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Kritik - "Il Primo Omicidio" an der Pariser Opéra Garnier Brudermord mit Sängern im Orchestergraben

Heuer feiert die Pariser Oper ihr 350. Gründungsjubiläum. Intendant Stéphane Lissner hat als erste Opernpremiere des Jahres das selten aufgeführte Oratorium "Il primo Omicidio" von Alessandro Scarlatti aus dem Jahr 1707 auf den Spielplan gesetzt. Darin geht es um die Geschichte von Kains Brudermord aus dem Alten Testament. Der italienische Regisseur Romeo Castellucci hat das Werk für sechs Solisten an der Garnier- Oper in Szene gesetzt und René Jacobs sorgte mit dem B'Rock Orchestra für den Originalklang.

Szenenfoto aus der Inszenierung von Scarlattis "Il Primo Omicidio" von Romeo Castellucci an der Opéra national de Paris | Bildquelle: ©Bernd Uhlig / Opéra national de Paris

Bildquelle: ©Bernd Uhlig / Opéra national de Paris

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Sündenfall und Verlust der Unschuld, Eifersucht, Mord und Vergebung, altes und neues Testament, all das findet sich in der neuen Pariser Version von Scarlattis „Il primo omicidio“ – der erste Mord der Menschheitsgeschichte. Kain erschlägt auf Luzifers Rat hin seinen Bruder Abel, weil Gott Abels Opfer mehr schätzt als Kains mühevolle Arbeit. Die gerade aus dem Paradies vertriebenen Eltern Adam und Eva - tadellos gesungen von Brigitte Christensen und Thomas Walker -  eröffnen das Oratorium mit betörend schönen Lamenti. Scarlattis facettenreiche Musik entfaltet unter René Jacobs Leitung einen wunderbar sanft dahinströmenden Sog. Die beiden Söhne Kain und Abel, verkörpert von den Mezzosopranistinnen Kristina Hammarström und Olivia Vermeulen, versuchen, den Schmerz ihrer Eltern zu lindern und Gott durch ihre Taten und nicht minder wohlklingende Arien zu besänftigen.

Zwischen Altem und Neuem Testament

Regisseur Romeo Castellucci arbeitet in diesem ersten Teil des Oratoriums mit überirdisch oszillierenden Lichteffekten hinter matten Gazevorhängen, spielt mit Farben wie in einem Mark-Rothko-Gemälde und schlägt den Bogen zwischen Altem und Neuem Testament, indem er eine Darstellung von Mariä Verkündigung auf den Kopf hängt. Auch Luzifer, gesungen von Bassist Robert Gleadow, und Gottes Stimme, als die der deutsche Countertenor Benno Schachtner aufhorchen lässt, erscheinen ganz real im braunen Anzug. Doch alle Protagonisten bewegen sich bedeutungsschwanger in stilisierten Posen, die barocke Tanzhaltungen imitieren oder manchmal an Robert Wilsons Körpersprache erinnern.

Starke, aber unzusammenhängende Bilder

Im zweiten Teil, in dem Kain seinen Bruder erschlägt, befinden wir uns plötzlich auf einem ganz real dargestellten steinigen Feld mit Grasbüscheln unter einem nächtlichen Sternenhimmel. Castellucci verbannt hier die Sänger in den Orchestergraben. Auf der Bühne agieren nun für den Rest des Abends Kinderdoubles, die mit vollem Körpereinsatz sowohl die Münder zum Gesangstext bewegen als auch die Grausamkeit des Mordes und die daraus folgenden Seelenqualen darstellen. Diese unschuldigen alter Egos werden nach und nach in eine Kindergruppe integriert, die auf dem Feld zu spielen beginnt. Am Ende ist die Welt mit einer weißen Plastikfolie bedeckt. Es sind wieder einmal starke, aber nicht wirklich zusammenhängende Bilder, die Castellucci zu Scarlattis dramatischer Musik voller barocker Effekte wie Donnergrollen und Windessausen auf die Bühne der Pariser Garnier Oper assoziiert. Die Idee mit den Kinderdoubles verliert leider nach einer Weile an Spannung und lässt das musikalisch packende Werk mit seiner existenziellen Frage nach Schuld und Vergebung szenisch etwas zu blass enden. Ein außergewöhnlicher Opernabend ist diese Pariser Jubiläumsproduktion dennoch.

Informationen zu den Aufführungen unter operadeparis.fr

Sendung: "Allegro" am 25. Januar 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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