Hinter jedes Stück, hinter jeden Satz schrieb er die exakte Aufführungsdauer in die Noten. In eckigen Klammern, mit Minuten und Sekunden. Zu Proben erschien Bartók dann sogar manchmal mit der Stoppuhr. Als streng und unnahbar wird er geschildert, ein kleiner, schmächtiger Mann, sehr höflich und leise, stets pünktlich und von unerbittlicher Präzision. In seinen Augen aber, das erzählen auffällig viele Menschen, die ihm begegnet sind, habe ein Feuer gebrannt.
Bildquelle: Erato
Der CD-Tipp zum Anhören
Hinter dem Präzisionsfanatiker verbarg sich ein überaus sensibler und verletzlicher Mensch voller überschwänglicher Gefühle. Aber auch mit feinem Humor. Wenn ein Musiker sich allzu sklavisch an die Noten hielt, allzu präzise spielte und, vor allem, nicht emotional genug, dann sagte Bartók mit feinem Lächeln: "Ach bitte, spielen Sie das doch nicht auf so schrecklich Bartók'sche Weise!"
Renaud Capuçon spielt die beiden Violinkonzerte auf wundervoll "Bartók'sche Weise". Er verfügt über einen leuchtenden, dunklen und warmen Geigenton. Verführerisch und sinnlich klingt das, aber ohne alle vordergründige Süße. Im Französischen gibt es dafür das schöne Wort Noblesse. Das Klischee vom harten, immer schroffen und "barbarischen" Bartók ist ja längst widerlegt. Das erste Violinkonzert etwa, das noch ganz in spätromantischem Idiom gehalten ist, ist eine Liebeserklärung. Der 27-jährige Bartók hatte sich unsterblich in die 19-jährige Geigerin Stefi Geyer verliebt. Das Erste Violinkonzert ist ihr gewidmet. Es zugleich ein Porträt der Geliebten.
Doch Stefi Geyer ließ Bartók abblitzen. Der steckte sein Violinkonzert enttäuscht in die Schublade, wo es liegen blieb. Erst nach Bartóks Tod wurde es entdeckt und uraufgeführt. Renaud Capuçon macht aus dem lyrischen ersten Satz ein intimes, berührendes Liebesgeständnis – ohne je indiskret zu werden. Ein Klassiker ist Bartóks Zweites Violinkonzert, ein reifes Werk mit einer überwältigenden Vielfalt an Gedanken und Stimmungen, entstanden 1938, kurz vor Bartóks Emigration nach Amerika. Renaud Capuçon beweist darin ein ausgeprägtes Gespür für Klangfarben.
Dabei ist ihm das London Symphony Orchestra unter Francois-Xavier Roth ein hellwacher Partner. Bartóks ungewöhnliche Klangerfindungen inspirieren Solist und Orchester zu einem fast kammermusikalisch durchsichtigen Musizieren. Etwa wenn die Solo-Geige mit der Harfe oder dem Schlagzeug in Dialog tritt. Dieser Reichtum an ungewöhnlichen Farben und intensiven Gefühlen führt zum Kern von Bartóks Musik. Metronom und Stoppuhr kann man da getrost beiseitelegen.
Béla Bartók:
Violinkonzert Nr. 1, Sz 36
Violinkonzert Nr. 2, Sz 112
Renaud Capuçon (Violine)
London Symphony Orchestra
Leitung: François-Xavier Roth
Label: Erato
Sendung: "Leporello" am 20. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK