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Brigitte Fassbaender als Regisseurin Brittens "Paul Bunyan" in Frankfurt

Karo-Hemd und Axt - Paul Bunyan ist ein riesiger Holzfäller der amerikanischen Sagenwelt, der zum Beispiel den Grand Canyon erschaffen haben soll. Dieser Volksheld hat es auf die Opernbühne geschafft, das allerdings ausgerechnet durch einen Briten. Brigitte Fassbaender inszeniert Benjamin Brittens "Paul Bunyan" jetzt für die Oper Frankfurt. Oper, Operette, Musical ...? Das ist hier die Frage!

Kammersängerin und Pädagogin Brigitte Fassbaender | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Sie haben mich ja gewarnt, dass "Paul Bunyan" keine Operette ist, aber der Librettist W.H. Auden schreibt im Vorwort, dass es eine Operette sei. Eine Chorus-Operetta oder College-Operette.

Brigitte Fassbaender: Ich kann mit dem Begriff Operette für das Stück überhaupt nichts anfangen. Ich glaube eher, es ist eine merkwürdige Mischung zwischen Oper und Musical. Die englische Operette ist ja auch etwas anderes als die deutsche Operette. Also wer sich unter Operette in diesem Fall etwas wie Lehár vorstellt, der liegt ganz falsch! Für mich ist es eher ein Musical, beeinflusst von den Broadway-Musicals, die Auden und Britten damals 1939/40 gesehen haben, als sie nach New York kamen.

Diese Geschichte ist eine Parabel über die Entstehung einer Gemeinschaft, einer Welt. Wie macht sich der Mensch die Natur untertan, wie weit geht er?
Brigitte Fassbaender

BR-KLASSIK: Ich hab mich die ganze Zeit auch gefragt: Was ist es denn mehr? Ein englisches Stück oder ein amerikanisches?

Brigitte Fassbaender: Es ist (lacht) … eine gute Frage. Es ist eine Hommage an Amerika, sie haben sich diesen Volkshelden Paul Bunyan, diesen Mythos genommen - ich seh' das als eine kleine Dankesbezeugung gegenüber Amerika. Die sind ja als erklärte Pazifisten vor den Kriegswirren in Europa nach Amerika geflohen und haben da wohl gedacht, jetzt müssen wir mal was ganz Typisches in Amerika versuchen.
Das Stück ist aber damals gar nicht angekommen in Amerika, obwohl der Plot seit der Jahrhundertwende immer wieder dramatisiert wurde, als Ballett, als Schauspiel, als Programmmusik usw. Paul Bunyan ist eine ganz wichtige Figur in Amerika. Die einzelnen Staaten streiten sich darum: Wer hat ihn erfunden, wo ist er zum ersten Mal mit seinen riesigen Schritten aufgekreuzt - denn er ist ja ein Riese. Mich hat das an unseren Rübezahl oder an Goliath erinnert. Obwohl: Er hat viel Menschliches. Diese Geschichte ist eine Parabel über die Entstehung einer Gemeinschaft, einer Welt. Wie macht sich der Mensch die Natur untertan, wie weit geht er? Aber man sollte nicht zu ernst drangehen.

BR-KLASSIK: Aber die Moral am Ende kommt ja fett daher. Die Natur wird euch ertragen, aber die Maschinen und Sägen werden nie aufhören. Ich habe gelesen, dass da britischer Humor drin sei - aber ich habe mich gefragt, wo der ist.

W.H. Auden im Porträt | Bildquelle: picture alliance/Everett Collection Librettist W.H. Auden | Bildquelle: picture alliance/Everett Collection Brigitte Fassbaender: Der ist schon drin. Das ist alles sehr doppeldeutig und zwiespältig. Deshalb bin ich froh, dass wir das auf Englisch machen, denn es lässt sich gar nicht ins Deutsche übertragen, was da gemeint ist.
Ich habe ganz bewusst Abstand davon genommen, das Stück zu aktualisieren. Denn die heutigen Verhältnisse in Amerika à la Trump und Co, die sind nicht dazu angetan, um sie auf eine Bühne zu bringen. Das würde sie viel zu wichtig machen. Es ist schlimm genug, wohin das gekommen ist. Man darf nicht vergessen, dass, als Britten und Auden nach Amerika kamen, sie am Anfang an eine heile Welt glaubten. Ihre Kritik wuchs dann, an der vermeintlichen - oder vorhandenen - Kulturlosigkeit, wie Britten das in Briefen ausdrückt.
Dass sich auch eine Desillusionierung allmählich einstellte, das steht auf einem anderen Blatt.

BR-KLASSIK: Bei den Proben habe ich das Bühnenbild gesehen. Diese Dosen: Ist das Mais?

Brigitte Fassbaender: Das sind Beans. Bohnen. Das Symbol von Amerika. Campell's Bean Soup. Bohnen in Tomatensoße. Andy Warhols Dosen. Das ist ein amerikanisches Pop-Art-Symbol. Ich bin auch gespannt auf die Kostüme. Ich kenne sie ja nur in der Figurine [Zeichnung, Anm. der Red.] und bin sehr gespannt, wie das alles zusammenkommt.

BR-KLASSIK: Wie sind die angelegt?

Brigitte Fassbaender: Die werden einfach zeitlos sein. Was soll man machen mit einem Stück, wo es sprechende Bäume und sprechende Tiere gibt, was auch eine naive Märchenhaftigkeit hat. Für mich ist es ungeheuer surreal und skurril, und so werden auch die Kostüme sein. Ich wollte keinen Naturalismus. Deswegen ist auch die Holzfäller-Axt übergrößert und der Spaten ein bisschen parodiert. Realismus wäre mir bei dem Stück unerträglich.

BR-KLASSIK: Warum leben Figuren in den Dosen?

Brigitte Fassbaender: Die leben nicht da drin. Die kriegen nix anders zu essen als Bohnensuppe. Und dagegen rebellieren sie. Und die Dosen sind mal 'ne Küche, mal Auftrittsorte. Ich finde es ein sehr eindrucksvolles Bühnenbild. Eine Riesendose in der Mitte, die Dosen-Fläche, auf der getanzt wird. Das macht es unrealistisch.

BR-KLASSIK: Jetzt zu Paul Bunyan an sich. Es gibt sogar einen Paul-Bunyan-Feiertag in Amerika. Es ist eine große Figur, tatsächlich ein Riese -  bei Ihnen hatte ich jetzt den Eindruck, er ist so etwas wie ein Gott?

Brigitte Fassbaender: Das ist ein Übervater. Aber ich habe großen Wert drauf gelegt, dass er völlig unpathetisch spricht. Stattdessen: kumpelhaft, kollegial, menschlich. Und man sieht nur seinen Mund. Er tritt ja nie auf, das ist auch so gewollt. Wenn der noch pathetisch sprechen würde oder eine gewisse amerikanische Sentimentalität mit einbringen würde, wäre es für mich unerträglich.

Die Premiere

Paul Bunyan von Benjamin Britten und W.H. Auden
Am 9. Oktober im Bockenheimer Depot
Eine Produktion der Oper Frankfurt

BR-KLASSIK: Warum heiratet er eigentlich? Das ist doch unrealistisch…

Brigitte Fassbaender: Das kommt Gott sei Dank nicht vor. Es wird nur gesprochen über seine Ehe. Aber seine Tochter, die Tiny, will er unter die Holzfäller bringen, damit die auch etwas lernt vom Leben. Die verliebt sich gleich in Slim, den guten Koch. Es gibt zwei schlechte Köche, die nur Bohnensuppe servieren, und einen guten Koch, der Steaks zustande bringt - und die Tiny verliebt sich auf den ersten Blick, damit auch ein Liebespaar vorkommt.

Rigoros wird alles umgehauen, später wird es vermüllt und die Gesellschaft achtet auf gar nix mehr.
Brigitte Fassbaender über die Gesellschaftskritik in Brittens Komposition

BR-KLASSIK: Ein total schräges Stück! Welche Geschichte erzählen Sie letztlich - oder möchten Sie erzählen?

Benjamin Britten - Porträt | Bildquelle: picture-alliance / dpa Komponist Benjamin Britten | Bildquelle: picture-alliance / dpa Brigitte Fassbaender: Ich möchte erzählen, dass mit bestem Wissen und Gewissen eine Gemeinschaft entsteht, die ganz schnell durchsetzt ist mit allzu Menschlichem. Mit Neid, Eifersucht, Missgunst, Intrige. Und auf die Natur wird dann am Schluss auch nicht mehr aufgepasst. Das ist ja schon angelegt im Holzfällertum. Rigoros wird alles umgehauen, später wird es vermüllt und die Gesellschaft achtet auf gar nix mehr. Und wenn es heißt, rettet Mensch und Tier, dann winken die bloß gelangweilt ab und fressen dabei ihre Pute. Da ist schon eine gewisse Kritik an der Moral der Geschicht' drin.

BR-KLASSIK: Es gibt ja richtige Liebhaber des Stücks …

Brigitte Fassbaender: Es gibt ganz wunderbare Musik darin, und ganz großartige Chöre und großartige Instrumentationen. Ich finde es sehr interessant. Es ist es wert, dass man es macht.

Das Interview führte Susanne Prinz für BR-KLASSIK.

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