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Interview mit Alexander Rahbari Iranischer Dirigent kämpft für Frauen im Orchester

Weil die Frauen des Orchesters nicht mitspielen durften, hat das Teheraner Symphonieorchester vergangene Woche einen Auftritt im Iran in letzter Minute abgesagt. Im Interview mit BR-KLASSIK erklärt Dirigent Alexander Rahbari, wie es zu der Situation kam.

Ali Alexander Rahbari | Bildquelle: Ali Alexander Rahbari

Bildquelle: Ali Alexander Rahbari

BR-KLASSIK: Herr Rahbari, wie kam es zum Auftrittsverbot für die Frauen des Orchesters?

Rahbari: Die Frauen durften immer musizieren, und auch in unserem Orchester sind die meisten Musiker Frauen. Aber diesmal ist etwas passiert, was noch nie vorgekommen ist: Es gibt manche Traditionen, zum Beispiel bei Sporthallen oder besonders großen Stadien, da dürfen Frauen nicht hinein. Und was passierte diesmal? Diesmal lädt uns der Chef dieses Stadions ein, damit wir dort die iranische Hymne spielen, was sehr wichtig war, weil es ein internationales Event war. Und er hat nicht damit gerechnet, dass man da auch Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn die Frauen nicht Zuschauer, sondern Mitglieder des Symphonieorchesters sind. Natürlich hat es mich gestört, als sie das Verbot ausgesprochen haben. Deswegen haben wir das Konzert annulliert und haben gesagt, dass wir ohne Frauen nicht spielen.

Ohne Frauen spielen wir nicht

BR-KLASSIK: Ist eigentlich schon klar, von wem das Verbot ausgesprochen worden ist? Denn soweit ich weiß hat ja der iranische Präsident Hassan Rohani ganz klar gesagt, solche Verbote solle es nicht geben.

Rahbari: Ja natürlich. Aber es gibt verschiedene Leute, die entscheiden. Es reicht schon, wenn jemand vom Militär oder der Polizei auf einmal kommt und sagt: „Ich darf das nicht zulassen!“. Und bis das in Ordnung kommt, bis die darüber diskutieren und eine Lösung finden, kann das manchmal Tage dauern. Aber ich glaube das war eine gute Tat (die Aussprache des Verbots, Anm. der Red.) – das ist schon in Ordnung für mich. Der Chef von diesem Stadion ist ein sehr bekannter, mächtiger Mann und er hat das Orchester wieder eingeladen. Das ist etwas total Neues: Ich habe gestern gehört, dass das Orchester mit Frauen eingeladen wird und wir werden tatsächlich dieses Konzert dort wiederholen. Jetzt, wo man darauf gekommen ist, dass solche Schwierigkeiten tatsächlich existieren, haben uns fast alle Zeitungen, Nachrichten und Agenturen im Iran unterstützt. Das ist sehr wichtig für uns, besonders für unsere Frauen.

BR-KLASSIK: Wie haben eigentlich Ihre Musiker und Ihre Musikerinnen in dem Moment reagiert?

Rahbari: Die haben mich angeschaut. Die haben gewartet, wie ich reagiere. Mach ich mit, um meinen Posten zu behalten oder reagiere ich so wie ich reagiert habe. Und natürlich hätte ich auch nicht anders reagiert. Wir sind alle zusammengewachsen. Alle Musiker der Welt sind so. Nicht nur ich. Also kein Musiker in der klassischen Musik, den ich kenne, hätte das akzeptiert.

BR-KLASSIK: Das wäre ja auch ein Großteil Ihres Orchesters, welches nicht hätte auftreten können, wenn Sie sagen, dass viele davon Frauen sind.

Rahbari: Genau. Die große Mehrheit. Die Besten auch.

BR-KLASSIK: Hat das Publikum in irgendeiner Form reagiert?

Rahbari: Ja, im Nachhinein. Das waren Tausende. Das waren mehr als 8000 Leute im Saal. Nachher haben wir gehört, dass sie gepfiffen haben. Es war schon eine starke Reaktion vom Publikum. Natürlich Männerpublikum, weil gar keine Frauen drinnen waren.

BR-KLASSIK: Die hätten vielleicht genauso mitgepfiffen und gesagt, dass kann eigentlich gar nicht sein.

Rahbari: Ja.

Hundert Jahre klassische Musik

BR-KLASSIK: Herr Rahbari, die klassische europäische Musik, die ja ein Symphonieorchester häufig spielt, wie ist die in Teheran, im Iran zu Hause?

Rahbari: Wir haben fast hundert Jahre klassische Musik. Wir hatten natürlich vor der Revolution Oper, aber nach der Revolution haben wir auch Symphonien gespielt. Aber ich muss sagen, seit acht Monaten spielen wir regelmäßig jede Woche. Wir haben die besten Dirigenten und Solisten eingeladen. Wir werden bald in Shanghai beim Springfestival sein. Wir werden auch nach Österreich kommen und die Bruckner Festspiele eröffnen. Wir haben auch sehr bekannte Musiker in Deutschland. Ich war selbst fünf Mal bei den Berliner Philharmonikern oder habe mehr als 30 deutsche Orchester dirigiert - aber ich bin nicht der Einzige. Es gibt viele Dirigenten und Komponisten. Wir haben in den letzten drei Wochen in Teheran zwölf Kompositionen von zwölf persischen ausgezeichneten Komponisten aufgenommen und wie mit Naxos in Deutschland auch in der ganzen Welt auf den Markt gebracht. Das Teheraner Symphonieorchester ist ein staatliches Orchester. Aber es gibt drei, vier andere nicht-staatliche private Orchester, die aktiv sind. Und es gibt sehr viele Solisten und Konzertmeister, die Perser sind. Es gibt sehr viele gute Bläser, die in Österreich, Deutschland und England beschäftigt sind. Also das ist schon eine große Tradition bei uns.

Hintergrund

Seit der islamischen Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, auf der Bühne zu singen und zu musizieren - wenn sie dabei allein sind. Im Verbund eines Orchesters aber dürfen sie vor Publikum auftreten. Daher hat das "Tehran Symphony Orchestra" zahlreiche weibliche Mitglieder. Der Dirigent des Orchesters ist der gebürtige Iraner Alexander Rahbari. Er hatte den Iran vor der Revolution verlassen und sich in Österreich niedergelassen, aber seit einigen Monaten engagiert er sich mit dem entsprechenden politischen Rückhalt für das Symphonieorchester der iranischen Hauptstadt. In einem Interview mit dem britischen Guardian hatte er im April die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, das Orchester wieder international zu etablieren: "Ich wünsche mir, dass ich eines Tages das Orchester meines Heimatlands auch nach London oder Berlin führen kann. Dieser Tag ist nicht mehr weit weg."

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