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Bachs große Passionen Szenisch oder nicht-szenisch, das ist hier die Frage ...

In den letzten Jahren gab es immer mehr szenische Aufführungen der großen Oratorien wie Bachs "Johannes-Passion". Worin liegt eigentlich der Reiz solcher Inszenierungen? Wo liegen die Risiken? Bedeutet so eine Inszenierung nicht auch einen Bruch mit der Tradition? Schließlich hat Bach selbst keine szenische Aufführung seiner Passionen vorgesehen. BR-KLASSIK-Redakteur Maximilian Maier hat sich Gedanken gemacht.

Szene aus Johannes-passion | Bildquelle: Berliner Philharmoniker

Bildquelle: Berliner Philharmoniker

Die Berliner Produktion von Bachs "Johannespassion" aus dem Jahr 2014 in der Regie von Peter Sellars hat anscheinend nichts von ihrer Faszination verloren. Vier Jahre früher hatte Sellars bereits die "Matthäus-Passion" bei den Salzburger Festspielen szenisch umgesetzt. Keine neue Erfindung. Deborah Warner und Claus Guth haben ebenso Oratorien inszeniert wie Calixto Bieito den "Elias" von Felix Mendelssohn Bartholdy am Theater an der Wien. Und auch der Chor des Bayerischen Rundfunks hat die "Johannes-Passion" 2015 in der Nürnberger Lorenzkirche in einem szenischen Arrangement gesungen.

Die Berliner Johannes-Passion anschauen

Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion" in der Inszenierung von Peter Sellars ist als Video jederzeit in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker abrufbar - derzeit bietet die Digital Concert Hall einen 30-tägigen kostenlosen Zugang.

Szenische Aufführung - Darf man das?

Wieso das alles? Und darf man das? John Eliot Gardiner stellt in seiner großen Bach-Monographie klar, dass der Meister selbst nie an Aufführungen seiner Passionen auf der Opernbühne oder gar mit Requisiten gedacht hat. Gleichzeitig betont Gardiner aber auch die "unerreichte Bildhaftigkeit" des Orchestervorspiels vom Eingangschor der "Johannes-Passion". Alle Tragik des Stücks ist hier schon enthalten. Gardiner vergleicht es mit den späteren großen Opern-Ouvertüren Mozarts zu "Idomeneo" oder "Don Giovanni". Der Spannungsbogen an musiktheatralischer Intensität der Bachschen Passionen, besonders der "Johannes-Passion", geht für ihn weit über alles hinaus, was Opernpartituren der damaligen Zeit zu bieten hatten. Und in der Tat gibt es wohl keine andere Passion, die eine solch dramatische Wucht entfaltet, wie diese.

Tareq Nazmi als Christus, Maximilian Schmitt als Evangelist und Kresimir Strazanac als Pilatus. | Bildquelle: BR/Tim Boehmerle

Bildquelle: BR/Tim Boehmerle

Bachs "Johannes-Passion" halbszenisch

Peter Dijkstra dirigiert Concerto Köln und den BR-Chor

Einladung für jeden Regisseur

Bereits die Menschen zu Bachs Lebzeiten waren irritiert von dieser Dramatik. Die Quellen berichten darüber, dass sich viele eher in der Oper oder in einer Komödie wähnten als in der Kirche. Dies liegt sicher daran, dass Bach mehrere perspektivische Ebenen wählte. Der Evangelist und auch die Turba-Chöre nehmen eine erzählende, unmittelbar beteiligte Ebene ein. Die Arien bilden die betrachtende Perspektive, die die biblische Handlung reflektiert und poetisch verdichtet. Der Gemeinde kommt über die Choräle eine Art Andachtsperspektive zu, die das Gehörte verinnerlicht. Diese dramaturgische Aufteilung ist natürlich eine Einladung für jeden Regisseur.

Es ist kein Theater. Es ist ein Gebet, eine Meditation.
Peter Sellars über die 'Johannes-Passion'

Die Macht der Musik nutzen

Übrigens wurden im katholischen Wien bereits im 17. Jahrhundert Oratorien an Karfreitag vor dem heiligen Grab in der Kirche szenisch aufgeführt. Also alles schon da gewesen. Zentral ist wohl, als Regisseur nicht zu realistisch zu sein und nicht sich selbst, sondern das Stück zu inszenieren. Eine naturalistische Blut-Sand-Sandalen-Version a la "Die Passion Christi" von Mel Gibson wäre wohl daneben. Ebenso alles, was die religiöse Dimension und die musikalisch-philosophische Größe dieser Werke reduziert oder gar torpediert. In einer sehr optisch bestimmten Zeit kann eine Regie aber zu einer weiteren Verinnerlichung führen und eine Möglichkeit sein, das Werk noch unmittelbarer zu erleben. Dies war ja auch das Ziel der Gründerväter der Oper – besonders von Monteverdi, wie auch John Eliot Gardiner festhält: die Macht der Musik zu nutzen, um die Leidenschaften des Publikums anzusprechen.

Legitime Neubefragung

Szenische Umsetzungen gehören genauso zu legitimen Neubefragungen der Werke wie beispielsweise musikhistorisch informierte oder historisierende Ansätze. Und auch da erlebt man immer wieder: Solch große Werke wie die "Johannes-Passion" erlauben musikalisch eine enorme Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. Von reduziertester, kammermusikalischer Besetzung bis hin zu romantisch inspiriertem Breitbandsound. Solange die Musiker das Stück ernst nehmen, sich wahrhaft im Innersten damit auseinandersetzen und etwas mitzuteilen haben, geht es da nicht um gut oder schlecht, um richtig oder falsch, sondern einfach um Geschmack. Mit szenischen Einfällen ist dies nicht anders. Peter Sellars sagt über seine Inszenierung der "Johannes-Passion", sie sei kein Theater: "Es ist ein Gebet, eine Meditation." Sicher die beste Voraussetzung, um in der Karwoche zu berühren.

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