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Wolfgang Amadeus Mozart Streichquartett G-Dur, KV 387

Es ist wirklich verwirrend: die sogenannten "Haydn-Quartette" stammen nicht etwa von Joseph Haydn, sondern von Wolfgang Amadeus Mozart. Gemeint sind die sechs Quartette, die Mozart seinem väterlichen Freund gewidmet hat. Das erste von ihnen entstand 1783 und ist unser heutiges Starkes Stück. Neun Jahre lang hatte Mozart kein Quartett mehr geschrieben. Was er nun, in den ersten Wiener Jahren, in der Königsdisziplin der Kammermusik verwirklicht, ist ein Aufbruch zu neuen Ufern. Bernhard Neuhoff stellt Ihnen das Stück gemeinsam mit Erich Höbarth, dem Primarius des Quatuor Mosaïques, vor.

Wolfgang Amadeus Mozart | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Die Sendung zum Anhören

Ein "Tritt im Arsch" beförderte Mozart in die Freiheit. Verabreicht hat ihn seine Durchlaucht, Karl Josef Maria Felix Graf von Arco, seines Zeichens Obrist-Küchenmeister des Salzburger Fürsterzbischofs, aus Zorn über einen jungen Komponisten, der sich partout nicht als Dienstbote behandeln lassen wollte. Der Entschluss, den Dienst am Salzburger Hof zu quittieren, war der Wendepunkt in Mozarts Leben. Wer das G-Dur-Quartett, das in den ersten Wiener Jahren entstanden ist, verstehen will, muss sich zuallererst den Mut klarmachen, den Mozarts neues Leben erforderte: gegen den Willen des Fürsten und des Vaters fortgehen, heiraten, sich als freier Künstler auf dem freien Markt positionieren. Und das auch noch mit Werken, die so kompromisslos waren, dass die Erstdrucke aus Italien zurückgeschickt wurden – da seien ja lauter Druckfehler drin! Es waren keine – es waren nur buchstäblich unerhörte Klänge. Noch der junge Beethoven erzählt: "Man sagte von den 6 Mozartschen Quartetten, dass sie zum totlachen seyen, sie stimmten gar nicht."

Werke für die Ewigkeit

Wie lässt sich das Unverständnis des damaligen Publikums erklären? Erich Höbarth, der Primarius des Quatuor Mosaiques, erklärt: "Erstens wollte Mozarts hier wirklich Werke für die Ewigkeit schaffen – im Gegensatz zu den Quartetten vorher, die eher leicht sind. Aber ich glaube auch, dass sich Umstände für die Musiker damals geändert hatten. Haydn musste noch wie ein Lakai im Vorzimmer warten, dass der Fürst ihn ruft. Als Mozart nach Wien kam, war das nicht mehr ganz so."

Berühmter Mann und mein teuerster Freund, nimm hier meine Kinder!
Mozart in seiner Widmung der sechs Quartette an Haydn.

Sechs Quartette für Haydn

Joseph Haydn, dem 24 Jahre älteren Freund, hat Mozart gleich einen ganzen Zyklus von sechs Quartetten gewidmet. Das in G-Dur bildet den Auftakt. In seinem Vorwort wendet sich Mozart direkt an Haydn: "Berühmter Mann und mein teuerster Freund, nimm hier meine Kinder! Sie sind wahrhaftig die Frucht einer langen und mühevollen Arbeit, doch ermutigte und tröstete mich die Hoffnung, sie wenigstens zum Teil belohnt zu sehen. Und so lege ich Dir denn meine Kinder ans Herz in der Hoffnung, sie werden Deiner Liebe nicht ganz unwürdig sein."

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Mozart schreibt für Kenner

Joseph Haydn | Bildquelle: Claudia Maria Knispel: "Joseph Haydn", Reinbek 2003 Joseph Haydn | Bildquelle: Claudia Maria Knispel: "Joseph Haydn", Reinbek 2003 Dass Mozart seine Quartette einem Kollegen widmet und nicht etwa irgendeinem adeligen Sponsor, ist symptomatisch. Mozart schreibt hier für Kenner. Und die angesehensten Komponisten der Zeit sind es, die diese Musik zum ersten Mal spielen. An der ersten Geige sitzt Haydn, an der zweiten Dittersdorf, Mozart selbst spielt die Bratsche und Vanhal das Cello. Bei einer dieser Quartettgesellschaften ist auch Mozarts Vater Leopold anwesend. Haydn geht auf ihn zu und meint: "Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne; er hat geschmack und über dies die größte Compositionswissenschaft."

Experimente mit bunten Kontrasten

Doch Mozart geht ganz bewusst eigene Wege. Während Haydn in seinen zwei Jahre zuvor erschienenen Quartetten op. 33 auf klassische Ausgewogenheit setzt, experimentiert er mit bunten Kontrasten auf engstem Raum. Wie bringt es Erich Höbarth auf den Punkt? "Bei Mozart kommt hinzu, dass seine Persönlichkeit eine extrem schillernde Persönlichkeit war, die blitzschnell gewechselt hat zwischen tiefer Abgründigkeit und gelöster Heiterkeit. Bei Haydn haben wir es eher mit einer ausgeglichen Person zu tun. Die musikalische Form ist bei ihm aber ebenso phantastisch durchorganisiert. Mozart hingegen war ein schillernder Mensch – so stelle ich ihn mir vor."

Verfremdungen im Menuett

Im Menuett lässt Mozart gegen den Takt jede zweite Note im forte spielen – ein Verfremdungs-Effekt, der damals viele Hörer aus der Bahn geworfen haben dürfte. Erich Höbarth sagt dazu: "Vielleicht kann man das mit einem Trompeter vergleichen, der einen Ton mit und einen ohne Dämpfer spielt".
Vielleicht der schönste Satz ist das Andante. Gleich am Beginn setzt Mozart ganz auf den Klang: Reines C-Dur, sonor aufgebaut auf dem tiefsten Ton im Quartett: der leeren C-Saite des Cellos. Erich Höbarth: "Ich glaube, da ist auch ein bisschen die Vorstellung eines Kontrabasses dabei: aus der Tiefe kommend. Also auf den langsamen Satz freue ich mich jedes Mal unglaublich!"

Manifest der neu gewonnenen Freiheit

Quatuor Mosaïques | Bildquelle: Philharmonie Essen Quatuor Mosaïques | Bildquelle: Philharmonie Essen Und das Finale? Experimentiert wie die Jupiter-Symphonie mit der barocken Form der Fuge. Doch Mozart schreibt hier nicht nur noch kunstvoller als in den anderen Sätzen, er geht auch ganz bewusst mit dem Gegenteil ins Extrem. Unmittelbar auf die mit wissenschaftlicher Präzision durchexerzierte Fuge folgt ein ungeniert trällernder Gassenhauer: Spekulative Hirnarbeit prallt auf ungehemmten Populismus. Es ist, als wollte Mozart beweisen, dass er kompositorisch vor nichts, aber auch gar nichts zurückschreckt. Diese Musik nimmt es spielend nicht nur mit den vertracktesten Dingen auf, sondern auch mit den trivialsten. So ist das G-Dur-Quartett ein Manifest der neu gewonnenen Freiheit. Erich Höbarth fasst es zusammen: "Es gibt ununterbrochen Überraschungen! Mozart lässt sich auf nichts festlegen, so dass man bis zum Schluss aus dem Staunen nicht herauskommt."

Musik-Info

Wolfgang Amadeus Mozart
Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello G-Dur, KV 387 ("Haydn-Quartett" Nr. 1)


Quatuor Mosaiques
Label: Astree

Sendung: "Das starke Stück" am 04. Oktober 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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