BR-KLASSIK

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Opernfestspiele München

27. Juni bis 31. Juli 2019

Waltraud Meier im Interview "Für Gesangsunterricht fehlt mir die Geduld!"

Bei den Münchner Opernfestspielen übernahm die Sopranistin Waltraud Meier für die erkrankte Diana Damrau einen Liederabend. Am 16. Juli 2016 ist sie außerdem zu Gast in der Sendung "Meine Musik". Im Interview erklärt sie, warum sie stets zwei Sorten Bonbons mit sich führt - und warum sie sie sich vorerst keine "Tristan"-Aufführung mehr anhören möchte.

Mezzosopranistin Waltraud Meier | Bildquelle: © Nomi Baumgartl

Bildquelle: © Nomi Baumgartl

BR-KLASSIK: Frau Meier, Sie sind am vergangenen Dienstag überraschend für Diana Damrau eingesprungen, die ihren Liederabend an der Bayerischen Staatsoper absagen musste. So etwas ist immer aufregend, oder?

Waltraud Meier: Das war in der Tat ziemlich aufregend. Ich hatte die Nachricht am Samstag erhalten und mir natürlich noch ein paar Stündchen Bedenkzeit erbeten. Dann habe ich spontan ja gesagt - nicht wissend, dass dann am Dienstag so ein enormer Wetterumschwung kommen würde und ich am Morgen dieses Tages mir beinahe wünschen würde, dieser Kelch möge an mir vorübergehen. Aber zugesagt ist bei mir eben zugesagt - und dann musste ich da durch.

BR-KLASSIK: Verraten Sie uns, wo genau die Probleme lagen?

Waltraud Meier: Es war so wahnsinnig heiß vorher, und dann der Sturz in niedrige Temperaturen und die Schwüle… Bei mir ging der Kreislauf vollkommen in den Keller, und für einen Sänger ist es sehr schwer, einen niedrigen Kreislauf quasi zum Marschieren zu bringen.

Bonbons zum Singen und zum Sprechen

BR-KLASSIK: Kann ich mir vorstellen. Ich habe gerade gesehen, wenn ich das verraten darf: Sie haben zwei Bonbon-Packungen dabei. Das eine sind, wie Sie mir gesagt haben, die "Sprechbonbons", das andere die "Singbonbons"…

Waltraud Meier: (lacht) Normalerweise mag ich keine Bonbons, denn wenn ich eines im Mund habe, dann bedeutet dies, dass ich entweder singen oder laut sprechen muss. Zum Singen habe ich aber ganz spezielle. Die kann ich unter die Zunge schieben, sodass beim Singen nicht stören. Bei guter Verwendung halten diese Bonbons 20 bis 25 Minuten…

BR-KLASSIK: …das reicht locker für einen "Liebestod"…

Waltraud Meier: …und nicht nur das, sondern beispielsweise auch für einen Liederzyklus. Die "Wesendonck-Lieder" oder die "Rückert-Lieder" zum Beispiel gehen mit einem Bonbon. Ich rechne in solchen Währungen. (lacht)

BR-KLASSIK: Die Sprechbonbons – wie unterscheiden die sich?

Waltraud Meier: Die sind etwas anders geformt. Bei denen kommt es ja auch nicht so darauf an, dass das Bonbon nicht stört …

Leb wohl, Isolde!

BR-KLASSIK: Vor einem Jahr haben Sie Abschied von der Partie der Isolde genommen, mit der Sie ja sehr lange gelebt haben. Sind Sie heute noch "im Gespräch" mit dieser Rolle?

Waltraud Meier: Im Moment ruht dieses Gespräch ein bisschen. Ich habe auch Hemmungen, mir den "Tristan" woanders anzuhören. Das könnte ich im Moment nicht. Ich habe es auch zu Daniel Barenboim gesagt, beim letzten Mal: dass ich das eigentlich am traurigsten finde, wenn man Abschied nimmt von einer Rolle - ich kann es mir nicht von jemand anderem anhören. Was ich allerdings gerne einmal wieder miterleben würde, ist eine Orchesterprobe mit Barenboim. Aber dass ich in eine "Tristan“-Vorstellung gehe und eine Kollegin in der Rolle der Isolde sehe und höre – das geht gar nicht.

Waltraud Meier in der Rolle der Klytämnestra in "Elektra" an der Semperoper 2014 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Waltraud Meier (links) in der Rolle der Klytämnestra in "Elektra" an der Semperoper 2014 | Bildquelle: picture-alliance/dpa BR-KLASSIK: Aber Sie hören doch wahrscheinlich durchaus mal eine historische Aufnahme?

Waltraud Meier: Nein. Ich habe immer im Hier und Jetzt gelebt. Es ging mir immer um die Frage, welchen Zugang ich ganz persönlich zu einer Rolle finde.

BR-KLASSIK: Und Sie wissen nicht, wie beispielsweise Birgit Nilsson oder Kirsten Flagstad die Partie gestaltet haben?

Waltraud Meier: Nein. Man denkt immer, dass Sänger sich andere Sänger anhören. Das tun sicherlich auch viele. Aber ich glaube, Schauspieler machen das nicht so, dass sie sich erst jemand anderen in einer berühmten Rolle ansehen, bevor sie das selber lernen. Ich hätte das immer als hemmend empfunden.

Der Körper muss sprechen

BR-KLASSIK: Dann lassen Sie uns in die Zukunft schauen. Viele Liederabende haben Sie geplant, aber auch noch viele Auftritte als Waltraute in Wagners „Götterdämmerung“ und als „Ortrud“ im Lohengrin, unter anderem 2018 in Bayreuth. Unterrichten, denke ich, könnte auch wichtig werden…

Waltraud Meier: Ja, aber nicht im klassischen Sinne. Es war nie mein Ding, Gesangsunterricht zu geben. Dafür habe ich überhaupt nicht die Geduld. Das können andere wesentlich besser.

BR-KLASSIK: Aber wollten Sie nicht einmal Lehrerin werden?

Waltraud Meier: Ja … (lacht) … bin ich dann Gott sei Dank nicht geworden. Mich reizt es, Kurse zu geben für junge Sänger mit dem Titel "Von der Interpretation zur Inkarnation". Das hätte dann mit Gesangstechnik gar nichts zu tun. Das Motto wäre ein Satz, der leider nicht von mir ist, sondern von meiner verehrten Kollegin Renata Scotto: "Viele Sänger wissen sehr wohl, wie sie zu singen haben, aber nicht, was sie zu sagen haben." Und das möchte ich gerne vermitteln: Dass die Sänger wissen, was sie zu sagen haben. Dass sie erst einmal herausfinden: Was will ich denn mitteilen, was ist meine Botschaft, was ist in dieser Rolle drin? Darum geht es mir. Dann erst findet man die musikalischen Mittel, wie man seine Partie gestaltet.

BR-KLASSIK: Ich finde interessant, dass Sie von Inkarnation sprechen. Das heißt ja wörtlich: Fleischwerdung. Sie sind eine unglaublich körperbewusste Darstellerin, jemand, der auf der Bühne allein durch die Haltung sehr viel sagen kann. Wird das auch in Ihren Kursen eine Rolle spielen?

Waltraud Meier: Das ist sogar absolut essenziell. Ich mache sehr viele Körpererfahrungs-Übungen. Es geht um das Sich-Kennenlernen: Was spricht mein Körper? So wie ich bin – noch bevor ich in eine Rolle gehe. Je besser ich mich selbst erkennen und beobachten kann in meiner eigenen Ausdruckssprache, desto besser kann ich auch mit dem gleichen Blick eine Rolle betrachten. Und dann kann ich ihr meine Sprache oder vielmehr die ganze Bandbreite meiner Ausdrucksmöglichkeiten leihen. Aber dafür muss ich mich erst einmal von mir selbst distanzieren und mich von außen sehen können.

Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

Infos zur Sendung

Meine Musik
Samstag, 16. Juli 2016, 11:05 Uhr
Bernhard Neuhoff im Gespräch mit Waltraud Meier

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