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U21-Kritik "Der Boxer": Ein Comicroman am Theater Augsburg

Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft | Bildquelle: Theater Augsburg

Bildquelle: Theater Augsburg

Augsburg, Hoffmannkeller. Reihe 1, Platz 15.
Ich quetsche mich mit 90 anderen auf schwarzen Holzbänken.

Rechts vor mir sitzen zwei Schlagzeuger und liefern sich eine Art Boxkampf. Walter Bittner und Kilian Bühler müssen tatsächlich miteinander kämpfen... ums Instrument zumindest: Die beiden teilen sich nämlich eine Bass-Drum, die Vorne und Hinten ein Fußpedal angeschraubt hat. Sie schauen sich in die Augen, wie die Gegner im Ring und tragen als Stellvertreter auf der Bühne das aus, was die Hauptfigur Hertzko Haft in der Geschichte erlebt. Kämpfen um zu überleben.

Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft | Bildquelle: Theater Augsburg Bildquelle: Theater Augsburg Dabei nehmen sich  die Schlagzeuger alle Freiheiten – wenn sie aber die Geschichte untermalen, dann muss ganz klar sein, wer wann was spielt.

Die Stimme ist die von Sebastian Baumgart, er ist 29, Schauspieler am Augsburger Theater und manchmal auch im Fernsehen. Heute darf und muss er alles sein: Der Erzähler, der polnische Jude Hertzko Haft im verzweifeltem Überlebenskampf, SS-Wachen im KZ und alle Nebenfiguren...

Auzf der roten Steinwand hinter Sebastian ziehen die Original-Bilder aus dem Comicroman vorbei. Sebastian erzählt uns alles, jede Sprechblase kommt auch aus seinem Mund. Mir kommt’s vor, als ob er mit den ganzen Rollen manchmal überfordert ist.

Da kann ich mir doch eigentlich gleich ein Hörbuch einlegen und dazu den Original-Comic lesen! Oder im Selbstversuch mal eine Fußball-Radioreportage anhören und dabei den Fernseher laufen lassen – das ist schon ok, aber nicht, wenn man nicht umschalten kann!

Nach dem zweiten Weltkrieg gibt’s auf der Wand die Überfahrt zu sehen. Da denk' ich mir: Gut, dass ich den Comicroman nur zur Hälfte, also bis zur Auswanderung nach Amerika gelesen habe... Nachdem er den Holocaust überlebt hat, versucht sich Hertzko jetzt als Profiboxer in New York. Vielleicht fällt mir ab jetzt nicht mehr so sehr auf, dass die Regisseurin Susanne Reng alles Wort für Wort nacherzählen lässt.

Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft | Bildquelle: Theater Augsburg Bildquelle: Theater Augsburg Aber meine Hoffnung geht nicht auf. Ich kenne jetzt zwar den Text nicht mehr, aber das Hin- und Her von Sebastian vor der Projektion irritiert mich: Manchmal versucht er, die Gebärden der Comic-Figuren nachzumachen und ein Bestandteil vom Bild zu werden.

Und dann, im nächsten Satz, setzt er sich neben die Schlagzeuger und schaut dem Treiben auf der Wand einfach nur zu.

Im Comic boxt sich die Hauptfigur Hertzko von Anfang an durch. Als das jüngste von 8 Kindern einer armen polnischen Familie, hat er Deportation und Todesmärsche durchgestanden, im KZ um sein Überleben gekämpft, Zigaretten geschmuggelt und wurde schließlich Profi-Boxer in den USA.

Das Theaterstück wird sich wohl eher nicht "durchboxen", so funktioniert das einfach nicht. Ich bin froh, die gute Stunde im engen Hoffmannkeller überstanden zu haben und les jetzt erst mal das Buch zu Ende, denn das ist spannend!

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