Das Orchesterwerk der aus Australien stammenden Komponistin entführt das Publikum auf eine imaginäre Reise in ferne Zeiten und Gegenden. Jeder der vier Sätze ist inspiriert von einem Begegnungsort menschlicher Kultur: dem isländischen Thingvellir mit seinen Versammlungen im Althing-Parlament um 1000 n. Chr., dem Amphitheater Epidauros im antiken Griechenland, Gohyaku Rakan, den magischen Steinbildern im Norden Japans sowie der Radio City Music Hall in New York.
Bildquelle: BR Klassik illustration
Vorbericht zur Uraufführung
Cathy Millikens "Earth Plays"
"Ich war an zwei sehr besonderen Orten, an denen Menschen etwas in Gemeinschaft kreiert haben. Mir war klar, dass ich über diese Orte schreiben wollte", äußert sich Cathy Milliken über ihr Werk. Einer dieser Orte ist Thingvellir – "ein irrsinniger Schauplatz mit riesigen Gebirgen und tektonischen Platten, die auseinanderdriften. Das spiegelt sich auch in der Musik wider, wenn sich das Orchester in zwei dividiert."
Das Ergebnis ihrer langen Kompositionsphase hört Cathy Milliken zum ersten Mal bei der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Sie sitzt im Zuschauerraum des Herkulessaals der Münchner Residenz, die rotblonden Haare offen, die Partitur auf den Knien. Konzentriert verfolgt sie, wie sich das Orchester und die Sängerin Fiona Campbell durch die komplexen Rhythmen manövrieren. Ab und zu kommt sie nach vorn zur Bühne, um mit Dirigent Peter Rundel klangliche Feinheiten zu besprechen. Der Umgang der beiden ist vertraut, immerhin sind sie seit über dreißig Jahren gut befreundet.
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Die Komponistin Cathy Milliken beim Studium der Partitur | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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Der Dirigent Peter Rundel | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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Reich besetzt: das Schlagwerk | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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Außerdem wird im Wasser geplantscht ... | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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... einige der Musiker spielen zusätzlich Gitarre ... | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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... und auch die Blechbläser haben mehr zu tun als nur in ihr Horn zu blasen. | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
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Die Partitur: Cathy Millikens "Earth Plays" | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR
Peter Rundel erarbeitet mit den Musikern Stück für Stück die unterschiedlichen Klangwelten der vier Orte in "Earth Plays". Der zweite Satz beschreibt das antike Theater in Epidauros - mit ein paar Spezialeffekten: Zum Beispiel schlagen die Bläser an zwei Stellen plötzlich mit Klappern in die Luft. Und einige Orchestermitglieder spielen zusätzlich Gitarre – immer die gleichen Akkorde, allerdings auf unterschiedlich gestimmten Instrumenten! Im vierten Satz generieren dann musicalähnliche Klänge die geeignete Atmosphäre für die die New Yorker Radio City Music Hall.
Freitag 4. Dezember, Herkulessaal der Residenz
Jörg Widmann:
"Dubairische Tänze" (Chorische Fassung)
Cathy Milliken:
"Earth Plays"
für Mezzosopran und Orchester
Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks | Uraufführung
Steve Reich:
"Tehillim"
für vier Frauenstimmen und Orchester
Fiona Campbell (Mezzosopran)
Synergy Vocals
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Klangregie: Zoro Babel
Dirigent: Peter Rundel
Steingesicht in Gohyaku Rakan | Bildquelle: mauritius-images / Alamy
Wie eine Zeitzeugin führt die australische Mezzosopranistin Fiona Campbell von einem Ort zum anderen, singt Fragmente aus isländischen Gesetzestexten, Filmzitate oder Auszüge aus Sophokles' "Antigone". Die Sängerin zeigt sich fasziniert von der Idee, dass Gefühle und Wörter Zeiten überdauern und von der Umwelt quasi konserviert werden . Besonders berührt Fiona Campbell der dritte Satz - ein japanischer Trauergesang. Cathy Milliken schrieb ihn nach der Besichtigung der alten japanischen Tempelanlage Gohyaku Rakan. Dort stehen 540 Statuen, in die ein Mönch die Gesichter der Schüler Buddhas gemeißelt hat; jedes dieser Gesichter ist gleichermaßen individuell und, wie Milliken betont, "wahnsinnig schön".
Bei den Gesangstexten zum dritten Satz handelt es sich um Zitate einer Japanerin, die 2011 fast im Tsunami ertrunken wäre. Die extreme Dramatik dieser Situation wird in der Musik abgebildet, insbesondere im Vokalpart:
"Man hört richtig, wie die Japanerin im Wasser untergeht, sie kann den Himmel durch das Wasser sehen, die Streicher imitieren das Gurgeln. Und meine Stimme ist rasend und versucht, sich durch das Wasser durchzuschneiden." Fiona Campbell
Bei allen pittoresken landschaftlichen Assoziationen geht es Cathy Milliken jedoch keineswegs um musikalischen Tourismus: "Cathy Milliken hat sich mit diesem Stück eigentlich mit dem auseinandergesetzt, was uns als Gesellschaft sehr beschäftigt: kulturelle Identität", sagt Peter Rundel. "Sie beschreibt ja Orte, die exemplarisch sind für gesellschaftliche Konstellationen, Geschichten, Mythen - und sie hat es geschafft, diese verschiedenen Stationen in ihrer Musik zu reflektieren."
Die Probenphase der "Earth Plays" von Cathy Milliken wird begleitet von einer "Response-Werkstatt" der Education-Abteilung des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks: Gemeinsam mit der Komponistin, einem Instrumentalisten und einer Sängerin des Chores setzen sich 30 Schülerinnen des Münchner Maria-Ward-Gymnasiums auf kreative Weise mit den "Earth Plays" auseinander. Ihre Ergebnisse präsentieren sie als eine Art musikalisches Vorwort in einer Aufführung vor Beginn des Konzertes um 19.15 Uhr im Foyer des Herkulessaales.