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Literaturnobelpreis 2016 für Bob Dylan Poet mit Gitarre

Er schreibt seit über fünf Jahrzehnten Lieder, die weltweit berühmt sind und singt sie mit unverwechselbarer Stimme, die viele für eine Unstimme halten. Hunderte von Songs zählt seine Produktion, vielfach nachgesungen von Weltstars wie Harry Belafonte, Bruce Springsteen und den Byrds. Auch er selbst erhebt immer noch seine knarzende, raue, raunende Stimme, zuletzt um Lieder aus dem Repertoire eines anderen US-amerikanischen Superstars zu singen, nämlich Frank Sinatra. Robert Allen Zimmerman heißt der Künstler, um den es geht – besser bekannt unter dem Namen Bob Dylan.

US Singer-Songwriter Bob Dylan | Bildquelle: dpa-Bildfunk/EPA/Niels

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Würdiger Nobelpreis-Kandidat

"Blowin‘ In The Wind", "Mr. Tambourine Man”, "It Ain’t Me, Babe", "Forever Young”, "I Shall Be Released": So heißen einige seiner berühmten Meisterstücke.  Sätze aus Liedern wie diesen wurden zu geflügelten Worten: "The Answer My Friend Is Blowin‘ In The Wind", "Something Is Happening Here, But You Don’t Know What It Is, Do You, Mr. Jones", "When You Got Nothing, You Got Nothing To Lose”. Schon in den Sechzigerjahren haben seine Lieder Volksliedstatus erlangt - und zwar international: In deutschen Schulzimmern und Jugend-Zeltlagern wurden sie genauso gesungen wie auf Folk-Festivals in den USA. Und die oft episch ausufernden Texte Dylans sind in die hohe Literatur eingegangen, nachgedruckt in vielen Anthologien und in wissenschaftlichen Arbeiten auf Hunderten von Seiten analysiert. Seit Jahren hoffte die weltweite Dylan-Gemeinde, dass ihr Idol endlich den Literatur-Nobelpreis erhält - als, wie viele finden, längst fällige Auszeichnung für einen weltweit populären und dabei ungemein vielschichtigen Poeten.

"Fallen Angels" - Song-Klassiker neu beleuchtet

Bob Dylan | Bildquelle: dpa/Vi Khoa/Ho Bildquelle: dpa/Vi Khoa/Ho Erst vor Kurzem ließ Bob Dylan Neues von sich hören. Oder: fast Neues, denn die Aufnahmen sind ein Nachschlag zu der 2015 veröffentlichten CD "Shadows In The Night". "Fallen Angels" heißt diese bisher jüngste Studio-CD Dylans - mit Interpretationen von amerikanischen Song-Klassikern, die einst auch Frank Sinatra im Repertoire hatte, die aber bei diesem eher zu den Raritäten zählten und die Dylan nun sozusagen wie ein musikalischer Schatzsucher gehoben hat. Songs wie "Come Rain Or Come Shine" und "That Old Black Magic" von Musical-Komponist Harold Arlen, "It Had To Be You" von Isham Jones und "Skylark" von Hoagy Carmichael sind darunter. Die "Berliner Zeitung" lobte das Album dafür, dass Dylan in diesen Aufnahmen "Schicht um Schicht die Geschmäcker der Vergangenheit beiseite" räume, und stellte fest: "Diese der Minne gewidmete Platte des großen Schwarzsehers ist definitiv eine Herzensangelegenheit". Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung mäkelte: "Dylan, der große Musiker, berühmte Dichter und Zeuge eines amerikanischen Jahrhunderts, sitzt (…) zum wiederholten Mal hoch auf dem Golden Oldie und erklärt des Kaisers olle Klamotten (lies: Kamellen) zur Frühjahrskollektion seiner traditionsreichen Maßschneiderei. Widerstand ist herzlos." Und die "Süddeutsche Zeitung" wiederum befand: "Bob Dylan triumphiert mit fremden Songs" und präzisierte: "Dylan zelebriert, manchmal charmant an den fordernden Tonhöhen scheiternd, Klassiker wie 'Polka Dots & Moonbeams' als fragile Kabinettstückchen."

Dylan, der Nicht-Fassbare

Bob Dylan: der große Polarisierer. Dieser Liedermacher, Sänger, Gitarrist, Mundharmonika- und Keyboard-Spieler, der in den frühen Sechziger Jahren im New Yorker Stadtteil Greenwich Village als Protestsänger der Folk-Bewegung erste Erfolge feierte und sich wenige Jahre später unter Buhrufen der Folkgemeinde zum Rock-Poeten wandelte, tut seitdem stets alles, um festgefügte Erwartungen gerade nicht zu erfüllen - ein Monument der Wandelbarkeit. Er ist ein Nicht-Fassbarer. Und genau daran scheint er eine diebische Freude zu haben. "Alias” hieß denn auch die Filmfigur, die Bob Dylan in einem sehr berühmten Western spielte: in dem Film "Pat Garrett jagt Billy the Kid" von Sam Peckinpah aus dem Jahr 1973. "Alias", lateinisch für "sonst", ein Wort, das auch häufig für "Pseudonym" oder auch für "andere Identität" steht, passt besonders gut zu Dylan: All sein Wirken ist das Wirken eines jedes Mal Anderen. Die ständige Erneuerung ließ ihn immer interessant bleiben. Hinzu kommt aber auch ein hervorstechendes Talent, packende Melodien zu erfinden. Und diese Melodien singt er in jeder Tournee stets ein bisschen anders als zuvor. Songs wie "Blowin‘ In The Wind" oder "Mr. Tambourine Man" haben etliche Metamorphosen erfahren - manchmal so starke, dass sie die Fans vor allem über den Text identifizieren konnten und ansonsten darüber rätselten, ob der Song denn eigentlich derjenige sei, den sie seit so langer Zeit kennen.

Kein Plagiat, sondern Methode

Kennen oder Nicht-Kennen: Das ist hier die Frage. Dylans sogenanntes "Spätwerk", also seine Songs und Alben von 2001 aufwärts, haben besonders viel Anlass zum Grübeln gegeben. Denn Dylanologen stellten fest, dass in Liedern dieser späten Phase immer wieder geliehene Sätze auftauchen. Etwa in dem Song "Floater" von 2001 singt Dylan "I’m not as cool or forgiving as I might have sounded" - ein Satz aus dem Buch "Confessions of a Yazuka” des japanischen Autors Jun’ichi Saga. In dem soeben erschienenen, hervorragenden Dylan-Buch "Die Stimmen aus der Unterwelt" setzt sich der Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Heinrich Detering, ausführlich mit solchen Anleihen auseinander. Nicht als "Plagiat", sondern als literarische Methode, ein neues Beziehungsgeflecht aus überlieferten Versatzstücken zu knüpfen, erläutert Detering die jüngere Songschreiber-Kunst Dylans.

Ovid hat den Blues

Bob Dylan | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa "Love And Theft" hieß das Album, mit dem diese neue Dylan-Phase anbrach. Liebe und Diebstahl also. Den Titel ließ Dylan auf dem CD-Cover in Anführungszeichen drucken - was nicht nötig ist und deshalb ein spannender Anhaltspunkt. Es war der diskrete Hinweis: Hier könnte so Manches in Anführungszeichen stehen. Detering schreibt über Dylans Poetik: "Sie bringt Homer ins Gespräch mit den Beatles, lässt Petrarca im Duett mit Sinatra singen und inszeniert Shakespeare-Tragödien zu Country-Klängen. Bei Dylan hat Ovid den Blues. Und der Blues hallt durch die Gewölbe der Antike, vernehmbar bis in die Gegenwart." Detering kommt am Ende seines Buchs zu dem Ergebnis: "Im ganz ernsthaft und ganz spielerisch entfalteten Netz der gestohlenen Bezüge vergegenwärtigen Dylans Songs ein Geschehen, das sich ereignet auf der Bühne der Welt, im Spiel der Schatten und im Chor der Stimmen aus der Unterwelt. Und sie tun es, mit jedem neuen Diebstahl, aus Liebe."

Berühmter werden als Elvis

Bob Dylan, Spross einer Familie aus deutsch-jüdisch-ukrainischen Immigranten, wuchs mit Musik von Sängern wie Hank Williams, Chuck Berry und Buddy Holly auf. Er war fasziniert von Elvis Presley, und eines seiner ersten Ziele war, berühmter zu werden als Elvis. Mit 18 kam er mit der Musik der Folk-Ikonen Pete Seeger und Woody Guthrie in Berührung. Besonders Woody Guthrie, der Autor von Folk-Klassikern wie "This Land Is Your Land", beschäftigte ihn. Dylan besuchte in den Sechziger Jahren den schwerkranken Guthrie im Krankenhaus, wo er ihm einige von dessen Song-Klassikern zur Gitarre vorsang. Von Woody Guthrie stammt eine für Dylan bis heute wichtige Inspiration: die Kunst, eigene Songs immer wieder neu zu phrasieren, um sie aus dem Augenblick heraus sozusagen neu zu erfinden.

Von Kurt Weill bis Arthur Rimbaud

No Direction Home - Bob Dylan: Bob Dylan in der Bringing it all back home - Session in der das Album entstand (März 1965). | Bildquelle: WDR Bildquelle: WDR Die Inspirationsquellen Bob Dylans sind vielfältig. Sein Künstlername "Dylan" verweist auf einen Dichter, den der junge Robert Allen Zimmerman sehr verehrte: den walisischen Schriftsteller Dylan Thomas. In seiner Autobiographie "Chronicles, Volume One" schildert Bob Dylan selbst andere Einflüsse. Die "Seeräuber-Jenny" von Bertolt Brecht und Kurt Weill ist darunter; ohne dieses Lied hätte er Songs wie "It's Alright Ma" oder "A Hard Rain’s A Gonna Fall" nie geschrieben. Und wenn er nicht den Blues-Sänger Robert Johnson gehört hätte, dann gäbe es wohl Hunderte von Zeilen, die er nicht verfasst hätte, weil er sich nicht frei oder reif genug gefühlt hätte dafür. Er schildert, wie er Robert Johnson einst erlebte: "Er spielt mit riesigen, spinnenartigen Händen, und wie von einem Zauber bewegt, gleiten sie über die Saiten seiner Gitarre. Er hat einen Halter mit einer Mundharmonika um seinen Nacken. (…) Er sieht fast kindlich aus, engelsgleich, völlig unschuldig."

Zur gleichen Zeit war er der Lyrik des französischen Symbolisten Arthur Rimbaud begegnet. Da stieß er auf einen von dessen berühmten Sätzen: "Je est un autre", ich ist ein anderer. "Das gab richtig Sinn. Ich wünschte, jemand hätte das mir gegenüber früher erwähnt. Das ging gut zusammen mit Johnsons dunkler Nacht der Seele und Woodys hochgetunten Gewerkschafts-Versammlungspredigten und dem 'Seeräuber-Jenny'-Gerüst. Alles war im Übergang, und ich stand an der Pforte. Bald würde ich eintreten, schwer beladen, vor Leben strotzend und voll auf Touren. Allerdings noch nicht sofort."

Stets auf der Suche

Aber eben bald. Er kam auf Touren, und er hat kaum jemals das Tempo rausgenommen. Kaum einer in der Welt der populären Musik kommt um ihn herum: um diesen merkwürdigen Amerikaner, der Ohrwürmer schrieb und Songs von epischem Format verfasste, die Tausende Menschen auf der Welt auswendig kennen und bei Konzerten im Geiste mitsummen. Dylan schöpft aus Country und Blues, Gospel und Soul, er kann kraftvoll rocken und mächtig sülzen. Sein typischer Klang ist der Klang von einem, der in immer neue Rollen schlüpft, weil er auch selbst stets Neues entdecken will.  Immer derselbe und nie der gleiche: ein schöpferisches Wunder. Einzigartige Stimme, Texte, die Weltliteratur wurden - und eine Endloskette unverwechselbarer Melodien. Man sollte ihren Autor nicht zu sehr feiern - damit er nicht etwa vor dem Hundersten auf die Idee kommt aufzuhören, der Dylan Bob, Sänger, Texter und unfassbares Dauer-Faszinosum.

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