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Buchtipp: Christian Thielemann – "Meine Reise zu Beethoven" Duell zweier Dickschädel?

Beethoven war im Grunde der erste Freiberufler und Solo-Selbständige unter den Komponisten. Vielleicht war er der erste wirklich freie Künstler. Was sagt uns seine Musik? Was war Beethoven für ein Mensch? Und wie sieht ihn Christian Thielemann, dieser so kompromisslos wirkende Kapellmeister? Das verrät uns sein neues Buch "Meine Reise zu Beethoven". BR-KLASSIK-Autorin Sylvia Schreiber findet: Hier prallen zwei Dickschädel aufeinander.

Buchcover – Christian Thielemann: "Meine Reise zu Beethoven" | Bildquelle: Verlag C. H. Beck

Bildquelle: Verlag C. H. Beck

"Dieser Anfang klingt fast ein bisschen nach Krimi-Musik, die Leiche ragt aus dem Gebüsch, die Mörderjagd beginnt." Christian Thielemann benutzt forsche Vergleiche, um Beethovens Symphonien greifbar zu machen: "Man hört Beethoven leise die Messer wetzen, wenn die Fagotte ihre Achtel staccatissimo spielen." Das macht Spaß. Es regt die Fantasie an. Da ist was dran: Beethovens Musik – scharf wie frisch gewetzte Messer.

Man hört Beethoven leise die Messer wetzen.
Christian Thielemann, Zitat aus dem Buch

Thielemanns Reise zu Beethoven ist keine "Sendung mit der Maus" für Erwachsene. Er lullt einen auch nicht ein mit Tonartenmetamorphosen, Metronomzahlen, Tempobezeichnungen. Vielmehr setzt er seine Werkbetrachtung in Relation zu recht persönlichen Erfahrungen und vor allem zu Gefühlen: "Bei meiner ersten Furtwängleraufnahme blieb mir die Spucke weg."

Ein wichtiger Reisebegleiter: Furtwängler

Es furtwänglert viel in dem Buch. Vermutlich kennt Thielemann sämtliche Aufnahmen von ihm im Schlaf. Was Thielemann an Furtwängler so schätzt, ist – wie er selbst sagt – "die Bereitschaft zum Total-Risiko", eine Qualität, die uns nahezu abhanden gekommen sei: "Heute sind wir in erster Linie textgläubig." Pure Textgläubigkeit oder auch historische Aufführungspraxis - beides nicht sein Ding, sagt Thielemann. Für ihn steckt in jedem Werk Beethovens ein Befehl.

Interpretiert mich, macht was aus meiner Musik!
Thielemanns Verständnis von Beethoven

Ludwig van Beethoven | Bildquelle: picture alliance / Glasshouse Images Ludwig van Beethoven (1770-1827) | Bildquelle: picture alliance / Glasshouse Images Wie Thielemann "was aus Beethovens Musik macht", wie er vor einigen Jahren den Zyklus der Symphonien mit den Wiener Philharmonikern erarbeitet hat, daran lässt er uns in seinem Buch teilhaben. Dafür röntgt er jede Symphonie, stellt Querverbindungen zu anderen Beethoven-Werken her - zu den Klaviersonaten, deren Linien er schätzt, zur "Missa solemnis", die Thielemann liebt, zu dem missglückten Fidelio, mit dem er nicht warm wird. Grundlage ist immer der Notentext, deren Rätsel er so akribisch löst wie ein Sudoku: "Kann das Viert-Ton-Motiv in einem c-moll Satz nicht auch in b-moll stehen und in den Notenwerten vergrößert werden? Das kann es!"

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, wer ...
... eine Schwäche für Berliner Schnodderschnauzen und Bonner Genies hat

Dieses Buch liest man am besten ... 

... wenn man sich nach guter Laune sehnt.

Dieses Buch ist wie geschaffen für ... 
... eine Reise vom gemütlichen Sofa aus zu Beethovens unwiderstehlichen Symphonien.

Keine wilden Spekulationen

Thielemann wittert nicht hinter jedem Paukenwirbel von Beethoven ein verkapptes "Bekenntnis zur französischen Revolution". Er sucht einen weiter gefassten philosophischen und historischen Zugang: "Sein starkes 'Ich' macht, dass wir uns in seiner Musik wiedererkennen, in welcher historischen und politischen Situation auch immer."

Thielemann auf Spurensuche

Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Weil Thielemann ein ausgesprochen gebildeter, phantasiebegabter Künstler ist, erweitert er seine musikalischen Ideen mit Zitaten von Clemens Brentano, Goethe oder Schumann. Er stöbert in anderen Künsten, nimmt einen Kupferstich jener Zeit zur Hand und saugt alle Details über Kleidung, Haarfrisuren und Gestik in sich auf. Auch Beethovens komplexer Charakter, sein Dauerclinch mit Vermietern, sein schmuddeliges Aussehen ist Thema.

Aus dem Buch

"Trotzdem ist Beethoven mir in keiner Weise unsympathisch. Richard Wagner mit seinen seidenen Unterhosen und seiner Luxussucht ist mir viel unangenehmer. Beethoven aber hat eine so innige Musik geschrieben. Der besitzt bei mir einen Freifahrtschein. Für nahezu alles." Christian Thielemann

Und wir bekommen von Christian Thielemann einen Fahrschein für eine schneidige, beherzte Achterbahnfahrt durch alle Neune von Beethoven. Wegen mir hätte diese Reise zu Beethoven gerne länger dauern können. Die beiden Dickschädel scheinen sich gut zu vertragen.

INFOS ZUM BUCH

Christian Thielemann

Meine Reise zu Beethoven
C.H. Beck Verlag
271 Seiten (gebunden)
Preis: 22,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 17. Dezember 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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