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Hildegard von Bingen ist eine Kultfigur – leider im wahrsten Sinne des Wortes: Mit dem Kult um ihren Namen wird viel Geld gemacht. Das Tiburtina Ensemble konzentriert sich wohltuend auf das Wesentliche: ihre einzigartige Musik.

Bildquelle: © Ricercar

Der CD-Tipp zum Nachhören

Hildegard von Bingen: Ego sum homo

Im Hildegard von Bingen Online-Shop kann man Produkte der Hildegard-Heilkunde, Naturkosmetik, Bücher und CDs erwerben. Es gibt auf der Seite einen Kalender mit Aderlass-Terminen und Rezepte aus Hildegards Kräuterküche. Außerdem werden wir darüber belehrt, dass sie auch die Musik als Heilmittel verstanden hat. Wohltuend weit entfernt von derlei Heilsversprechen nähert sich das tschechische Tiburtina Ensemble der Musik Hildegards auf seiner neuen CD mit dem vielsagenden Titel "Ego sum Homo" - "Ich bin ein Mensch". Denn, schreibt die Leiterin des Vokalensembles, Barbora Kabátková, ihr seien beide Facetten in der Persönlichkeit Hildegards wichtig: die Heilige und Mystikerin ebenso wie die politisch weitsichtige und strategisch denkende Äbtissin.

Mystik und Politik

Womöglich ging bei Hildegard gar beides Hand in Hand. Denn sie betonte stets, dass die religiösen Aussagen in ihren Schriften auf Visionen beruhen, die ihr als Medium widerfahren sind. Nicht sie ist die Autorin, sondern Gott durch sie. Damit hat sie geschickt das weibliche Predigtverbot der Bibel umgangen, konnte sie doch als Äbtissin das Wort des Paulus nicht einfach ignorieren, dass die Frau in der Gemeindeversammlung schweigen soll. Aber gegen Visionen konnte die Kirche nichts einwenden, denn sie kamen ja von Gott selbst, nicht von ihr als Frau. Ob bewusster Kniff oder nicht, ihre Visionen ermöglichten es Hildegard, dass sie als erste Frau des Mittelalters in religiösen Fragen Gehör fand. Etliche ihrer Visionen fasste sie zu dem geistlichen Tugendspiel "Ordo virtutum" zusammen, zu dem sie auch die Musik komponierte.

Erstklassige Stimmen

Die meisten der eingesungenen Stücke sind liturgische Kompositionen, die Hildegard speziell für den Gottesdienst ihres neu gegründeten Frauenklosters auf dem Rupertsberg schrieb - es war als erstes seiner Zeit völlig unabhängig von einem übergeordneten Männerkloster. Das Tiburtina Ensemble besteht aus einer Riege erstklassiger Stimmen, die perfekt verschmelzen und im Gesamtklang aufgehen, obwohl einige der Sängerinnen, wie etwa Hana Blažiková, sonst als Solistinnen auf den internationalen Bühnen gefeiert werden.Die zehn Sängerinnen verweigern sich jeder esoterischen Verklärung sowie der allseits präsenten Mittelalter-Folklore, konzentrieren sich stattdessen einfach auf das tatsächlich Überlieferte - und kommen so der klanglichen Aura der Gesänge bei weitem am Nächsten.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 20. August 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK