Festspielzeit 2023
Der Musiksommer mit BR-KLASSIK
Kennen Sie Joseph Weigl? Seine Oper "Die Schweizer Familie" war im 19. Jahrhundert ein Hit. Beim diesjährigen Davos Festival gelangte sie zur Aufführung - einschließlich einer von Richard Wagner eigens hinzukomponierten Arie. Und auch sonst hatte das Festival einiges zu bieten.
Bildquelle: © Yannick Andrea
Natürlich ist er pünktlich. Für 17 Uhr war der Mozart-Express per Lautsprecherdurchsage angekündigt worden und keine Minute später geht es auch schon los. Ein halbes Dutzend junger Musiker spielt Mozart im Wartesaal des Bahnhofs von Davos Platz. Der Großteil des Publikums kam absichtlich, doch einige schauen auch spontan vorbei - zum Beispiel ein Vater mit drei kleinen Kindern. Die vier bewältigten offenbar gerade eine Bergwanderung. Ihre anfängliche Verwunderung über dieses Davoser Platzkonzert schlägt rasch in konzentriertes Zuhören um.
Regelmäßige Gratisauftritte junger Künstler sind eines der Markenzeichen des Festivals. Auch in Cafés oder auf Berghütten gibt es Klassisches und Experimentelles. Reto Bieri, Weltklasse-Klarinettist und seit drei Jahren Intendant, pflegt und liebt die Vielfalt. Allerdings sind seine Programme genau komponiert, da treffen auch mal Volksliedklänge und hehres Konzertrepertoire aufeinander und es ergeben sich ohrenöffnende Aspekte. Beim Frühstück im Festivalhotel Schweizerhof wird man zum Mitsingen animiert, vor dem Eingang steht ein Klavier zum Ausprobieren oder virtuosen Konzertieren, abends gibt es statt banaler Hintergrundmusik vom Lautsprecher häufig tanzbare Live-Sounds.
Joseph Weigls "Die Schweizer Familie" beim Davos Festival | Bildquelle: © Yannick Andrea Besonderes Aufsehen erregte in diesem Jahr ein gewisser Richard Wagner - und zwar mit nur einer einzigen Arie. Wagner reiste ja gern und oft durch die Schweiz und ließ sich von anstrengenden Bergwanderungen zu Siegfrieds Hornrufen oder stürmischen Orchestereinsätzen im "Ring" animieren. Bevor Wagner sein eigener Lieblingskomponist wurde, schätzte er bekanntlich so manchen Franzosen - und auch den Österreicher Joseph Weigl (1766-1846), der mit seiner Oper "Die Schweizer Familie" einen Hit landete. 1809 kam das Stück in Wien heraus und machte Weigl, der Schüler Antonio Salieris und Patenkind Joseph Haydns war, weltberühmt. Weigls Musik verweist schon auf Schubert, sonnt sich aber auch noch im Glanze Mozarts - dem Weigl übrigens in Wien assistierte. Es ist ein wunderbar lyrischer, sehr innovativer Tonsatz, mit fein gestalteten Gesangslinien und pfiffigen orchestralen Wendungen.
Joseph Weigls "Die Schweizer Familie" beim Davos Festival | Bildquelle: © Yannick Andrea Der Inhalt der Oper? Nun ja, ein deutscher Graf wird von einem Schweizer namens Boll aus Bergnot gerettet, daraufhin lädt er dessen Familie zu sich ein und errichtet ihr ein Wolkenkuckucksheim, welches sie an die Heimat erinnern soll. Das junge, zudem noch unglücklich verliebte Schweizer Töchterchen Emmeline - 1822 verkörpert von der legendären Wagner-Doyenne Wilhelmine Schröder-Devrient, in Davos ansprechend gesungen von Sarah Kollé - wird vorübergehend wahnsinnig und erst nach ein paar dramaturgisch holprigen Wendungen sorgen Weigls sanft versöhnliche "Kuhreigen"-Klänge für das frohe Finale. Für das Davos Festival hat Philip Bartels jetzt eine Kammerfassung mit vielen Einlagen von Schlagwerk und präpariertem Klavier geschaffen. Riccardo Bovino leitete mit sicherer Hand ein kompetentes Instrumentalensemble, Andreas Felber studierte den famosen Davoser Festivalchor ein. Lediglich die Regie von Mathias Behrends blieb zu handzahm und bieder.
Bartels Kollege Richard Wagner schrieb dem armen Schweizer Bauern Richard Boll damals eine prachtvolle Bass-Arie in die Kehle, diese verweist auf den "Tannhäuser" und war erstmals nach vermutlich 140 Jahren wieder zu hören. Frédéric Jost erweckte sie mit viel Kraft zum Leben. Mit wuchtigem Kolorit inszeniert Wagner in dieser kurzen Nummer ein vokales Wechselspiel, Verlustgefühle, Sehnsucht nach Heimat und Vollkommenheit mischen sich mit dem Glauben an einen guten, harmonischen Ausgang der Dinge.
Von Harmonie und dem Wunsch nach Frieden handeln auch die Werke des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, dem in Davos ein ausführliches Portrait gewidmet war. Silvestrov schrieb aus Trauer um die Geschehnisse am Kiewer Maidan mehrere Choräle, die dort immer wieder aufgeführt werden. In Davos gab es viele geistliche Stücke von ihm zu hören und - als Uraufführung - eine zarte, sanftmütige "Elegie" für Bratsche solo.
Das Davos Festival findet in diesem Jahr vom 6. bis 20. August 2016 statt.