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Kritik – "Turandot" mit Anna Netrebko an der Bayerischen Staatsoper Langes Warten auf den Star

So richtig viele Superstars gibt es in der Opernwelt gar nicht, sie gehört aber ganz gewiss dazu: Anna Netrebko – eine Operndiva wie aus dem Bilderbuch. Für drei Abende singt sie nun an der Bayerischen Staatsoper in München die Titelrolle in "Turandot" von Giacomo Puccini - das erste Mal, dass sie diese Rolle in einer Produktion singt. Allerdings ist diese Inszenierung schon über acht Jahre alt.

Anna Netrebko als Turandot an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wildried Hösl

Bildquelle: Wildried Hösl

Gespräch mit Henrik Oerding

Anna Netrebko singt erstmals die Turandot

Anna Netrebko singt – es dauert allerdings. Die Prinzessin Turandot hat in Puccinis Oper erst nach eineinhalb Akten ihren ersten Auftritt, bei dem sie auch singen darf. An der Bayerischen Staatsoper fühlt sich diese erste Hälfte der Oper besonders lang an, weil Regie und Musik keine Spannung erzeugen können. Alles scheint auf den Auftritt der Operndiva zu warten.

3D-Brillen und Manga-Trash

Größter Langeweile-Erzeuger ist die Inszenierung von Carlus Padrissa und der katalanischen Gruppe La Fura dels Baus. Sie verlegt die Oper in ein China der Zukunft, wo alles nach einer Mischung aus "Star Wars" und Manga-Trash aussieht. "La Fura"-typisch gibt es Akrobaten, Lichteffekte und mäßige Videoeinspielungen. Alles wirkt recht statisch, nach jedem Akt ist eine lange Pause für den Umbau nötig, nur manchmal gibt es starke Bilder - etwa, wenn die Massen eingepfercht in ihren Wohntürmen Smartphone-beleuchtet in die Leere starren. Dass diese Inszenierung schon gut acht Jahre alt ist, merkt man gleich am Eingang. Da gibt es für jeden Zuschauer eine 3D-Brille, ein Pappding mit einem blauen und einem roten Brillenglas, dass man während der Oper immer wieder raschelbegleitet aufsetzen soll. Die 3D-Effekte sind aber kaum der Mühe Wert und nerven eher. Aber 2011 waren Kinomacher und Fernsehbauer eben voll im 3D-Hype, da wollte die Oper natürlich auch dabei sein. Heute wirkt das eher albern.

Eyvasov und Sagripanti enttäuschen

"Turandot" an der Bayerischen Staatsoper: Anna Netrebko (Turandot) und Yusif Eyvasov (Calaf) | Bildquelle: Wildried Hösl Anna Netrebko (Turandot) und Yusif Eyvasov (Calaf) | Bildquelle: Wildried Hösl Auch die Musik kann die inszenatorische Schwäche nicht ausgleichen. Puccinis Partitur fordert zwar ein großes Orchester mit großer Kraft, die das Bayerische Staatsorchester auch geben kann - es klingt auch im Fortissimo nie unangenehm, sondern voll und satt. Allerdings verliert Dirigent Giacomo Sagripanti häufig die Kontrolle darüber, selbst der großbesetzte Chor kommt dann gegen das Orchester nicht an. In weiten Teilen meint man, eine Instrumentalversion der Oper zu hören. Wo der Chor nicht durchkommt, schaffen die Solisten es umso weniger. Besonders die männliche Hauptrolle Calaf, gesungen von Yusif Eyvazov - Anna Netrebkos Ehemann, der mysteriöserweise immer zusammen mit ihr gebucht wird. Beim großen Hit "Nessun dorma" macht er zwar eine ordentliche Figur, hat aber ebenfalls kaum Chancen gegen das Orchester. Vollkommen zurecht war der Publikumsliebling dagegen die Ensemblesängerin Selene Zanetti als Liù. Das Liebevolle, Warme dieser Rolle verkörpert und singt sie toll.

Endlich kommt Anna Netrebko

Und dann kommt endlich Anna Netrebko. Nach dem langen Warten steigt sie aus dem Bühnenhimmel herab, singt ihre Arie "In questa Reggia" - und ist fantastisch. Sie hat absolute Kontrolle über ihre Stimme, wechselt ganz plötzlich ins Piano und strahlt dann so stark mit ihrem Forte, dass sie auch mit dem Bayerische Staatsorchester mithalten kann. Anscheinend ist Sagripantis Balance auf das Volumen Netrebkos getrimmt. Sie schafft es auch, der Rolle etwas zu geben: Turandot ist bei ihr nicht nur eine "eiskalte Prinzessin", sondern man spürt auch Mitleid und Menschlichkeit.

Versöhnliches Ende

Anna Netrebko als Turandot an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wildried Hösl Anna Netrebko (Turandot) | Bildquelle: Wildried Hösl Da passt es auch, dass die Oper nicht so endet, wie man es erwartet: Normalerweise fallen sich Calaf und Turandot am Ende in die Arme - Schlussduett, Fortissimo, Happy End. Dieser Schluss aber ist von einem Schüler Puccinis. Der Komponist selbst war sich lange unschlüssig und ist dann darüber gestorben. In München endet man mit Puccinis Fragment, Turandot und Calaf bleiben allein zurück, es ist unklar, wie es für die beiden weitergehen soll, die Musik läuft ruhig aus. Nach all dem Bombast doch ein versöhnliches Ende.

Sendung: "Allegro" am 29. Januar 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Turandot" mit Anna Netrebko

Anna Netrebko singt die Turandot an der Bayrischen Staatsoper noch an zwei Terminen – am 31. Januar und am 3. Februar 2020.
Informationen erhalten Sie auf der Homepage der Staatsoper.

Kommentare (3)

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Dienstag, 04.Februar, 21:01 Uhr

Cannie DeFeeney

Turandot

Dieses Spektakel war wahrhaft ein Meisterwerk. Die herzzerreißenden Stellen waren sowohl von Liu als auch von Calaf hervorragend gestaltet . Turandot ließ lange auf sich warten, aber auch dies ist eine Laune des Komponisten, zu der er im Recht ist. Solange die Oper im Ganzen spannend und musisch so genial gestaltet ist wie in Turandot, gibt es keine angebrachte Kritik, die mir gerade einfällt. Großes Lob!

PS: "Eyvasov" schreibt man mit "Z"!

Antwort BR-KLASSIK: Besten Dank, wir haben die Schreibweise im Artikel ausgebessert!

Mittwoch, 29.Januar, 22:58 Uhr

Sibylle Luise Binder

Eyvazov

Es ist in der Szene bekannt: Wer Anna N. will, sollte ihr Ehegespons mit engagieren. Der ist zwar nur Durchschnitt und ohne sie würde kein Hahn nach ihm krähen, aber solange sie ihn will und das Publikum viel Geld für sie zahlt, wird man ihn nehmen.
Ich höre mir als calef dennoch lieber Roberto Alagna an. Der ist da eine ganz andere Preisklasse.

Mittwoch, 29.Januar, 16:57 Uhr

Dr. Michael Strobel

Turandot

Na ja, Bombast. Puccinis Partitur ist genial, mit vielen Farben und Nuancen und ausgebuffter Rhytmik. Vielleicht sollte man sich einen guten Dirigenten leisten, der das alles herauskitzeln kann wie früher Silvio Varviso. Dann klingt vieles eher nach Debussy. Dann versteht man auch, daß Turandot ein Meisterwerk ist.

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