BR-KLASSIK

Inhalt

Ivo Pogorelichs erstes Album seit über 20 Jahren Wo ist der Drive geblieben?

Als "Beckham des Pianos", als "schönster Pianist seit Franz Liszt" wurde Ivo Pogorelich einst bezeichnet. In den Achtzigern und Neunzigern war der kroatische Pianist sicher die exzentrischste Figur, die die Klassikwelt bis dahin gesehen hatte. Nicht nur was sein Auftreten anging. Seine eigenwilligen, extrem manierierten Einspielungen etwa von Bach, Liszt oder Chopin zählen noch heute zum Aufregendsten, was es an Klavieraufnahmen überhaupt gibt. Umso gespannter durfte man auf die erste Einspielung des Pianisten seit über zwanzig Jahren sein. Auf dem Programm: Beethoven und Rachmaninow.

CD-Cover: Ivo Pogorelich spielt Beethoven und Rachmaninow | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

Wohlfühlklassik ist das nicht. Das unterscheidet Pogorelich, den seinerzeit ersten "Popstar" unter den Pianisten, von seinen Nachfolgern á la Lang Lang. Mit den beiden zweisätzigen Beethovensonaten Nr. 22 und 24 sowie der b-Moll Sonate von Rachmaninow hat er sich ein eher sperriges Repertoire ausgesucht. Und auch sein Spiel, lässt in keinem Moment den Verdacht aufkommen, Pogorelich wäre auf Gefälligkeit aus.

Er konnte – kann es es noch?

Gefällig war sein Spiel ja nie. Stattdessen im besten Sinne eigensinnig. Niemand konnte so cool flamboyant über die Tasten stelzen wie Ivo Pogorelich. Niemand nahm sich so viele rhythmische Freiheiten und erzeugte trotzdem diesen irren Groove. Niemand konnte, so wie er, die Töne im einen Moment wie Nägel einschlagen und im nächsten Moment schweben lassen, als wären sie federleicht. Die Betonung liegt auf: konnte. Ob er's noch kann, das erfährt man auf seiner neuesten Einspielung nämlich nicht. Zumindest zeigt er es nicht.

Gelegentliches Gedonner

Wo ist er nur geblieben, dieser leuchtende Klavierton früherer Aufnahmen? Das fragt man sich verwundert, angesichts der muffigen Klänge, die Pogorelich aus dem Flügel holt. Hier herrscht musikalische Dauerbewölkung. Blühende Akkorde, sangliche Lienen – hier eher Fehlanzeige. Einzige Abwechslung bietet gelegentliches Gedonner.

Viel Pathos

Gewöhnungsbedürftig ist auch Pogorelichs Umgang mit dem Tempo. Besser gesagt: den Tempi. Sich auf eines festzulegen, vermeidet der Pianist nämlich ziemlich konsequent. Mit dem Ergebnis, dass auch der Drive verloren geht, den sein Spiel einst ausgezeichnet hat. Von Beginn an planlos klingt das, wie sich Pogorelich durch die ersten Takte von Beethovens F-Dur Sonate hindurchtastet. Und den Anfang der Fis-Dur-Sonate nimmt er mit so viel schnaufendem Pathos, dass aus dem Adagio cantabile eher ein Adagio tragico wird.

Fazit: die über 20 Jahre des Wartens auf dieses Album haben sich nicht gelohnt. Leider.

Sendung: "Leporello" am 22. August 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr Meinung

    AV-Player