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Christian Thielemann zu den Bayreuther Festspielen 2019 "Wir machen die Super-Werkstatt Lohengrin!"

Auf dem Programm der Bayreuther Festspiele 2019 steht unter anderem ein neuer "Tannhäuser" mit Valery Gergiev und die Wiederaufnahme des "Lohengrin", die mit einem Novum aufwartet: Lohengrin und Elsa sind doppelt besetzt. Christian Thielemann, der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, sieht das als positiven Wettbewerb, wie er im BR-KLASSIK-Interview schwärmt. Außerdem bestätigt er: In Bayreuth ist wirklich alles anders!

Der lachende Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Interview in voller Länger zum Anhören

BR-KLASSIK: Letztes Jahr ging der "Lohengrin" in die Neuproduktion. Musikalisch herrschte absolute Begeisterung – bezüglich der SängerInnen und auch dessen, was Sie aus dem Orchestergraben heraus gezaubert haben. Neue Musiker kommen jedes Jahr dazu, auch neue Sänger. Letztes Jahr gab es großes Trara um Piotr Beczala, der für Roberto Alagna eingesprungen ist und dann wunderbar gesungen hat. Jetzt singt er wieder, aber nicht alle Vorstellungen. Klaus Florian Vogt, der hier in Bayreuth eigentlich die Institution Lohengrin ist, teilt sich die Auftritte mit ihm. Was ist das für eine eigenartige Konstellation?

Christian Thielemann: Das ist nicht eigenartig, das lag nur an den Daten. Es war so, dass Piotr Beczala schon andere Verpflichtungen hatte und es gibt – leider – Häuser, die sehr, sehr früh planen. Ich bin auch immer dafür, dass man vertragstreu ist. Letztes Jahr mussten wir ihn aus manchen Sachen herausboxen. Das macht man aber nicht. Ich finde das nicht richtig und will das auch bei mir nicht: dass ein anderer Intendant den Intendanten anruft und sagt: Können Sie ihn nicht 'rauslassen? Das ist also eine reine Terminfrage.

Zwei "Lohengrin"-Paare

BR-KLASSIK: Aber das Publikum bekommt jetzt zwei Lohengrins! Und die beiden sind ja doch sehr unterschiedliche Typen.

Christian Thielemann: Na klar, ist doch toll! Wir machen sogar eine extra Probe für Anna Netrebko und Piotr. Wir machen also nach einer "Lohengrin"-Probe noch eine weitere Probe. Ich glaube, dann haben wir wirklich genug "Lohengrin" gemacht dieses Jahr (lacht). Wir haben also einmal dieses Paar und einmal jenes – mal schauen, wie das wird!

Der einzige Star, den es hier in Bayreuth gibt, ist seit 1883 tot.
Christian Thielemann

Extrem arbeitswillig und kollegial angenehm

BR-KLASSIK: Absolut. Es hat etwas Reizvolles. Nichtsdestoweniger würde ich gern nochmal auf die Damen zu sprechen kommen, die die Partie der Elsa singen. Eine davon hätte ja ursprünglich Krassimira Stoyanova sein sollen, die erkrankt ist. Für sie haben Sie Camilla Nylund gefunden. Aber es war ja im letzten Jahr schon klar, dass Anna Netrebko nicht für alle Vorstellungen kommt. Das ist doch eigentlich diametral gegen die "Werkstatt-Wagner"-Idee: "Wir sind hier alle zum Pilgern und begeben uns in Klausur ...".

Anna Netrebko und Piotr Beczala in Wagners "Lohengrin" an der Semperoper Dresden, 2016 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Anna Netrebko und Piotr Beczala in Wagners "Lohengrin" an der Semperoper Dresden, 2016 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Christian Thielemann: Nein, das müssen Sie gar nicht so sehen. Da ist nichts weiter dahinter. Es ist einfach so, dass ich persönlich sehr gerne mit Anna Netrebko arbeite – das war in Dresden so fantastisch. Und dann hat sie gesagt: "Ich kann!" Und ich sagte: "Wie machen wir das hier, los, bringt sie her – irgendwie!" Und das macht man dann halt. Sie haben Recht, es ist schon ungewöhnlich. Aber schauen Sie: Wir arbeiten ja dann in dieser Probe in aller Ruhe die Partie der Elsa einmal durch. Und die Anna ist eine Frau, die ich Dresden seinerzeit wirklich sehr bewundert habe. Wenn es noch Probenbedarf gab, kam sie selbsttätig, um das zwischen den "Lohengrin"-Aufführungen mit den Repetitoren nachzuarbeiten. Sie ist eine extrem arbeitswillige und kollegial angenehme Frau. Sie wissen ja, alle die professionell sind, lassen sich auch etwas sagen und tauschen sich aus. Und Sie wissen auch, der einzige Star, den es hier in Bayreuth gibt, ist seit 1883 tot. Der Richard ist derjenige, dessentwegen wir hierherkommen. Und ich glaube, das weiß auch Frau Netrebko (lacht).

Positiver Wettbewerb

BR-KLASSIK: Zweifelsohne, und ihre Professionalität ist unbestritten. Trotzdem nochmal die Frage. Sie sagen, wir haben ein blondes und ein dunkles Paar. Das ist musikalisch absolut reizvoll, aber wenige im Publikum werden die Chance haben, beide Paare zu erleben – es sei denn, sie gehen in mehrere Vorstellungen. Besteht nicht trotzdem die Gefahr, dass man zwei Sängerinnen oder Sänger gegeneinander ausspielt?

Christian Thielemann: Nein, die können sie gar nicht gegeneinander ausspielen. Klaus Florian Vogt und Piotr Beczala haben derart unterschiedliche Stimmen, dass das gar nicht möglich ist. Wenn ich Tenor wäre, würde mir das Spaß machen. Ich würde mir sagen: Da strengt sich jetzt aber jeder richtig an. Das ist bei den Damen genauso: Camilla Nylund, die gerade so eine grandiose Kaiserin ["Frau ohne Schatten"] in Wien gesungen hat, ist natürlich ein total anderer Typ. Und das finde ich sogar toll. Das ist eine Art von positivem Wettbewerb. Und mir macht es deshalb schon Spaß, weil auch die Tempi unterschiedlich sein werden. Wenn Sie wollen: Werkstatt total. Ich glaube, das ist sogar mehr Werkstatt denn je! Ich würde das mal so sehen: Wir machen die "Super-Werkstatt Lohengrin" dieses Jahr (lacht).

In Bayreuth ist alles anders!

BR-KLASSIK: Dann schauen wir mal auf die diesjährige Neuproduktion, den "Tannhäuser", an dem Sie nicht beteiligt sind. Aber Sie sind der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele. Valery Gergiev gibt sein Debüt, und wir alle wissen, wie kompliziert die Bayreuther akustischen Verhältnisse sind und wieviel man hier wissen muss. Es war durchaus in den Jahren davor so, dass Sie gesagt haben: Ich stehe auch beratend zur Seite, wenn jemand hier diese Verhältnisse kennenlernen und sich besser zurechtfinden möchte. Wieviel haben Sie beide miteinander schon geredet?

Dirigent Valery Gergiev | Bildquelle: © picture alliance / Fred Toulet/Leemage Valery Gergiev | Bildquelle: © picture alliance / Fred Toulet/Leemage Christian Thielemann: Gestern Abend eine ganze Stunde. Er hat die Assistenten, die ich auch habe. Das Tagesgeschäft machen ja die Assistenten und nicht ich. Ich werde mich nur dann äußern, wenn ich gefragt werde. Gestern Abend habe ich mit ihm lange darüber geredet, wie ich Wolfgang Wagner hier kennengelernt habe. Ich habe ihm von den "Meistersinger"-Proben erzählt, als ich hier im Jahr 2000 angefangen habe. Da ging das Telefon mit dem Lichtsignal an, ich nahm es beim Dirigieren ab und der Assistent Christoph Meyer sagte mir: "Herr Wagner sagt, es ist zu langsam." Also habe ich das Tempo angezogen. Nächster Anruf: "Herr Wagner sagt, es ist zu laut." Dann habe ich abgebrochen und zum Orchester gesagt: "Meine Damen und Herren, Herr Wagner sagt, es ist zu laut, also spielen wir leiser." Ich habe es nicht begriffen, dass er sich einmischt. Man hätte auch sagen können, was fällt dem eigentlich ein. Schauen Sie, ich hatte doch keine Ahnung. Ich kam hierher und habe sofort eigentlich instinktiv erfasst: Hier ist alles anders. Und das lernt der Kollege Gergiev nun auch bei den Proben. Wir haben uns sehr nett unterhalten und waren uns vor allen Dingen einig, dass das eine Frage von Zeit ist, und die muss man auch jedem geben. Er schien ganz begeistert, aber auch überrascht, und hat gesagt: "Mein Gott, auf der ganzen Welt dirigiert man das doch so, nur in Bayreuth ist alles anders". Da sagte ich zu ihm: "Valery, so ist es: Auf der Welt ist es SO, und in Bayreuth ist leider ALLES anders." Es war ein wunderbares nettes Gespräch. Wir haben, glaube ich, ein bisschen zu viel Wein getrunken.

Finden Sie mal einen wirklichen Tannhäuser von dieser Klasse!
Christian Thielemann über Stephen Gould, den diesjährigen Bayreuther Tannhäuser

Zwei Riesenrollen – ein Sänger

BR-KLASSIK: Sie haben selber gesagt, die Titelrolle des "Tannhäuser" gilt als eine der heikelsten Wagner-Tenor-Partien. Stephen Gould singt den Tannhäuser, aber er singt auch noch einige Vorstellungen des "Tristan". Was hat dieser Mensch Schlimmes getan, dass er das tun muss?

Christian Thielemann: Er will es. Er hat mir gestern Abend wieder gesagt, er liebe den Tannhäuser und der liege ihm und er wolle das machen. Und ich sagte: "Das habe ich ja selten von einem Tenor gehört, dass er den Tannhäuser so liebt. Solange das noch der Fall ist, mein Lieber, singst du bitte auch diese Partie." Und wir sind wirklich dankbar, dass Stephen Gould das macht. Finden Sie mal einen wirklichen Tannhäuser von dieser Klasse! Er ist ja im Moment, würde ich sagen, als Tristan und als Tannhäuser konkurrenzlos. Und solange er in dieser super Form ist, bin ich froh über jeden Abend, den er singt!

Disziplin ist gefragt

BR-KLASSIK: Wir steuern auf den 25. Juli zu, den Tag des Festspielbeginns. Christian Thielemann, was wünschen Sie sich dieses Jahr für ihre Produktionen konkret und für die Festspiele insgesamt?

Christian Thielemann: Ich hoffe, dass der "Tannhäuser" ein großer Erfolg wird. Die Besetzung ist famos. Die Regie wird ganz ungewöhnlich, aber sehr gut – handwerklich fantastisch gemacht. Aber gucken Sie mal dieses Wetter an: Erst sind es 36 Grad, jetzt sind es 16. Da kann man denen nur sagen: Kinder bleibt gesund, die ersten schniefen schon. Darauf kommt es nachher an: Nerven bewahren. Vor allen Dingen ist Bayreuth immer ein Ort, an dem man unglaublich diszipliniert leben muss. In meinem Falle eh, weil ich alle zwei Tage Vorstellung habe. Ich kann erst hinterher in Urlaub fahren, aber dann ist es auch gut (lacht).

Sendung: "Leporello" am 15. Juli 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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