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Tom Fritz vom Max-Planck-Institut Leipzig Klänge für die Fortpflanzung

Kann Musik sexy sein? Das hat zumindest die Mehrheit der Probanden so empfunden, die in Leipzig an einer Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften teilgenommen haben. Professor Tom Fritz hat dabei untersucht, wie Musikhören Berührung beeinflusst - konkret: ob wir, wenn wir Musik hören, die wir als verführerisch empfinden, im selben Moment anders auf Berührung reagieren. Die These dabei: Wenn dem so ist, dann spielt Musik eine existenzielle Rolle bei der Fortpflanzung.

Neurowissenschaftler und Musikforscher Dr. Tom Fritz am Max-Planck-Institut | Bildquelle: picture alliance / ZB

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Prof. Tom Fritz: Das Interview zum Anhören

Musik und Berührung

BR-KLASSIK: Sie haben in ihrer Studie zu Musik und Berührungen ja eine ganz konkrete Versuchsanordnung gehabt: Was genau haben Sie untersucht und zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Tom Fritz: In einer kürzlich durchgeführten Studie zeigen wir, dass, wenn man Musik hört, die man als besonders sinnlich ansprechend, also sexy empfindet, es so genannte Transfer-Effekte auf gleichzeitig stattfindende Berührungen gibt. Im Labor sieht es so aus: Es kommt jemand rein, setzt sich auf einen Stuhl um dort Musik zu hören, und steckt den Arm durch einen Vorhang; er geht davon aus, dass er nebenan durch Pinsel von einer Versuchsleiterin oder einem Versuchsleiter berührt wird, während er Musik hört. Er soll aber die Musik ganz ignorieren und nur die "Sexyness" der Berührung am Arm einschätzen. Tatsächlich ist es aber so, dass währenddessen die Teilnehmer von einem Pinsel-Roboter berührt wurden, der ganz standardisiert Berührungsreize gegeben hat. Und da sehen wir, dass es tatsächlich die Musikstücke waren, welche die Einschätzung von Berührung während des Experiments systematisch beeinflusst haben, dass es also einen sogenannten Transfer gab - der Sexyness von Musik auf die Sexyness der wahrgenommenen Berührung.

Die subjektive Erfahrung entscheidet

BR-KLASSIK: OK, aber da fallen mir jetzt mehrere Fragen ein. Verführerisch ist ja eine sehr subjektive Angelegenheit. Wann empfindet jemand Musik als verführerisch oder als sexy? Wie haben Sie denn in ihrer Studie unterschieden?

Tom Fritz: Also zunächst gehen wir davon aus dass es schon Musik gibt, die mehr sexy ist als andere Musik und haben uns darum bemüht, verschiedene Musikstücke zusammen zu suchen, die vergleichbar sind hinsichtlich der Instrumentierung etc. Es hat sich dann aber während des Experiments herausgestellt, dass es tatsächlich enorme Unterschiede gibt, wie stark man ein bestimmtes Musikstück als sexy oder nicht sexy empfindet. Und diese subjektive Erfahrung ist auch wirklich dafür entscheidend, wie sehr man also nun eine Berührung als mehr oder weniger sinnlich einordnet.

Es gibt enorme Unterschiede, wie stark man ein bestimmtes Musikstück als sexy oder nicht sexy empfindet.
Tom Fritz

Musik hat evolutionäre Relevanz

BR-KLASSIK: Mich würde auch mal interessieren: Was könnte denn daraus folgen, wenn ich eine Berührung mit der entsprechenden Musik im Hintergrund angenehmer empfinde? Kann man so etwas zum Beispiel in der Medizin einsetzen, etwa wenn ich zum Zahnarzt gehe - was ich bestimmt als unangenehm empfinde - oder bei Operationen oder sonstigen Gelegenheiten, wo es einem wirklich unwohl ist. Kann man da irgendwie helfen?

Tom Fritz: Es ist so, dass wir auch schon wissen, dass Musik eine Reihe von interessanten Transfer-Effekten hat. Es gibt zum Beispiel den Effekt, dass, wenn man Musik hört, die man als fröhlich empfindet man eher dazu tendiert, neutral schauende Gesichter als fröhlich zu identifizieren. Und wenn man umgekehrt Musik hört, die traurig ist, dann klassifiziert man neutrale Gesichter tendenziell als traurig. Wir haben uns jetzt für den Effekt von Musik interessiert, wo es um die Frage geht, ob Musik tatsächlich doch eine evolutionäre Relevanz hat - dass also musikalische Fähigkeiten tatsächlich auch das Menschsein in irgendeiner Art und Weise systematisch geformt haben. Und das Ergebnis dieser Studie spricht tatsächlich dafür - gerade über diesen Einfluss auf Fortpflanzung.



Die Musik:

Den Teilnehmern wurden verschiedene Musikstücke vorgespielt, die sie selbst auf einer Skala zwischen „überhaupt nicht sexy“ bis „extrem sexy“ eingeordnet hatten.
Als "sexy" wurde etwa Doris Days Version von "Dream a little dream" charakterisiert, als "nicht sexy" Frank Sinatras "New York, New York".

Aus der Mitteilung des Max Planck-Instituts Leipzig zur Studie:

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen auch, welche evolutionäre Bedeutung Musik als soziale Technologie hat“, erklärt Prof. Tom Fritz. Indem sie je nach Musikstück unsere Interpretation von Berührung und anderen Sinneseindrücken beeinflusst, lenkt sie auch unser Verhalten in Gruppen und damit letztlich sogar potenziell unsere sexuelle Selektion und unsere Fortpflanzung. Die Erkenntnisse widersprechen damit der Hypothese des bekannten Kognitionswissenschaftlers Steven Pinker, nach der Musik nur ein „auditory cheesecake“ sei, also ein angenehmes Dessert, das aber aus evolutionärer Sicht von geringer Bedeutung und nicht mehr als ein Nebenprodukt von Sprache sei.


Die Fragen stellte Annika Täuschel für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 17. Oktober 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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