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Olga Peretyatko-Mariotti im Interview "Man muss seine eigene Vision haben"

An der Metropolitan Opera New York ist Olga Peretyatko-Mariotti in der Titelrolle von Donizettis "Lucia di Lammermoor" zu erleben. Vorab hat sich die Sopranistin mit Volkmar Fischer unterhalten.

Szenenbild aus der Donizetti Oper "Lucia di Lammermoor" an der MET | Bildquelle: © Jonathan Tichler / Met Opera

Bildquelle: © Jonathan Tichler / Met Opera

BR-KLASSIK: Es ist ja nicht ganz selbstverständlich in Künstlerkreisen, dass man sich nach der Heirat einen Doppelnamen gibt. Sind Sie besonders stolz darauf, einen Italiener geheiratet zu haben? Oder darauf, einen Dirigenten geheiratet zu haben?

Olga Peretyatko-Mariotti: Beides. Aber ich habe eigentlich an mein Publikum gedacht: Denn Peretyatko ist als Name kompliziert. Jetzt ist es noch komplizierter, aber das ist eine Übergangsphase. Und irgendwann werde ich einfach Olga Mariotti heißen: Und dann wird es leichter für alle.

BR-KLASSIK: Wie ist das, wenn Sie vergleichen, ob unten am Dirigentenpult jemand steht, mit dem sie privat verbunden sind, oder ob da ein Fremder steht. Ist das ein großer Unterschied oder ist es egal?

Olga Peretyatko-Mariotti: Eigentlich ist es egal. Der Dirigent muss allerdings mit mir atmen. Wenn er mit mir atmet, dann ist das mein Lieblingsthema. Und wenn nicht, dann haben wir Probleme. Eigentlich sollte mein Mann Michele diese Produktion dirigieren. Aber er ist 'raus.

BR-KLASSIK: Und Roberto Abbado, ist das jemand, den sie auch gut kennen?

Olga Peretyatko-Mariotti: Nein, vor dieser Produktion kannte ich ihn gar nicht. Ich habe ihn nur zweimal beim Dirigieren gesehen: allerdings mit Rossini - und nicht mit Donizetti.

Bei Bellini ist das Orchester wie eine große Gitarre.
Olga Peretyatko-Mariotti

BR-KLASSIK: Wie ist das eigentlich in dieser Belcanto-Epoche: Wir haben Rossini, Donizetti und Bellini - unterscheiden diese Drei sich sehr oder ist das Wesentliche immer nur, ob man Opera buffa hat oder Opera seria, also etwas Komisches oder etwas Ernstes macht?

Olga Peretyatko-Mariotti: Wenn man über Bellini spricht, dann ist da das Orchester praktisch wie eine große Gitarre und ausschließlich für die Sänger da. Bei Rossini ist das eine ganz andere Sache. Und Donizetti ist schon ganz nah dran an Verdi, was die Orchestrierung angeht. Donizetti ist ganz, ganz besonders. Ich würde sagen, so zwischen Belcanto und Verdi.

Jedes Mal etwas Neues mitdenken

BR-KLASSIK: Belcanto bedeutet ja nicht nur, schön zu singen, sondern man hat auch einen gewissen Text zu transportieren. Wie viel liegt Ihnen daran, dass Sie so sauber artikulieren, dass die Leute verstehen, was Sie singen?

Olga Peretyatko-Mariotti: Also die größten Schwierigkeiten im Belcanto und bei Donizetti ist nicht nur die Textverständlichkeit, sondern auch die Interpretationsmöglichkeiten und -fähigkeiten. Wir müssen etliche Male die gleiche Phrase wiederholen und dabei jedes Mal etwas Neues mitdenken. Wenn man das nicht macht, ist es einfach langweilig. Und bei der "Lucia" besonders. Der muss man einfach immer wieder eine neue Farbe geben, um die Partie interessant zu halten.

Die Kadenz ist deine Freiheit

BR-KLASSIK: So eine Nummer wie die Wahnsinns-Szene der Lucia ist etwas, wo man den Eindruck hat, die Publikums-Ovationen sind eigentlich mitkomponiert. Anders gesagt: Das ist ein Stück, das gar nicht daneben gehen kann?

Sopranistin Olga Peretyatko | Bildquelle: imago/ITAR TASS Olga Peretyatko-Mariotti | Bildquelle: imago/ITAR TASS Olga Peretyatko-Mariotti: Wenn man krank ist, dann kann das sehr gut daneben gehen. Es ist ja hauptsächlich diese berühmte Kadenz, die alle singen. Und diese Tradition ist eine gute oder schlechte, wie Sie möchten. Aber ich wollte eigentlich meine eigene Kadenz einbauen. Mal sehen, ob sie mir das erlauben. Denn normalerweise wollen die Opernhäuser diese ganz bestimmte Kadenz, die jeder kennt. Aber ich kann nicht wieder und wieder die gleiche Kadenz singen. Ich habe schon drei Produktionen von "Lucia di Lammermoor" gesungen - und das immer und immer wieder mit der gleichen Kadenz. Aber eigentlich ist die Kadenz deine Freiheit und die Sängerin kann singen, was sie zeigen will - und was sie verstecken will.

BR-KLASSIK: Da ist diese wunderbare lange Wahnsinns-Szene der Lucia. Aber trotzdem hat die Schlussszene in der Oper Edgardo. Ärgert Sie das?

Olga Peretyatko-Mariotti: Nein, gar nicht. Ich freue mich einfach immer wieder, mich nach dieser blutigen Szene schön zu machen. Das ist eigentlich sehr gut komponiert, denn dann ist man voll eingesungen.

Es geht immer um Macht, Gewalt und Liebe. Das ist das Zentrum unseres Lebens.
Olga Peretyatko-Mariotti

BR-KLASSIK: Wenn Sie sich darauf einlassen, was die Psyche oder was den seelischen Konflikt ausmacht bei dieser Frau, besteht da die Gefahr, dass es Ihnen emotional so nahe geht, dass sie sich gar nicht mehr konzentrieren können aufs Singen?

Olga Peretyatko-Mariotti: Das geht mir immer so - bei der "Traviata" zum Beispiel sogar noch mehr. Aber man muss seine eigene Vision haben von dieser Figur. Ich finde, dass sie von Anfang an nicht ganz gesund ist. Das ist von vornherein klar, wenn sie schon über diesen Geist spricht.

BR-KLASSIK: Im Belcanto ist es eigentlich so, dass sie meist nicht unbedingt moderne Figuren zu formen haben, die ins 21. Jahrhundert gehören, sondern Figuren, die der Vergangenheit angehören. Was können Sie tun, damit wir trotzdem zu Tränen gerührt werden?

Olga Peretyatko-Mariotti: Es ist immer aktuell. Es geht immer wieder um Macht, Gewalt und Liebe. Das ist das Zentrum in unserem Leben. Man muss singen, was da steht, und glauben, was man macht. Und wenn man das selbst glaubt, dann wird man auch glaubwürdig fürs Publikum.

Sendung: "Pausenzeichen" in der Live-Übertragung aus der Met in New York von Donizettis "Lucia di Lammermoor" am 7. April 2018, ab 18:59 Uhr auf BR-KLASSIK

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