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Pacini an Schumann Briefe an Clara

Sophie Pacini ist eine Pianistin von heute. Clara Schumann hingegen ist eine Pianistin, die in diesen Tagen 200 Jahre alt geworden wäre. Ist sie heute trotzdem noch ein Vorbild für eine Künstlerin? In fünf Briefen schreibt Pacini, was Clara ihr bedeutet.

Die Pianistin Sophie Pacini | Bildquelle: Sophie Pacini

Bildquelle: Sophie Pacini

Brief 1: Frauen

Liebe Clara,
weißt du eigentlich, dass ich dich eingerahmt habe? Nein, keinen Kunstdruck, sondern klein und Blau in Blau mit der 1-0-0 auf Halshöhe. Die Hundert Mark – für mich als kleines Mädchen ein Geldschein, den ich nur selten zu sehen bekam. Gleichzeitig war es die wertvollste Bargeldsumme, die ich aus dem Alltag kannte. Und darauf zu sehen: Du, diese wunderschöne, sicher viele Frauen inspirierende Persönlichkeit. Die hohe Stirn, die elegante Frisur und das dezente Haarband.
Weil ich selbst Klavier spielte, wie Du, war dieser Geldschein mit deinem Bild besonders wertvoll, ich habe dich ehrfürchtig bewundert. Du bist auf einem Geldschein gedruckt? Wow! Irgendwann haben mir meine Eltern einen "eigenen" geschenkt – und der ist mittlerweile eingerahmt.

Clara Schumanns Gesicht auf dem Hundertmarkschein | Bildquelle: picture alliance/Presse-Bild-Poss Clara Schumanns Gesicht auf dem Hundertmarkschein | Bildquelle: picture alliance/Presse-Bild-Poss Wenn ich Dich dann so anschaue, frage ich mich, ob wir zwei Pianistinnen eigentlich mit denselben Dingen beschäftigt sind. Klar, Du hast bestimmt viel mehr mit Klischees, mit Zensur zu kämpfen gehabt – und damit, dass man Dir einfach Fähigkeiten abgesprochen hat – nur, weil Du eine Frau bist. Da habe ich's schon besser, dank der Frauenbewegung und einer komplett gewandelten Erziehung. Aber ob Du's glaubst oder nicht: Auch heute noch spüre ich Vorurteile gegenüber einer selbstbewussten, eigenständigen und Traditionen in Frage stellenden Frau.
Immer noch wird "männliches" von "weiblichem" Klavierspiel unterschieden. Das fängt an bei der delikaten Auswahl der Konzertkleidung und führt dahin, dass es doch tatsächlich bezweifelt wird, ob man als "Frau am Klavier" – denn so wird man gerne gesehen, nicht etwa als Pianistin – eine intellektuelle Basis an Werkkunde und Aufführungspraxis besitzt. Hast Du auch das Gefühl gehabt, dass es einer Frau oft aberkannt wird, tiefliegende psychologisch-tonsatztechnische Zusammenhänge zu erfassen?
Der Gedanke hilft mir, denn dann bist Du mein Vorbild für weibliche Durchsetzungskraft, darin, dass es einfach nur um die Musik als Klavierkunst geht – jenseits von Genderfragen … Du machst mir Mut, in deinem Sinn weiterzukämpfen.
Deshalb bediene ich mich bei einer anderen starken Frau mit dem Zitat: "Wir schaffen das!", wir Frauen in der Musik. Denn genau daran glaube ich, wenn ich den eingerahmten Hunderter sehe: An klare Visionen und Strategien, durch die der alte Staub zerfällt.
Deine Sophie

Hier anhören: Sophie Pacini schreibt an Clara Schumann: Brief 1 - Frauen.

Brief 2: Reisen

Liebe Clara,
hier werden die Tage langsam kürzer, die Dunkelheit zieht wieder ein. Wie muss das für Dich gewesen sein, in der Kutsche, tage-, wochenlang? Besonders bei Einbruch des Abends, wenn die Umgebung droht, im Grau zu verschwinden, wenn die innere Unruhe des Alleinseins anfängt, Dich um die Hüften zu packen.
Heute reise ich in einem (meist) gut geheizten Zug, manchmal sogar mit einem privaten Chauffeur oder fliege zu meinem Konzertziel. Wenn ich das viele berufliche Reisen mal mühsam finde, dann denke ich immer an Dich – und schon ist alles ziemlich bequem um mich herum.
Du bist ja auch oft mit Deinem Vater gereist oder mit Deinem Mann Robert. Auch ich reise meistens in Begleitung, aber eine Sache bleibt bei aller Gesellschaft, vielleicht kennst Du das: Man ist mit sich in seinem Gedankenkleid allein. Ich ertappe mich dabei, wie ich im Vorbeifahren in die hell erleuchteten Zimmer anderer sehe und mir vorstelle, welche Geschichten hinter jedem einzelnen dieser Fenster wohl gerade das Leben schreibt.

Robert und Clara Schumann am Klavier. Gustave Adolphe Mossa in 'L'Illustration' Christmas number, December 1922 | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Robert und Clara Schumann am Klavier | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Es gibt ein Stück von Deinem Robert, das ich als eine direkte Seelenanrührung zu Dir empfinde: "In der Nacht" aus den "Fantasiestücken". Ich sehe darin einen Spiegel seiner Gefühle, wenn Du, Clara, im nächtlichen Geistertreiben nicht bei ihm bist und er sich wiederum vorstellt, wie es für Dich sein muss, allein ohne ihn. Da sehe ich auch Parallelen zu Deinem Scherzo Nr. 2 in c-Moll: Ich fühle deine schmerzende Sehnsucht, wenigstens in Gedanken die Entfernung von Robert zu überwinden, ihr folgt der vergeblicher Versuch, sie durch inneres Seufzen zu besänftigen.
Ich kenne diese Sehnsucht, wenn ich auf Reisen bin. Meine Konzerte befreien mich von diesem inneren Wehen. Ich öffne mein Gedankenkleid und lege es wie einen Mantel um mein Publikum. Dieser Moment des gemeinsamen Atmens ist für mich das größte Geschenk.
Dafür danke ich Eurer Liebe, vermittelt in Musik. Danke, dass Ihr Eure Geheimnisse teilt.
Deine Sophie

Hier anhören: Sophie Pacini schreibt an Clara Schumann: Brief 2 - Reisen.

Brief 3: Liebe

Liebe Clara,
heute möchte ich mit einem Gedicht beginnen:

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn’, o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab!
Du bist die Ruh, du bist der Frieden,
Du bist vom Himmel mir beschieden.
Dass du mich liebst, macht mich mir wert, 
Dein Blick hat mich vor mir verklärt, 
Du hebst mich liebend über mich, 
Mein guter Geist, mein bess'res Ich!

Robert und Clara Schumann | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Clara und Robert Schumann | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Friedrich Rückert schrieb diese Zeilen auf, Robert vertonte sie in seiner "Widmung" an Dich so, dass sie noch heute wie elektrisierende Schwingungen durch meine Finger strömen, wenn ich die Noten spiele. Was für eine Liebeserklärung! Sie lässt mich ahnen, welche Saiten Du bei Robert zum Klingen gebracht hast. Er wählte As-Dur als Tonart für den Liebesbeweis, beginnt besänftigend und zugleich mit aus der Tiefe kommender Leidenschaft. Im Mittelteil wechselt er nach E-Dur, nimmt Dich an die Hand und führt dich durch die Zimmer seiner Wehmut. Ja, so fühlt sich Seelenverwandtschaft an.
Und Du hast diese Musik dann gespielt, hast mit Deinen Fingern den Regungen seiner Seele nachgespürt und damit Eure gemeinsamen Lebenslinien nachgezeichnet. Damit hast Du für mich eure Liebe zum Wappen romantischen-zeitlosen Geistes gemacht.
Ich war elf Jahre alt, als ich zum ersten Mal von eurer geschichtsschreibenden Liebe erfuhr. Die sinnliche Dramatik Eurer Romantik ist für mich zum Vorbild geworden. Ich habe mir die Liebe wie ein unzertrennbares Band vorgestellt. Keine leichte Voraussetzung für den Mann, der später einmal mein Herz erobern sollte.
Als Pianistin habe ich von Euch gelernt, was es bedeutet, einen Auftrag als Musikerin bekommen zu haben: Gefühle zu erzeugen, mein Innerstes nach außen zu kehren, offene Geheimnisse zu teilen, meine eigene Verletzlichkeit in Mut zu verwandeln. Mut, das eigene Ich zu entdecken und zu verstehen und die ständig wechselnden Facetten von Liebe zu ergründen.
Danke, Clara.
Deine Sophie

Hier anhören: Sophie Pacini schreibt an Clara Schumann: Brief 3 - Liebe.

Brief 4: Hände

Liebe Clara,
wenn ich Porträts von Dir ansehe, fühle ich mich besonders heimisch beim Anblick deiner Hände. Ich sehe bei Dir sofort die muskulär ausgestalteten Hände einer Schaffenden, einer zupackend mutigen Frau. Würde man gar nicht so erwarten bei einem so eleganten Frauenbild.
Was ich über dein Klavierspiel mit diesen Händen gelesen habe, zeugt von grenzenloser Virtuosität – erstmals so zu hören. Andere schreiben von Deiner "männlichen" Art zu spielen, voll Kraft und loderndem Feuer. Ist wohl, damals wie heute, als Kompliment gemeint. Und dann wiederum kritisieren sie Dich, werfen dir "reine Virtuosität" vor, Emotionslosigkeit, die sie verwechseln mit Deinen hervorstechenden technischen Fähigkeiten.

Clara Schumann am Klavier, Holzschnitt 1882 | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER Clara Schumann auf einem Holzschnitt | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER Ich kenne das. Auch ich wurde in meiner Jugend mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Mein Weg, damit umzugehen, war die Überzeugung, dass Technik und Emotion sich nicht ausschließen müssen. Aber die Gefühle können erst freigelassen werden, wenn ich mich nicht mehr um mechanisches Erklimmen eines Werks kümmern muss. Das ist für mich dann Virtuosität, von lateinisch "virtus" für "Gestaltungskraft".
Eines der besten Beispiele ist hier für mich Roberts Toccata in C-Dur, op. 7. Offensichtlich wollte er etwas Unspielbares, etwas wie ein Perpetuum mobile à la Paganini komponieren, einen kaum technisch zu erreichenden Höhepunkt in der Klavierkunst schaffen, und damit die rein versierte Seite eines Pianisten demonstrieren. Warst Du ihm hier Vorbild?
Das Endergebnis ist brillant: auf der einen Seite diese diabolische technische Herausforderung, aber eben auch eine musikalische Sternstunde. Also das Paradestück von Virtuosität in, wie ich fühle, unserem Sinne: Technik nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Basis für musikalische Ekstase. Ich bin sicher: Du hast ihn dazu inspiriert.
Danke, dass Du auch mir Vorbild warst und immer sein wirst!
Deine Sophie

Hier anhören: Sophie Pacini schreibt an Clara Schumann: Brief 4 - Hände.

Brief 5: Vater

Liebe Clara,
heute ist mir beim Partiturensuchen ein Bild in die Hände gefallen. Darauf: Mein Papa und ich. Ich sitze am Klavier und spiele Tonleitern und Etüden als Vorübung. Um ehrlich zu sein, waren diese ziemlich langweilig und anstrengend zugleich. Deshalb hatte mein Papa, der kein Musiker ist, aber umso musikliebender, die Idee, mich mit einem Rosenstöckchen, das er gefunden hatte, zu "dirigieren", dazu machte er lustige Grimassen. Ich hatte meine Lieblingsjeans an, mit Pfauenfedern darauf. Und die Haare hatte ich mir gerade abschneiden lassen zu einem Kurzhaarschnitt, eine Afrikanerin am Münchner Marienplatz hatte mir eine mit buntem Faden und Perlen umwickelte Haarsträhne geflochten. Mein italienischer Papa trug – natürlich – einen gelben Pullover und eine rote Jeans.

Die Pianistin Sophie Pacini | Bildquelle: Susanne Krauss Sophie Pacini | Bildquelle: Susanne Krauss Es war Sommer, und obwohl er zu Recht sehr darauf Wert legte, dass ich die Übungen diszipliniert durchführe, so wollte er doch auch, dass seine "Piccina", seine "Kleine", auch was zu lachen hat, wenn sie die Ferien schon am Klavier verbrachte. Dass die Schulferien eine intensive Übephase waren, habe ich immer nach dem Motto "Talent verpflichtet" betrachtet. Meinem Papa war es immer wichtig, nicht das Klischee des "Wieck-Vaters", also Deines Vaters, zu erfüllen. Er hatte panische Angst vor diesem Vorurteil. Dabei finde ich, dass auch der Ruf Deines Vaters falsch überliefert ist. Und mein Papa war eh bei Konzerten oder Meisterkursen weit und breit der einzige Vater, der seine Tochter begleitete, sonst standen auf weiter Flur nur sogenannte "Tiger Moms" an der Seite ihrer Kinder.
Anders als bei mir war Dein Vater auch Dein Lehrer. Aber genau wie bei mir, war er Dir sehr nah. Ich habe mich sehr oft in Gedanken mit Dir unterhalten, wie man denn auch nach außen hin diese innige Verbindung zum Vater erklären kann: zu einem Vater, der die Begabung der Tochter erkannte und zum Maximalen fördern wollte. Dass eine gewisse Strenge zum Einhalten dieses Kurses nötig war, dass er fürchtete, dass ich noch nicht zu jedem Zeitpunkt begreife, welches Glück meine Begabung bedeutet – das alles ist für uns beide, liebe Clara, wortlos, tief verständlich und erwünscht gewesen.         
So verstehe ich dich, wenn ich Deine Briefe an Robert lese. Dein Mann konnte seinen Schwiegervater erst spät schätzen. Er wollte Dein Herz erobern, was Dein Vater aus den eben genannten Gründen verhindern wollte! Deine Briefe haben mir jedenfalls geholfen, den Vorurteilen gegen meinen Vater zu begegnen. Denn auch dir war es wichtig, eure Vater-Tochter-Beziehung ins rechte Licht zu rücken. Schreibst du doch: "Denke, dass er nur aus Liebe zu mir so an Dir gehandelt, Robert – Du liebst mich und beglückst mich, wenn Du ihm vergibst, von Dir möchte ich ihn nicht verkannt wissen – jeder Mensch hat seine Fehler. Ich und auch Du, wenn Du es mir nicht übelnimmst."
Und damit beende ich meinen heutigen Brief, liebe Clara.
Deine Sophie

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