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Kritik - "Carmen“ auf Gut Immling Bizets Oper als Gameshow

Georges Bizets Klassiker ganz ohne Zigeunerflair und Flamenco - stattdessen agieren Angestellte, Sekretärinnen und Putzfrauen. Regisseur Stefan Tilch hat "Carmen" für die Opernfestspiele auf Gut Immling neu in Szene gesetzt.

"Carmen" bei den Opernfestspielen auf Gut Immling | Bildquelle: © Festspiele Immling / Nicole Richter

Bildquelle: © Festspiele Immling / Nicole Richter

"Carmen" auf Gut Immling

Bizets Oper als Unterhaltungsshow

Ein feuriges Rot ist die dominierende Farbe der diesjährigen Carmen-Inszenierung auf Gut Immling. In dieser Farbe leuchten die Stellwände, die die Bühne des Festspielhauses nach hinten begrenzen. Links und rechts der Spielfläche erheben sich Podeste, auf denen schwarze Stühle stehen. Zur Ouvertüre teilen sich die Rückwände und machen Platz für den Auftritt der Darsteller. In Immling bevölkern keine Soldaten, Zigarettenarbeiterinnen oder Zigeunerinnen die Bühne. Hier sind es Angestellte, Sekretärinnen und Putzfrauen. Stefan Tilch und sein Regieteam verlagern die Oper in das Spanien von heute. Schauplatz der Handlung ist ein seelenloses Unternehmen, vielleicht eine Produktionsfirma, in dem es allein um Erfolg durch Produktplatzierung geht. "The big fight" - so heißt die Show, die hier gewinnbringend vermarktet werden soll.

José mit Laptop und Smartphone

Kann das funktionieren? Don José ist ein braver Angestellter, der nur auf Laptop und Smartphone fixiert ist und zunächst die aufreizende Kollegin Carmen kaum beachtet. Im zweiten Akt wird klar, was die extremen Anforderungen der modernen Arbeitswelt aus den Menschen macht. Einige Arbeiter werden zu sogenannten Workaholics, andere greifen zu Drogen, um der tristen Welt zu entfliehen und Dancaïro und Remendado bauen sich im Untergrund ihr eigenes Schmugglernetzwerk auf. Für Don José wird nicht zum Zapfenstreich geblasen - sein Smartphone klingelt und ruft ihn zum Dienstbeginn, den er nicht rechtzeitig antreten kann. Und Escamillo ist der gefeierte Star der Show "The big fight".

Es ist nicht der aktuelle Bezug der Inszenierung, der nicht aufgeht, sondern der fehlende Kontrast zwischen den beiden Welten Carmens und Don Josés. Die Handlung dümpelt mit tristen Kostümen vor sich hin, dabei hätten die unangepassten Angestellten der Firma: Carmen, Frasquita, Mercédés, Dancaïro und Remendado durchaus mehr Feuer vertragen - sowohl in der Personenführung als auch in der Erscheinung. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich auf Gut Immling für die originale Version der Carmen mit französischen Dialogen entschieden hat. Leider entstand immer wieder der Eindruck, dass mit dem Text nicht sauber gearbeitet wurde und die Sänger nicht transportieren konnten, was sie ausdrücken wollten.

Temperamentvolles Orchester

Der fehlende Schwung im Darstellerischen wurde aber durch die musikalische Interpretation der Münchner Symphoniker unter Cornelia von Kerssenbrock wieder wett gemacht. Temperamentvoll feuerte das Orchester die Sänger und den Chor an, wobei es immer sehr ausgewogen spielte und die Protagonisten nie überdeckte. Von den Sängern überzeugte vor allem Deniz Yetim als Micaëla. Mit ihrem dunkel timbrierten Sopran gelang ihr eine anrührende Interpretation der Arie "Je dis, que rien ne m’épouvante", die vom Publikum mit frenetischem Applaus belohnt wurde. Ihr großes Stimmvolumen schaffte es mühelos auch die letzten Reihen zu erreichen. Dagegen war es für die Carmen Darstellerin Iryna Zhythynska schwer, einen dunkleren Kontrast zu bilden. Ihr solider Mezzosopran zeigte etwas weniger Volumen und wirkte insgesamt kehliger. Gerade bei einer Carmen hätte man sich mehr Wärme und erotische Ausstrahlung in der Stimmfärbung gewünscht.

Der Rumänische Tenor Alin Stoica hatte in den ersten beiden Akten stark mit seiner Nervosität zu kämpfen. Die Blumenarie im zweiten Akt gestaltete er wunderschön , mit fließendem Legato und strahlendem Timbre. Leider verrutschte ihm hier der Spitzenton, ein b, das er auch nicht mehr retten konnte. Darstellerisch blieb sein Don José sehr blass und zuweilen etwas tollpatschig. Stärkere Bühnenpräsenz zeigte Vadim Kravets als Escamillo und konnte sein spanisches Feuer rollengerecht verbreiten. Allerdings hatte er Schwierigkeiten, sich stimmlich in seinem Torrero Lied über dem Chor zu behaupten. Erstaunlich war, dass ein ausgewiesener Bass in den tieferen Lagen des Escamillo äußerst matt und schwach blieb. Insgesamt hat das Publikum die Inszenierung mit freundlichem Applaus bedacht. Wirkliche Begeisterungsrufe kamen aber nur bei der Sopranistin Deniz Yetim auf.

Termine

Weitere Vorstellungen von Georges Bizets "Carmen" bei dem Opernfestspielen auf Gut Immling gibt es am 26. Juni, am 1., 10., 15. und 22. Juli sowie am 5. August 2016.

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