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Der Tenor Joseph Calleja "Ich hasse es, in Schubladen gesteckt zu werden"

In den nächsten Monaten ist der Tenor Joseph Calleja mehrere Male an der Bayerischen Staatsoper zu Gast: in Werken von Verdi, Boito und Puccini. Im Interview spricht er über die Rolle des Macduff, die Entwicklung seines Repertoires - und warum er Puccini im Grunde für einen Filmemacher hält.

Opernsänger Joseph Calleja | Bildquelle: © Universal Music

Bildquelle: © Universal Music

Das Interview in voller Länge zum Anhören

BR-KLASSIK: Joseph Calleja, Sie haben Ihr Debüt 1997 am Teatru Manoel auf Malta als Macduff. Jetzt sind Sie hier in München, singen wieder den Macduff in Verdis "Macbeth" - eine Partie, die Sie jetzt über 20 Jahre begleitet. Merken Sie an dieser Rolle, wie sich Ihre Karriere entwickelt hat?

Joseph Calleja: Ja, klar. Das Debüt 1997 war eine echte Feuerprobe. Der Macduff ist zwar keine lange Rolle, aber wenn Du wirklich das singst, was in den Noten steht… Es ist ehrlich gesagt ziemlich anstrengend. Die größte Chance, Eindruck zu schinden, bietet natürlich Macduffs Arie "Ah, la paterna mano", die zum schönsten gehört, was Verdi für Stimme geschrieben hat. Und natürlich hat man allein schon wegen der Geschichte die Herzen des Publikums auf seiner Seite. Schließlich sind Macbeth und Lady Macbeth ganz schreckliche Menschen. Und Macduff ist der Held, weil er Macbeth zur Strecke bringt. Kurzum, die Rolle hat schon einen besonderen Platz in meinem Herzen. Und deswegen sing‘ ich sie gelegentlich auch noch, wenn man mich fragt.

Für so eine Karriere muss man quasi wie ein Mönch leben.
Joseph Calleja

BR-KLASSIK: Sie singen regelmäßig an der Met, in London, an der Bayerischen Staatsoper, auch in Frankfurt und Chicago. Wie wichtig ist es für Sie, wenn Sie so eine internationale Karriere verfolgen, dass Sie wirklich regelmäßig an den großen Häusern präsent sind?

Joseph Calleja: Das war schon immer mein Traum. Ich sag’s ganz ehrlich: Während des Studiums hatte ich nie gedacht, dass ich mal in diese Liga aufsteigen, mich dort auch noch halten würde. Ich war ziemlich diszipliniert. Für so eine Karriere muss man ja quasi wie ein Mönch leben. Klar: Als junger Mann, da will man Spaß haben – ausgehen, sich betrinken, Frauen abschleppen, eben Dummheiten machen. Aber toi toi toi, in 21 Jahren auf der Bühne – im Januar bin ich 40 geworden – war ich immer gesund. Natürlich gab es Hochs und Tiefs, aber ich hatte nie Stimmverletzungen oder so etwas. Darauf bin ich schon stolz.

Achtunddreißig Opernrollen

Vor einem Monat habe ich ja Francesco Cileas "L'Arlesiana" in Berlin gesungen. Das war meine achtunddreißigste Rolle, macht fast eine Rolle pro Lebensjahr. Um das zu schaffen, braucht man viel Liebe für die Kunst, Disziplin, und natürlich auch ein bisschen Glück. Vor allem aber musst du mit einer tollen Stimme gesegnet sein. Und die habe ich, Gott oder Natur sei Dank.

Wenn du dich auf ein bestimmtes Repertoire festlegst, verschlechtert sich die Stimme.
Joseph Calleja

BR-KLASSIK: Sie haben also achtunddreißig Rollen einstudiert - Verdi, Puccini, Bellini, Donizetti. Viel Belcanto also, und es sind vor allem die lyrischen Partien, die Sie singen. Ist dies ein Repertoire, in dem man sich ein ganzes Leben lang wohlfühlen könnte?

Joseph Calleja: Ja, der Fokus lag in den letzten Spielzeiten natürlich schon auf Puccini, Verdi, einigen Franzosen. Aber ich hasse es, in Schubladen gesteckt zu werden. Momentan lerne ich Deutsch – sehr, sehr ernsthaft –, weil ich auch deutsches Repertoire singen möchte, vor allem Lied. Ich will mit meiner Stimme neue Wege gehen, weil ich glaube: Wenn du aufhörst, deine Stimme immer wieder neu zu entdecken, wenn du dich auf ein bestimmtes Repertoire festlegst, dann verschlechtert sich die Stimme. Und wie mein Verdi-Album gezeigt hat: Ich habe das Potential für noch schwierigere Rollen. Jetzt noch nicht, das ist klar.

Ein Wein mit Potenzial

Opernsänger Joseph Calleja | Bildquelle: © Simon Fowler / Universal Music Bildquelle: © Simon Fowler / Universal Music Wenn ich mir vorstelle, ich müsste mein eigenes Album kritisieren – das erste, was ich fragen würde, wäre: Warum zur Hölle singst du den Otello denn jetzt schon. Natürlich gehe ich damit nicht auf die Bühne, bis dahin dauert es mindestens noch ein Jahrzehnt. Also, warum habe ich ihn jetzt schon aufgenommen? Erstens: Ich habe keine Ahnung, ob es in zehn Jahren CD-Aufnahmen überhaupt noch geben wird. Und zweitens: Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimme bereit ist, sich in Richtung dieses Repertoires vorzuwagen: um herauszufinden, wie es mal klingen könnte. Wie bei einem tollen Wein, den man fünfzehn, zwanzig Jahre zu früh aufmacht – schon ein super Wein, aber er könnte noch viel besser sein.

Kein großer Otello in Sicht

BR-KLASSIK: Wie schwierig ist es dann, wenn man sozusagen den Wein geöffnet hat, dann diese Ausschnitte, diese Highlights zu singen, ohne diese Figur auf der Bühne entwickeln zu können?

Joseph Calleja: Für einen Tenor ist das nicht schwierig – Verdis Otello ist ja der Traum eines jeden Tenors. Ob Sie es dann wirklich machen, steht auf einem anderen Blatt. Enrico Caruso hatte Angst davor. Franco Corelli auch. Momentan haben wir leider keine Stimme, die diesen Bronzeton hat, die auch mächtig genug ist, den Otello an den großen Häusern zu geben. Highlights in einem Studio zu singen, ist dagegen natürlich ein Klacks. Erst wenn du den Druck, die Nerven, die Kostüme dazurechnest, dann wird es gefährlich, so eine Rolle zu singen. Zumal in meinem Alter. Meine Stimme ist natürlich nicht zu klein, aber sie ist immer noch zu hell, zu mediterran. Ich glaube in zehn, zwölf Jahren werde ich soweit sein. Definitiv nicht jetzt.

Für mich ist Puccini der erste Filmemacher.
Joseph Calleja

Tosca als Favoritin

BR-KLASSIK: Schauen wir auf die drei Rollen, die Sie in den nächsten Monaten hier in München singen: im Moment Macduff, dann kommt der Faust in Boitos "Mefistofele", und schließlich im Sommer der Cavaradossi in Puccinis "Tosca". Drei sehr unterschiedliche Rollen - auf welche freuen Sie sich am meisten?

Joseph Calleja: Das ist so als würden Sie mich fragen, welches meiner Kinder ich am liebsten habe. Trotzdem: "Tosca"! Weil diese Oper wie ein Film funktioniert. Ich sage immer: Für mich ist Puccini der erste Filmemacher, eigentlich in all seinen Opern. Das Tempo, in dem alles erzählt wird – das ist Filmstandard. Also: Ja, ich sage "Tosca"!

Sendung: "Leporello" am 06. April 2018, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Joseph Calleja an der Bayerischen Staatoper

Giuseppe Verdi: "Macbeth"
Rolle: Macduff
Termine am 7., 10. und 13. April

Arrigo Boito: "Mefistofele"
Rolle: Faust
Termine am 29. April, 3. und 6. Mai

Giacomo Puccini: "Tosca"
Rolle: Cavaradossi
Termine am 9. und 13. Juli sowie im Mai 2019

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