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Kolumne - Nils Mönkemeyer Eine Hommage an das Ehepaar Harnoncourt

Der Bratschist Nils Mönkemeyer schreibt für br-klassik.de über sein Leben als Musiker oder alltägliche Erlebnisse, die ihn bewegen. In dieser Ausgabe schreibt er über die Helden seiner Jugend: das Ehepaar Harnoncourt.

Nils Mönkemeyer | Bildquelle: Irene Zandel

Bildquelle: Irene Zandel

Nie werde ich den Tag vergessen, ich war ungefähr neun Jahre alt, an dem ich im Coolheits-Ranking meiner Schulklasse schlagartig um mehrere Stockwerke nach unten sackte. Es war der Tag, an dem ich verstand, dass es ganz und gar nicht angesagt war, Klassik zu hören: Das war "Omamusik". Und es war der Tag, an dem sich zwischen mir und meinen Klassenkameraden ein Riss auftat: Ich tickte offenbar völlig anders als die anderen.

Auslöser war das Herumreichen der Poesiealben zum gegenseitigen Eintragen - "Nora und Kathrin friends forever" und dergleichen. Unter der Rubrik "Lieblingssong" im Poesiealbum von Julia C. trug ich also feinsäuberlich in Sonntagsausgehspaziergehschrift ein: "Bach Violinkonzerte mit Alice Harnoncourt, Violine, Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt FOREVER". Ein paar Stunden später während einer Pause umringte mich ein Pulk von Klassenkameraden, die rhythmisch "Niiiihils hört Klaaaaassik" riefen. Binnen weniger Sekunden wurde mir klar, dass meine Begeisterung für Musik, für Bach, für Harnoncourt nicht geteilt wurde, dass ich nicht verständlich machen konnte, als wie schön ich diese Musik empfand. "Nils hört Klassik" - dieser Satz wurde unerwartet zu einer entwürdigenden Hänselei und meine Leidenschaft zu einem Stigma, dessen ich mir vorher gar nicht bewusst gewesen war.

Nikolaus Harnoncourt und seine Frau Alice, 2002 | Bildquelle: SZ-Archiv Alice und Nikolaus Harnoncourt, 2002 | Bildquelle: SZ-Archiv All dies schmälerte meine innere Verbundenheit zum Ehepaar Harnoncourt keineswegs, ganz im Gegenteil. Sie wurden zum Leitstern meiner jugendlichen Begeisterung. In einem Interview las ich über die Schwierigkeiten, auf die Nikolaus Harnoncourt stieß, als er begann, mit seinen Mitstreitern auf historischen Instrumenten zu spielen, über das Unverständnis seiner Kollegen, über die Skepsis der Kritiker und des Publikums. In meiner glühenden Verehrung fühlte ich mich dadurch bestärkt und verstanden: Harnoncourt würde nachvollziehen können, wieso ich Bach liebte, wieso ich am liebsten den ganzen Tag nur Geige spielen wollte, um genauso schön zu spielen wie seine Frau Alice. In meiner Fantasie stand der Meister wie ein Verbündeter vor mir und zwinkerte mir zu, als wollte er sagen "Du und ich, wir wissen es besser".

Maestro Harnoncourt hinterlässt eine große Lücke. Meine Bewunderung für das Ehepaar Harnoncourt ist altersgemäß etwas gereift, aber im Kern gilt meine Hochachtung noch immer der gleichen Sache: dem Mut, neue Wege zu gehen, der beispiellosen Pionierarbeit im Bereich der Historischen Aufführungspraxis, die die Tür geöffnet hat für unzählige  Generationen, und vor allem natürlich Maestro Harnoncourts fast diebischer Freude daran, mit alten Hörgewohnheiten zu brechen und frischen Wind durch die Traditionskorridore zu pusten.

In meiner Fantasie steht Nikolaus Harnoncourt vor mir wie damals, und ich ziehe den Hut und sage "Maestro, Sie wussten es besser als wir!". Und dann zwinkert er mir zu, und ich fühle mich gestärkt und gewappnet für alles, was da kommen wird.

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