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Saison-Eröffnung an der Mailänder Scala "Madama Butterfly" in Skandal-Fassung

Wütende Schreie, Gebrüll und Protest erntete Puccini 1904 bei der Uraufführung seiner "Madama Butterfly" in Mailand. Daraufhin arbeitete er das Werk um. Zur feierlichen Saison-Eröffnung der Scala brachte Riccardo Chailly gestern die Originalfassung der Oper wieder auf die Bühne. Drohte ein neuer Skandal?

"Madama Butterfly" an der Scala | Bildquelle: © Mailänder Scala

Bildquelle: © Mailänder Scala

Eine populäre Oper mit Exotik-Flair für das mondäne Publikum der Scala-Eröffnung? Von wegen. Ganz so einfach macht es sich Musikchef Riccardo Chailly nicht. Er schlägt gerne unkonventionelle Wege in seinem Mailänder Puccini-Zyklus ein: "Turandot" hat er bereits mit dem Finale von Luciano Berio herausgebracht, "La Fanciulla del West" stellte Chailly in der Version der Kritischen Gesamtausgabe zur Diskussion. Und die "japanische Tragödie", wie "Madama Butterfly" auch genannt wird, präsentiert er nun in der Originalfassung - und das, obwohl das Mailänder Publikum vor 112 Jahren heftig gegen diese protestierte.

Skandal bei der Uraufführung von "Madama Butterfly"

Grunzen, Dröhnen, Brüllen, Lachen, Kreischen, Schreien - das Mailänder Publikum boykottierte die Uraufführung von Puccinis "Madama Butterfly" völlig. "Nach diesem Höllenlärm, in dem man so gut wie nichts hören konnte, verließ das Publikum das Theater seelenvergnügt", schrieb der Verleger Giulio Ricordi über die katastrophale Uraufführung am 17. Februar 1904 im Teatro alla Scala.

"Madama Butterfly" an der Scala | Bildquelle: © Mailänder Scala Bildquelle: © Mailänder Scala Was an diesem unheilvollen Abend in das Mailänder Publikum gefahren war, ist bis heute nicht ganz geklärt. Gab es eine organisierte Claque, hatten Neider und Konkurrenten dem erfolgsverwöhnten Puccini eins auswischen wollen? Oder empörten sich die Zuschauer derart über eine gewisse Abweichung vom gewohnten Zeitplan einer Opernaufführung? Immerhin hatte Puccini ihnen einen überlangen zweiten Akt zugemutet.

Neues Format ohne Champagner-Pause

Butterflys Nachtwache mit dem berühmten Summchor war bei offenem Vorhang in das orchestrale Zwischenspiel übergegangen. Dieses leitete wiederum über ins Morgengrauen und zu den tragischen Ereignissen des nächsten Tages. Ohne erfrischenden Pausen-Champagner hatte das Publikum somit das quälende Warten der Protagonistin gleichsam realistisch mit durchleiden müssen. Es ist genau dieses großangelegte Seelengemälde in zwei Akten, auf das es Puccini ankam.

Das Drama muss ohne Unterbrechung bis zum Schluss durchlaufen - stringent, effektvoll und furchtbar.
Giacomo Puccini

Puccini war sicher, sein Publikum so fesseln zu können. Er träumte von einem neuen Opernformat. Doch dieses Format entpuppte sich offensichtlich als zu fortschrittlich. Und so ließ sich Puccini nach dem Mailänder Skandal auf Druck des Verlags doch dazu bewegen, sein Werk in drei Teile zu gliedern. Außerdem nahm er diverse Kürzungen vor. Drei Monate nach der Uraufführung erlebte "Madama Butterfly" in dieser überarbeiteten Form in Brescia einen Triumph - und startete von dort aus ihren Siegeszug über die Bühnen aller Welt.

Zwischen Original und Kompromisslösung

"Madama Butterfly" an der Scala | Bildquelle: © Mailänder Scala Bildquelle: © Mailänder Scala Für Puccini war die Sache dennoch nicht abgeschlossen: Für jede Aufführung der nächsten Jahre, bei der er an den Proben beteiligt war, erarbeitete er eine andere Fassung. Letztlich schien Puccini mit keiner zufrieden zu sein. Noch 1920, vier Jahre vor seinem Tod, bat er Ricordi, am Teatro Carcano in Mailand eine Version durchzusetzen, die einen Großteil der Striche wieder aufmachte. An dieser Version orientierte sich Riccardo Chailly bereits, als er "Madama Butterfly" 1996 an der Scala dirigierte. Nun will er vollständig zum Original der Uraufführung zurückzukehren.

Ausgegraben: 1.000 Takte unbekannte Musik

Die ursprüngliche Fassung der Oper enthält immerhin rund 1.000 Takte Musik, die wir sonst nicht zu hören bekommen. Besonders im ersten Akt finden sich ausführliche Schilderungen des japanischen Milieus samt Butterflys vielköpfiger Verwandtschaft. Laut Riccardo Chailly handelt es sich hier um keine pittoresken Einlagen, vielmehr werden sie dramaturgisch bewusst eingesetzt.

Während wir noch lächeln, bekommen wir einen Schlag in die Magengegend.
Riccardo Chailly

Als Beispiel nennt er im Interview mit der italienischen Zeitung "La Repubblica" die komische Szene des betrunkenen Onkels Yakusidé auf der Hochzeit. Sie stehe in starkem Kontrast zum Auftritt des Onkels Bonzo und seiner Verfluchung. "Dieses Aufeinandertreffen gegensätzlicher Situationen ist typisch für Puccinis Theater", erklärt Chailly. "Die minutiöse Beschreibung des Ambientes und der Nebenfiguren lässt die Unvereinbarkeit zwischen den beiden Kulturen, der traditionellen japanischen und jener der Neuen Welt, noch viel schärfer hervortreten."

Gegensätze prallen aufeinander

In der ersten Fassung ist nicht nur Pinkertons zynische Haltung gegenüber der japanischen Kultur stärker herausgearbeitet, sondern auch seine unerträgliche Feigheit angesichts der von ihm verursachten Tragödie. Er schickt seine "echte" amerikanische Ehefrau vor, Kate Pinkerton, die in der Urfassung keine blasse Nebenfigur ist. Vielmehr tritt sie mit Butterfly ins Gespräch und will die Verantwortung für das Kind übernehmen. Deshalb singt Pinkerton hier auch nicht die Romanze "Addio fiorito asil", die erst später hinzukomponiert wurde. Chailly bezeichnet sie als "ein wunderschönes Stück, das allerdings den Eindruck einer völlig unpassenden Sentimentalität" erweckt, wie er im Interview mit der Mailänder Scala erklärt. Wir dürfen also gespannt sein auf eine Fassung des Werks, in der die dramatischen Gegensätze kompromisslos aufeinanderprallen.

Sendetipp

BR-KLASSIK überträgt die Saisoneröffnung mit Giacomo Puccinis "Madama Butterfly" am Mittwoch, den 7. Dezember 2016 ab 17.55 Uhr live.

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