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Buchtipp - "Not, List und Lust" Not, List und Lust

Nach dem 28. Januar 1936 war für Dmitri Schostakowitsch nichts mehr so wie vorher. Aus dem gefeierten 30-jährigen Star der russischen Musikszene, dessen Oper "Lady Macbeth von Mzensk" auch international sensationelle Erfolge feierte, war über Nacht ein verfemter Künstler und Staatsfeind geworden. An diesem Tag ist in der Zeitung ein Artikel über ihn mit dem Titel "Chaos statt Musik" erschienen, Schostakowitschs Oper wurde von höchster Stelle als volksfremd diffamiert.

Buch-Cover Bernd Feuchtner: Not, List und Lust | Bildquelle: Wolke Verlag

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Der Buchtipp zum Anhören

Was eine solche Ächtung damals bedeutete, lässt sich heute kaum mehr ermessen. Die vollendete Vierte Symphonie ließ Schostakowitsch daraufhin vorsichtshalber in der Schublade liegen – eine Uraufführung kam erst nach Stalins Tod 1961 zustande.

"Schostakowitsch wartete auf seine Verhaftung. Er brauchte ein paar Monate, bis er eine bessere Idee hatte. Er schrieb die 5. Symphonie, die formal so perfekt konstruiert war, dass sie wie ein Wiederaufguss der Beethoven'schen Symphonie wirkte, ein unanfechtbares Meisterwerk. Wer allerdings Ohren hatte, zu hören, und ein Herz zu fühlen, der nahm wahr, dass sich in dieser Symphonie eine große Tragödie abspielte. Viele Menschen weinten bei der Uraufführung. Schostakowitsch hatte es fertiggebracht, in seine Musik einen doppelten Boden einzuziehen: Die Bürokraten verstanden nichts davon. So wurde Schostakowitsch zum Vertreter der inneren Emigration." Zitat aus dem Buch

Ausdruck für das Unaussprechliche

Vor dem existenzgefährdenden Hintergrund in der Sowjetunion zur Stalinzeit und darüber hinaus analysiert Feuchtner die Symphonien und auch die 15 Streichquartette Schostakowitschs auf ihre musikalischen Aussagen und Subtexte. Er demonstriert eindringlich, wie die Musik die existenzbedrohende Situation Schostakowitsch widerspiegelt und welche Ausdrucksmöglichkeiten der Komponist für das Unaussprechliche fand ohne den offenen Konflikt mit der Staatsmacht zu provozieren.

"Im Krieg war die Achte Symphonie entstanden. In ihr hallt der ganze Schrecken nicht nur des Krieges, sondern auch des Totalitarismus nach, der erzwungenen Unterordnung der gesamten Gesellschaft unter ein Prinzip, was nur durch Gewalt zu erreichen war. Der erste Satz Adagio der Achten Symphonie ist ein großer, epischer Klagegesang von beinahe einer halben Stunde Dauer. Die Trauer des Streichergesangs schlägt kurz um in schrille, dissonante Angstschreie. Was danach ausbricht, ist schiere Panik, und was sie niederwirft, eine Orgie der primitivsten Gewalt." Zitat aus dem Buch

Vergleiche mit Zeitgenossen

Spannend sind auch die Vergleiche, die Feuchtner zwischen Schostakowitsch und anderen zeitgenössischen Komponisten anstellt wie Sergej Prokofjew, Paul Hindemith, Benjamin Britten oder Hans Eisler.

"Eislers letztes Werk waren die Ernsten Gesänge. Im ersten Lied 'Asyl', einem Hölderlin-Fragment, lautet die letzte Zeile: 'Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl!' Die Musik war der letzte Rückzugsort Hanns Eislers, hier sagte er vorbehaltlos die Wahrheit und das ist es, was er auch mit Schostakowitsch teilt." Zitat aus dem Buch

Kluge Analysen

"Not, List und Lust – Schostakowitsch in seinem Jahrhundert" ist eine Sammlung von Aufsätzen aus verschiedenen Jahren und Kontexten. Das hat zwar ein paar Wiederholungen zur Folge, nimmt dem Buch aber nichts von seiner Bedeutung. Feuchtners kluge, dabei immer verständliche Analysen kann man als Biographie eines Komponisten lesen, dessen Leben durch die politischen Umstände vollkommen aus den Fugen geraten war, der sich aber über alle Schrecknisse hinweg treu geblieben ist und dabei großartige und oft zutiefst erschütternde Musik geschrieben hat.

Infos zum Buch

Bernd Feuchtner
Not, List und Lust
Schostakowitsch in seinem Jahrhundert

278 Seiten, Broschur
Wolke Verlag, Hofheim am Taunus
Preis: 24,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 10. April 2018 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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