BR-KLASSIK

Gleich die ersten Klänge wirken wie der Glanz eines Versprechens. Wer sich ihrer Verlockung überlassen kann, dem Sog ihrer immer wieder permutierten und erneuerten Präsenz, taucht ein in eine Welt der opalisierenden Farben und der zeitentrückten Seelenzustände.

Bildquelle: Edition Wandelweiser

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Inspiriert von kurzen Textfragmenten aus Gedichten der türkischen Lyrikerin Gonca Özmen – "Die Wolken nimm weg" – "Die Welt drehte sich wieder" – hat ihr Landsmann Cem Güney im Jahr 2013 fünf kammermusikalisch besetzte Kompositionen von spiritueller Kraft geschaffen. Ihrer hypnotische Sogwirkung kann sich schwerlich entziehen, wer wirklich zuhört. Wer lauschend eintaucht in die unauslotbaren Weiten, welche sich auftun in den Atemzonen formal und dynamisch reduzierter Gefüge; in der körnigen Zerbrechlichkeit der meist ganz ohne Vibrato intonierten Klänge; den Schwebungen im Innenleben des Klingens; den Illusionsechos am Rande der Stille.

Vollkommen eigenständig erblühende Musik

Cem Güney hat an der Universität Izmir und am College of San Mateo in Kalifornien studiert und hierzulande in dem holländischen Komponisten, Flötisten und Spiritus Rector der Edition Wandelweiser Records Antoine Beuger, einen künstlerischen Mentor gefunden. Mit einem Kreis ihm nahestehender Interpreten versteht es Beuger, ans Innerste dieser der Ästhetik eines John Cage, eines Morton Feldman, auch eines Giacinto Scelsi verwandten, jedoch vollkommen eigenständig erblühenden Musik zu rühren. Gewiss, Güneys Kunst vermag ihr Potenzial nur dem zu offenbaren, der das Lauschen nicht verlernt hat bzw. wieder lernen will. Das Wahrnehmen des Strömens im eigenen Inneren und das Gewahren der Interaktion mit dem Anderen. Der es also versteht, sich in einer von Rastlosigkeit, virulenten Bedrohungen und den grellen Verführungen zum Konsum durchwirkten Lebenswelt Refugien der Achtsamkeit und der Kontemplation zu kultivieren. Was hier an klingenden Zeichen zu hören ist aus den Stücken Cem Güneys, das sind nur winzige Reflexe auf Wassertropfen aus einem Ozean; Reflexe vom Glanz eines Versprechens, welches die Musik aber wahrhaftig einzulösen vermag.