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Valletta - Kulturhauptstadt 2018 Pizza und Porridge, Caravaggio und Hasenbraten

Valletta ist mit gerade einmal 6.000 Einwohnern die kleinste Hauptstadt Europas und zusammen mit Leeuwarden Kulturhauptstadt 2018. Die meisten Malteser können jedoch mit dieser Bezeichnung nicht viel anfangen. BR-KLASSIK-Moderatorin Sylvia Schreiber ist nach Valletta gereist, hat Land und Leute besucht und dabei vieles - auch Kurioses - entdeckt.

Kulturhauptstaddt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber

Bildquelle: © Sylvia Schreiber

Wie hingegossen thront Valletta über dem Mittelmeer, erbaut aus hellem Kalkstein, dem "Malta Stone": Wohnhäuser, Kathedralen, Leuchttürme, Präsidentenpalast, Hafenanlagen und die vielen Festungen mit ihren massigen Schutzmauern. In der Sonne schimmert die Stadt wie aus purem Gold. Von jeder Ecke grüßt eine Heiligenfigur, die typischen Erker aus Holz hängen wie dicke Schwalbennester an den Fassaden, in dunkelgrün, blau oder weinrot. 

Valletta: Stadt der Gegensätze und Gegenwelten

Kulturhauptstadt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Kulturhauptstadt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Wenn dann aber mal wieder einer dieser typischen Platzregen für Weltuntergangsstimmung sorgt, offenbaren sich überall die Spuren der Vergänglichkeit: Die Gemäuer zeigen ihre tiefen Furchen, elektrische Leitungen ragen in die Luft wie die Tentakeln eines Seeungeheuers, lose Dachrinnen scheppern rhythmisch im Wind und das Meer peitscht bedrohlich von drei Seiten in die Stadt.

Valletta vereint in sich Gegensätze und Gegenwelten. Hier könnte das Wort "Mischmasch" erfunden worden sein. Denn es trifft auf fast alles zu, angefangen bei der Sprache: Maltesisch ist eine Mischung aus Italienisch und Arabisch, die Aussprache haarsträubend kompliziert. Zum Glück beherrscht aber ausnahmslos jeder auch Englisch, die zweite Amtssprache, denn Malta war noch bis 1964 britische Kolonie.

Playmobil, Panama-Papers und Ketchup

Und so kommt man schnell ins Reden mit dem Gemüseverkäufer, dem Busfahrer oder auch dem Kellner, der einem rät, den Espresso lieber direkt an der Bar einzunehmen, weil man dabei die Leute besser kennen lernt. Und wo man auch prompt in ein Gespräche verwickelt wird: über das angestiegene Bruttosozialprodukt des Landes, was die Malteser stolz macht, die Panama-Papers, die eigentlich keinen interessieren, über die größte Fabrik des Landes, die das beste Ketchup der Welt produziert und die andere berühmte Fabrik, Playmobil, die Kinder auf der ganzen Welt mit Plastikfiguren glücklich macht.

Ein Rundgang durch Valletta

Und über Fußball: Ein stämmiger Mann mit Schiebermütze schlürft an seinem Kaffee und fasst Details aus einem Spiel gegen Deutschland zusammen. Wenige Minuten hat Malta im Jahr 1984 gegen die Fußballgötter aus Deutschland geführt. Er war damals gerade 23 und Stürmer in diesem legendären Spiel! Heute arbeitet er als Taxifahrer und er mag sie immer noch, die Deutschen: Sie stehen für guten Fußball und gute Autos. Dann klingelt sein Handy. Kundschaft aus einem der vornehmen Hotels von Valletta. Er ruft ein fröhliches "See you!", stopft sich den Spinatstrudel in den Mund und sprintet zu seiner funkelnagelneuen schwarzen E-Klasse.

Melting Pot und Meeting Point im Mittelmeer

Kulturhauptstaddt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Kulturhauptstaddt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Valletta ist so etwas wie ein riesiges Freiluftmuseum. Die komplette Stadt steht mit ihren mehr als 300 historischen Bauwerken unter Denkmalschutz, ihre Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe. Und doch können die meisten Malteser mit der Bezeichnung "Kulturhauptstadt Europa" nicht viel anfangen. Sie empfinden ihr Valletta unabhängig von diesem Titel sowieso als eine Art Vorgänger der Europäischen Union. Seit über 450 Jahren ist Malta Melting Pot und Meeting Point im Mittelmeer. Hier lebte seit jeher ein Mischmasch von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion. Dass nun für "V 18" (Valletta 2018) die Behörden die Altstadt mit einem neumodischen Portal des Stararchitekten Renzo Piano heraus geputzt haben, dass der öffentliche Nahverkehr ausnahmsweise auf die Sekunde genau funktioniert und dass im Jahr 2018 häufiger irgendwelche Flötenquartette oder Streicherensembles auftreten, nehmen die Bewohner mit der für Insulaner typischen Gelassenheit hin.

Kulturelles und Kulinarisches

Als "reines Touristenprogramm" werden die rund 400 Veranstaltungen zur Kulturhauptstadt gelegentlich abgetan. Die sich daraus ergebenden lukrativen Geschäfte nehmen die Malteser selbstverständlich gerne mit, vor allem im kulinarischen Bereich. Denn der Tourist bringt nicht nur Hunger auf Kultur mit, sondern ihm knurrt auch der Magen. Also wird aufgetischt, was die Geschichte der Insel her gibt, quasi Landesgeschichte per Speisekarte: An oberster Stelle stehen Baked Beans, Fish and Chips oder Porridge. Für alle, die nicht zwangsweise regnerisches Wetter brauchen, um typisch britisch genießen zu können. Hier schlägt sich nieder, dass Malta mit der Eröffnung des Suezkanals 1869 für die Briten zur bedeutenden Schaltstelle auf dem Weg vom Mutterland zur Kanalzone und weiter zu den Kolonien gewesen ist. Und nicht zu vergessen: Malta spielte im Zweiten Weltkrieg für die Briten eine wichtige Rolle als "unversenkbarer Flugzeugträger".

Pasta und Pizza gibt es für alle, die sowieso auf der ganzen Welt am liebsten Italienisch essen. Viele italienische Architekten haben im Barock den Stil der Kirchen und Kathedralen geprägt. Rund 365 solcher Bauwerke kann man auf Malta und seinen Nachbarinseln besichtigen, für jeden Tag des Jahres eine Kirche! Und auch der von üppigen, festlichen Ritualen bestimmte Katholizismus auf Malta hat seine Wurzeln in Italien. Schließlich darf ein "Best of" der arabischen Küche nicht fehlen: Falafel, Krautsalat, Kichererbsenmus. Und das, obwohl die Spuren der islamischen, also der nordafrikanisch-arabischen Kultur schon über 1.000 Jahre zurück liegen. Für den Appetit zwischendurch verkaufen greise Frauen handgemachtes süßes Hefegebäck.

Glitzer und Gerippe

St. John’s Co-Cathedral in Valletta | Bildquelle: picture-alliance/dpa St. John’s Co-Cathedral in Valletta | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ausgiebig gestärkt sollte man auf jeden Fall sein und mit Sonnencreme eingeschmiert, wenn man sich vor der St. John´s Cathedral in die Schlange einreiht. Die schlichte Außenfassade der Kathedrale aus dem späten 16. Jahrhundert hat man nach einer guten halben Stunde Wartezeit ausreichend studiert: zwei Glockentürme, gelber Stein, im Dreiecksgiebel thront das achtspitzige Malteserkreuz. Das Warten findet seinen Abschluss in der obligatorischen Plauderei mit der Dame an der Kasse: "Schauen Sie sich den Caravaggio an," flüstert sie jedem verschwörerisch zu. Na klar, deshalb hat man sich schließlich in der prallen Sonne die Beine in den Bauch gestanden. Kaum betritt man das kühle Innere der Kathedrale, sind die Worte der Kassiererin und damit auch der Caravaggio glatt vergessen. Goldverziert ist der Innenraum, prunkvoll geschmückt mit Lapislazuli der Hochaltar – für seine Ordenskirche hat der Malteserorden ein ordentliches Sümmchen springen lassen. Selbst Napoleon hat die Ausstattung fasziniert - so sehr, dass er sie komplett plündern ließ. Nur ein Bruchteil konnte später zurück gekauft werden.

Kulturhauptstaddt 2018 - Valletta auf Malta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Intarsienarbeit auf dem Boden der St. John’s Co-Cathedral in Valletta | Bildquelle: © Sylvia Schreiber Was heute übrig ist, beeindruckt aber immerhin noch. Irgendwann muss man den vom Geglitzer ermüdeten Blick zur Erholung auf den Boden senken, um dort in einem Skelettreigen zu versinken: Die Gerippe grinsen, drohen, kauern, studieren, liegen und tanzen. Aus unzähligen Grabplatten besteht der Boden der St. John´s Cathedral, alles feine Intarsienarbeiten aus Marmor. Hier lässt der Tod schön grüßen, im buchstäblichen Sinne. Im Kopf noch ganz mit diesem "Memento mori" beschäftigt, schreitet man gemächlich über die Marmorplatten durch die verschiedenen Seitenkapellen der Kathedrale. Bis er dann plötzlich erschütternd groß vor einem hängt, der Caravaggio: "Die Enthauptung Johannes des Täufers". Mit einem Hang zu dramatischer Selbstinszenierung hat Caravaggio seinen Namen in die Blutlache geritzt. Exakt für diese Position über dem Altar hat er das Gemälde während seines eineinhalb Jahre währenden Asyls auf Malta angefertigt. Wie schmucklos und doch so spektakulär wirkt es; hier kann man den Blick eine halbe Ewigkeit in die Personen versenken, in die Bildkomposition. So lange, bis sich wieder der Hunger nach noch mehr von dieser Stadt meldet. Dann geht es über die Hügel und durch die schnurgeraden Gassen von Valletta auf die Pirsch nach einer erfrischenden Badestelle, nach einem Gespräch über Fußball und Erdbeerfelder, nach noch mehr Spuren aus der Ritterzeit und nach einem delikaten Hasenbraten.

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