Das ist auch etwas qualitativ völlig anderes, als die Anliegen der Heroen der zweiten Neuen Musik, deren Produkte oft dieser becketteske Gestus anhaftet. Aufgeschreckt … irgendwie absurd.

BR-KLASSIK: Worin liegt die überzeitliche Kraft von Musiktheater?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Glutkern, Schmelzpunkt. Unvergleichlich.

BR-KLASSIK: Was ist die Rolle des Komponisten in Zeiten der Demokratisierung der Mittel, der Globalisierung und Digitalisierung?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Komponieren. Irgendwie sinnfällig zusammenfügen. Das meint auch: Risse, Brüche, Scheitern. Gerade in Zeiten der "Demokratisierung der Mittel, der Globalisierung und Digitalisierung" stellen sich Kohärenzfragen (nach Stimmigkeit) besonders scharf und fordernd. Die Rolle des Komponisten? Die war immer schon bescheuert genug, entweder Lakai oder Hampelmann. Falsch mystifiziert durch die Falschen der falschen Gesellschaft. Das können wir ruhig ein bisschen aushebeln. Es geht um die Schönheit.

BR-KLASSIK: Was will die Münchener Biennale 2016?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Wir würden uns sehr freuen, wenn das Münchener, das europäische, das hoffentlich geneigte Publikum sich angeregt sähe, über Musiktheater wieder neu und anders nachzudenken. Wir bieten dem Diskurs eine Plattform, der zeigt, wie bitter nötig in dieser Gesellschaft Kunst ist ist. Kunst ist die radikale Zuspitzung der Fragen, die uns alle bewegen, zumal heute: Liebe, Krankeit, Alter, Tod. Und wie wir die Fragen stellen müssen, ist mehr und mehr Teil des Kunstschaffens geworden. Jeder Werbe-Clip heutzutage, jede Sendung, jedes Feature ist sehr raffiniert angelegt und komponiert. Wir müssen die Toolboxes (Werkzeugkisten) in Betracht nehmen, wir müssen unsere Sprachen im Alltag untersuchen. Aber das nicht mit dem kalten Besteck. Sondern es ist immer ein Selbstversuch. Kunst ist Selbstversuch.

BR-KLASSIK: Wir spekulieren jetzt mal: Was würde Hans Werner Henze zur diesjährige Biennale sagen?

Daniel Ott & Manos Tsangaris: Prima, dass es uns noch gibt.

Das Gespräch für BR-KLASSIK führte Meret Forster.

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