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CD - Riccardo Chailly dirigiert Strawinskys wiederentdeckter "Chant funèbre"

2016 hat Riccardo Chailly die Nachfolge von Claudio Abbado beim Lucerne Festival Orchestra übernommen. Mit diesem Projektorchester führte er im Sommer 2017 ein reines Strawinsky-Programm auf. Der Konzertmitschnitt wartet mit einer kleinen Sensation auf: dem "Chant funèbre", der seit der Uraufführung 1909 als verschollen galt, erst 2015 im Sankt Petersburger Konservatorium wiederentdeckt und ein Jahr später von Valery Gergiev mit seinem Mariinsky-Orchester der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Ersteinspielung dieses Jugendwerks ist nun Teil von Chaillys aktuellem Strawinsky-Album.

CD-Cover Igor Strawinsky: Chant funèbre | Bildquelle: Decca

Bildquelle: Decca

Der CD-Tipp zum Anhören

Einen düsteren spätromantischen Trauerton schlägt Strawinsky in seinem "Klagegesang" an, den er 1908 zum Gedenken an seinen Lehrer Nikolaj Rimskij-Korsakow schrieb. Riccardo Chailly kostet die Partitur mit dem Lucerne Festival Orchestra intensiv und klangschön aus. Wie ein Defilee der einzelnen Instrumente am Sarg hat Strawinsky seinen "Chant funèbre" konzipiert – im Bann seiner Vorläufer, entflammt für Wagner.

Strawinsky vertont Puschkin

Scala Musikdirektor Riccardo Chailly | Bildquelle: picture-alliance/dpa Riccardo Chailly | Bildquelle: picture-alliance/dpa Mit weiteren Talentproben Strawinskys bettet Chailly dieses Gelegenheitsstück als "Missing Link" in das Frühwerk ein und erhellt so die Anfänge des Komponisten. Auf einen ersten Symphonie-Versuch folgte als Opus 2 ein Debussy-naher Liederzyklus nach Puschkin-Texten, "Faun und Schäferin". Die Mezzosopranistin Sophie Koch findet mit ihrem dramatischen Timbre und ihrem ausladenden Vibrato nur selten zur Intimität dieser bukolischen Szene. Vor dem "Chant funèbre", der die Opuszahl 5 trägt, entstanden noch zwei brillante Orchester-Scherzi. Das erste wirkt mit den Flatterzungen-Effekten der Flöten wie ein schwirrender Bienenschwarm – und erinnert nicht zufällig an den berühmten "Hummelflug" von Rimskij-Korsakow. Die handverlesenen Instrumentalisten des Orchesters kitzeln die raffinierten Klangfarben Strawinskys auch in der kurz darauf komponierten Miniatur "Feuerwerk" lustvoll heraus, einem funkensprühenden Kabinettstück. Hörbar hat hier Paul Dukas‘ "Zauberlehrling" Pate gestanden.

"Sacre" als Wagnis

Mit dem "Chant funèbre" schließt Chailly eine Lücke in der "russischen" Phase Strawinskys, die in die drei frühen Erfolgsballette mündet. Chailly hat sich für das einstige Skandalstück "Le sacre du printemps" entschieden – vielleicht ein Wagnis, zumal das Lucerne Festival Orchestra kein eingespieltes Team ist und sich hier keineswegs in Bestform präsentiert. Chaillys aktuelle Interpretation aus Luzern jedenfalls wirkt altmeisterlich, ein wenig behäbig auch, mit wenig Biss – selten erreicht sie die rhythmische Schärfe, wie sie ihm 1985 mit dem Cleveland Orchestra grandios gelungen ist.

Riccardo Chailly dirigiert Strawinsky

Igor Strawinsky:
"Chant funèbre” op. 5
"Feu d’artifice” op. 4
Scherzo fantastique op. 3
"Le Faune et la Bergère" für Mezzosopran und Orchester op. 2
"Le sacre du printemps"

Sophie Koch (Mezzosopran)
Lucerne Festival Orchestra
Leitung: Riccardo Chailly

Label: Decca

Sendung: "Leporello" am 23. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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