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Buchkritik: Stradivari – die Geschichte einer Legende Der Mann hinter dem Klang

Stradivari: Dieser Name treibt heutzutage Dollarzeichen vor manch inneres Auge. Vor 300 Jahren lebte der Geigenbauer in Cremona, seine Instrumente werden heute zu Rekordpreisen gehandelt. Doch wer war dieser Antonio Stradivari eigentlich? Was ist über sein Privatleben bekannt? Die in Bonn lebende Kunsthistorikerin und Autorin Alessandra Barabaschi gilt seit vielen Jahren als Expertin auf diesem Gebiet. Jetzt legt sie eine Biographie des berühmten Geigenbauers vor. BR-KLASSIK-Redakteurin Antonia Morin hat sie gelesen.

Buch-Cover Stradivari - die Geschichte einer Legende | Bildquelle: Böhlau

Bildquelle: Böhlau

Die Rezension zum Anhören

Antonio Stradivari sitzt in seiner Werkstatt. Seine edle Samtjacke ist mit Goldknöpfen verziert. Nachdenklich betrachtet er eine Geige, die er in der linken Hand hält. Stradivari, das kreative Genie, mehr Philosoph als Handwerker – so malte ihn der Belgier Edouard Jean Conrad Hamman mehr als 100 Jahre nach seinem Tod. Das Porträt ist auch auf dem Einband der Stradivari-Biografie von Alessandra Barabaschi abgebildet. Doch wie Antonio Stradivari wirklich ausgesehen hat, wissen wir nicht. Niemand kann sagen, wann und wo er geboren wurde, wer seine Eltern waren oder wieviele Instrumente er tatsächlich gebaut hat. Die Quellen über den Geigenbauer aus Cremona sind mehr als dürftig, das wird beim Lesen der Stradivari-Biografie schnell klar.

Mann hinterm Mythos

Kein Wunder, dass sich um Stradivaris Leben viele Legenden ranken, so Barabaschi: "Eine der amüsantesten ist, dass Antonios Mutter mit der Kutsche nach Cremona gebracht wurde. Offensichtlich muss die Dame hochschwanger gewesen sein, denn als sie auf der Piazza Sant'Agostino ankam, brachte sie einen Sohn zur Welt, der den Namen Antonio erhielt. Angeblich, weil der Pfarrer der Kirche so hieß. Eine sehr rührende Geschichte. Schade, dass der Prior des Augustinerklosters damals Nicola hieß und der Pfarrer Ludovico. Es ist also viel besser, wenn wir die Legenden beiseite lassen und uns auf die Archivdokumente konzentrieren."

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, wer …
.... ein Faible für die Geige hat.

Dieses Buch ist ein Lesegenuss, weil …
… es historische Quellen und Dokumente auf spannende und amüsante Weise aufbereitet.

Dieses Buch liest man am besten …
...während einer Reise nach Cremona. So kann man sich die beschriebenen Orte gleich vor Ort anschauen.

Den Mythos Mythos sein lassen, stattdessen das Archiv sprechen lassen – genau das tut Alessandra Barabaschi auf den kommenden gut 250 Seiten. Mit detektivischem Eifer durchforstet sie Kirchenbücher, öffentliche Urkunden, Rechnungen und Testamente. Das könnte schnell zu einer staubtrockenen Lektüre geraten. Aber Alessandra Barabaschi erzählt so lebendig und begeistert von diesen Dokumenten, dass man dranbleibt. Etwa, wenn es um die großzügige Spesenabrechnung für die Beerdigung von Stradivaris erster Frau Francesca Ferraboschi geht.

Mehr als ein genialer Geigenbauer

Er muss seine Frau sehr geliebt haben, schlussfolgert Barabaschi: "Man transportierte den Sarg mit einem Cadiletto, einer Sänfte. Francescas Sänfte war nicht nur die des Doms, der wichtigsten Kirche der Stadt, sondern auch aus Gold. An der Beerdigung nahmen nicht nur Seelsorger, Kleriker und Fackelträger teil, sondern auch mehrere Misericordini, Personen also, die man als gemietet bezeichnen könnte, natürlich alle würdig gekleidet. Antonio Stradivari hatte keine Kosten gescheut."

Kosten scheuen – das braucht Stradivari auch nicht, denn mit seiner Werkstatt lief alles rund. Mitglieder europäischer Königsfamilien, Vertreter des Hochadels, politische Persönlichkeiten und hohe Offiziere haben bei ihm bestellt. In Barabaschis Buch sind einige der schönsten Stradivari-Instrumente abgebildet. Geigen mit raffinierten Verzierungen an der Schnecke, eine Gitarre mit kunstvoll geschnitzter Rosette, eine Tenor-Viola mit dem Wappen der Familie Medici auf dem Griffbrett. Die Schnitzarbeiten sind so kunstvoll, dass, so Barabaschi, einige Experten annahmen, Stradivari müsse bei einem Schnitzer, nicht bei einem Geigenbauer in die Lehre gegangen sein.

Auf nach Cremona!

Italy, Cremona, the statue of the famous luthier Antonio Stradivari in the Stradivari square | Bildquelle: picture alliance Denkmal für Antonio Stradivari im italienischen Cremona | Bildquelle: picture alliance Alessandra Barabaschi liefert ein umfassendes Bild von Stradivaris Zeit und seinen Lebensumständen. Dabei lässt sie Geigenbauer, Musiker und Stradivari-Kenner zu Wort kommen. Ausführlich beschreibt die Autorin auch die Lebensgeschichte seiner beiden Ehefrauen Francesca und Antonia und seiner Kinder. Wie gut, dass es im Anhang eine Liste aller Familienmitglieder gibt, bei elf Nachkommen verliert man sonst schnell den Überblick. Das Personenregister am Ende ist ebenfalls sehr hilfreich. Denn die Autorin widmet sich auch Stradivaris Konkurrenten, den Geigenbauerfamilien Amati und Guarneri, Ruggeri und Bergonzi. Sie erzählt vom passionierten Instrumentensammler Graf Cozio oder dem cleveren Geigenhändler Luigi Tarisio. Manchmal entfernt sich Barabaschi allerdings sehr weit von der Person Stradivaris. So hätte der Exkurs über die Entstehungsgeschichte der Violine ruhig knapper ausfallen können. Für Musikerinnnen und Musiker, Geigenbauer und Geschichtsinteressierte ist Alessandra Barabaschis Buch eine spannende Lektüre. Eine Biografie, die Lust macht, gleich nach Cremona zu reisen, um dort auf Stradivaris Spuren zu wandeln.

Infos zum Buch

Alessandra Barabaschi
Stradivari – die Geschichte einer Legende

308 Seiten, gebunden
ca. 40 Abbildungen
Böhlau Verlag
Preis: 32,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 30. Juni 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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