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Album der Woche – Igor Levit spielt Schostakowitsch und Stevenson Ein Doppelgipfel

Igor Levit liebt Superlative, auch bei seinen Alben. Alle Beethoven-Sonaten auf einen Streich, Bachs Goldberg-, Beethovens Diabelli-Variationen und Frederic Rzewskis riesenhaftes "The people united" – alles schon eingespielt. Nein, Levit scheut keine Brocken. Das gilt auch für sein aktuelles Album "On DSCH". Levit bewältigt dort nicht nur die 24 Präludien und Fugen von Schostakowitsch, sondern auch die gigantische Passacaglia on DSCH, eine Schostakowitsch-Huldigung des Schotten Ronald Stevenson aus dem Jahr 1960. Alles zusammen mal eben vier Stunden Musik. Aber die lohnen.

CD-Cover: Igor Levit – "On DSCH" | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

Album der Woche

Igor Levit - On DSCH

Auf die Idee, im Jahr 1950 einen Klavierzyklus von 24 Präludien und Fugen nach dem Vorbild Johann Sebastian Bachs zu komponieren, muss man erst mal kommen. Der Gedanke erschien seinerzeit so abwegig, dass sich die westeuropäische Musikavantgarde wohl totgelacht hätte. Dem Sowjetrussen Dmitri Schostakowitsch war das egal. Ein Besuch des Leipziger Bachfestes zum 200. Todestag des großen Johann Sebastian und das Bachspiel der jungen Tatjana Nikolajewa regten ihn zu dem monumentalen Zyklus an. 

Monumentaler Zyklus, selten eingespielt

Die Gesamtaufnahmen lassen sich an knapp zwei Händen abzählen. Von daher ist Igor Levits aktuelle, ungemein intensive Auseinandersetzung mit den Präludien und Fugen unbedingt zu begrüßen. Und sie passen zu ihm, der gesellschaftspolitischen Strömungen gegenüber so wach ist. Denn Schostakowitsch komponierte keine kontrapunktischen Spielereien. Vielmehr sind die Stücke eine Art intimes Tagebuch in den letzten Jahren der Stalin-Ära, und die waren erneut von massiver politischer Repression geprägt. Der Zyklus spiegelt das Seelenleben eines zwischen Ehrungen und Verfolgung, Stalinorden und lebensbedrohlichem Druck hin und her geworfenen Künstlers. 

Kurz und bündig

Dieses Album lohnt sich, weil ...
... es tief in die Welt von Dmitri Schostakowitsch führt und obendrein noch mit einem seiner großen Verehrer vertraut macht.

Dieses Album hat gefehlt, weil ...
... eine richtig gute Aufnahme von Ronald Stevensons monumentaler "Passacaglia on DSCH" derzeit nicht greifbar war.

Dieses Album führt bei Überdosis zu ...
... einem schweren DSCH-Trauma, schlimmstenfalls zu einer Magenverstimmung.

Homogener Klang

Vielleicht lassen sich die Präludien und Fugen in manchem klarer und geschärfter vorstellen als in der Deutung von Igor Levit, auch zurückhaltender im Gebrauch des Pedals. Alexander Melnikov hat da vor gut zehn Jahre die Messlatte hoch gehängt, spielte den Zyklus mit unglaublich durchsichtiger Linienführung und Prägnanz, fantastisch reich an Klangfarben. Bei Levit ziehen die 48 Stücke ein wenig wie in einem großen Strom vorüber, vielleicht eine bewusste Entscheidung. Das ändert wenig an seiner imponierenden pianistischen Leistung.

Stevensons Schostakowitsch-Hommage

Zumal er sie krönt mit einem Werk, das nicht häufiger eingespielt wurde als der Schostakowitsch-Zyklus: Ronald Stevensons leicht wahnhafte, auf ihre Art aber großartige Passacaglia on DSCH. Dmitri Schostakowitsch – der Russe hat seine Initialen vielfach in seine Kompositionen eingemeißelt. Was Stevenson 1960 aus den Initialen des verehrten Kollegen machte, hätte der sich allerdings nicht träumen lassen.

Grandioser Parforce-Ritt

Hunderte Male erklingt die Folge von vier Tönen, über die der Schotte eine fast 90minütige, schier endlose Kette von Variationen türmte. Das Ganze klingt ein wenig so, als seien Skrjabin, Busoni, Rachmaninow und noch ein paar andere bei einem kollektiven Besäufnis auf die Idee gekommen, man müsse gemeinsam eine Partitur schreiben. Am Ende darf das mittelalterliche Dies Irae ebenso wenig fehlen wie eine Huldigung an Johann Sebastian Bach. Und da schließt sich dann der Kreis dieses Albums. Igor Levit ist mutig genug, diesen unfassbaren Parforce-Ritt zu unternehmen, und er tut das grandios. Sein neues Album ist trotz ganz leiser Vorbehalte bei Schostakowitsch unbedingt zu empfehlen. 

Sendung: "Piazza" am 25. September 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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