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Das Fach Violoncello beim ARD-Musikwettbewerb 2019 Wettstreit unter Männern

Beim diesjährigen ARD-Musikwettbewerb spielten zum 15. Mal junge Cellistinnen und Cellisten um die Wette. 53 Teilnehmer traten gegeneinander an, um einen der begehrten Preise zu gewinnen, überwiegend Männer. Ab dem Semifinale waren dann nur noch männliche Kandidaten im Rennen.

53 Kandidaten im Fach Cello – das ist eine Menge, um zu entscheiden, wen ich mir im ersten Durchgang anschauen soll. Ich unterhalte mich mit meiner jungen Kollegin, die Cello spielt, bevor ich im Internet die Namen der Kandidaten eingebe. Einer fällt mir sofort auf. Der 19-Jährige Joel Blido nimmt mich per Video in sein Studentenapartment in Weimar mit. Künstler und soziale Medien, das könnte ein Thema sein, denke ich mir. Dann geht es auch schon los mit dem ARD-Musikwettbewerb im Fach Cello.

Bach ohne Akustik-Check

Keiner der Kandidaten kann die Akustik des Studio 1 vor seinem ersten Auftritt testen. Aus organisatorischen Gründen ist das nicht möglich. Das gefällt vielen nicht, vor allem, wenn man Solomusik von Bach zu präsentieren hat. Zu den elf Kandidaten, die ich mir anhöre, zählt neben Blido, Selina Sayaka. Ich bin begeistert von dem risikofreudigen Spiel der Schweizerin, die die Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker besucht. Am 13. September, dem Tag des Finales, ist ihr Geburtstag. Das wäre natürlich ein schönes Geschenk, da noch dabei zu sein, denke ich mir, aber es kommt anders. Schon nach der zweiten Runde ist der Wettbewerb für Selina vorbei. Auch für alle anderen Cellistinnen des Wettbewerbs.

Semifinale ohne Quotenfrau

30 Minuten nach der Jury-Entscheidung zum Semifinale melden sich Stimmen wie "No woman, that's a bit strange". Das trifft in Zeiten der #MeToo-Debatte, obwohl es damit nichts zu tun hat, sofort auf große Resonanz. Ich frage bei Maria Kliegel nach. Sie ist eine der Jurorinnen. Ja, sagt sie mir, alle drei Cellistinnen und dreizehn Cellisten der zweiten Runde hätten ein großartiges Niveau. Wenn die Juroren aber mit Zahlen voten und dann ein Ergebnis herauskommt, bei dem unter den ersten sechs keine Frau in der Rangfolge steht, dann sollte man sich mit diesem Ergebnis anfreunden. Klar, denke ich mir, welche Cellistin wollte schon als Quotenfrau im Semifinale mitspielen, abgesehen davon, dass Frauenquote und Musikwettbewerb nicht zusammen passen würden. Und die sechs jungen Männer, die jetzt im Semifinale stehen, haben es meiner Meinung nach zu recht erreicht.

Gefragt: Klares Profil statt Posting-Flut

Ein Tag Pause, Zeit sich darüber Gedanken zu machen, wie das heute ist, ein großes musikalisches Talent zu haben und damit erfolgreich zu sein. Im Netz präsent zu sein, scheint abgesehen vom instrumentalen Können unabdingbar. Alle machen es, aber das hat auch seinen Hacken, sagt mir Pieter Wispelwey, einer der Juroren. Denn, wenn alle auf Facebook, Instagram oder Youtube mit Likes und anderen Lobeshymnen sprudeln, wo sei dann der Unterschied? Man bräuchte heute ein gutes Profil, eine kluge Webseite, Verlinkungen zu namhaften Agenturen. Nur das helfe weiter.

Sind gute Kammermusiker auch gute Solisten?

Eindrücke vom Finale im Fach Violoncello beim ARD-Musikwettbewerb 2019 | Bildquelle: Daniel Delang Haruma Sato, 1. Preisträger | Bildquelle: Daniel Delang Im Semifinale, für das ich mit dem Dresdner Friedrich Thiele und dem Franzosen Jerome Garbarg zwei Favoriten ausgemacht habe, erlebe ich eine große Überraschung. Die beiden Asiaten, der Chinese Sihao He und der Japaner Haruma Sato, die ich als spontane und bewegliche Kammermusiker in der vorhergehenden Runde erlebt habe, sind auch als Solisten mit Orchester starke Persönlichkeiten. Sie kommen weiter, ebenso wie einer der Favoriten, aber einer scheitert auch. Und auch ich komme als BR-KLASSIK-Reporter beim Semifinale im Prinzregententheater ins Straucheln. Eine kurze Unaufmerksamkeit auf einer Treppenstufe wird mir zum Verhängnis. Ich muss meine Arbeit beenden, gebe sie an meine junge Kollegin Sina Kleinedler weiter, die das Finale besucht. 

Fliegender Wechsel

Ich hatte mir gerade meine Karte für das eigentlich schon ausverkaufte Cellofinale im Wettbewerbsbüro abgeholt, als mich die Hiobsbotschaft über Ulrichs Treppenfall erreicht. Zum Glück standen wir schon den ganzen Wettbewerb lang in Kontakt. Als Geiger und Cellistin hatten wir so manches spannende Gespräch. Direkt am nächsten Tag treffe ich also die drei Finalisten zum Interview und muss feststellen, dass ich nicht nur extrem versierte Musiker, sondern auch sehr sympathische Menschen vor mir habe.

Publikums-Liebling und vergessener Kaffee

Am Finalabend im Herkulessaal fiebere ich für jeden einzelnen mit. In den Pausen stellt sich schnell heraus, dass das Publikum bereits einem Kandidaten verfallen ist: Friedrich Thiele. Dessen erste Runde habe ich leider nicht im Saal, dafür zufällig beim Kaffee holen im Foyer-Livestream gehört - und über seinen Bach so sehr bewundernd gestaunt, dass ich den Kaffee letztendlich vergaß.

Harmonisches Finale

Eindrücke vom Finale im Fach Violoncello beim ARD-Musikwettbewerb 2019 | Bildquelle: Daniel Delang Bildquelle: Daniel Delang Die Jury entscheidet sich jedoch für Haruma Sato, der die Möglichkeit des großen Orchesters an seiner Seite mutig ausnutzt, um dem Publikum das selten gespielte zweite Cellokonzert von Schostakowitsch zu präsentieren. Das gelingt ihm so überzeugend und mitreißend, dass er mit einem ersten Preis belohnt wird. Der Publikumspreis geht, wie zu erwarten, an Friedrich Thiele. Sihao He bekommt den dritten Preis zugesprochen. Stolz sein können alle drei. Nach der Verkündung beglückwünschen sie sich gegenseitig kumpelhaft. Lynn Harrell freut sich über die "spektakulärste Jury" in der er jemals sitzen durfte. Alle strahlen. Es ist vielleicht das harmonischste Finale des Wettbewerbs.

Sendung: "Allegro" am 16. September 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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