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Daniil Trifonov im Interview Liszts Etüden sind wie Bilder

Die meisten seiner CDs waren Live-Aufnahmen von Konzerten. Für seine aktuelle Neuerscheinung "Transcendental" begab sich der russische Pianist Daniil Trifonov ins Studio - wollte dort aber nicht alleine sein. Außerdem gibt er im Interview mit BR-KLASSIK Einblicke in seine Konzert- und Urlaubsplanung.

Pianist Daniil Trifonov bei Klassik am Odeonsplatz | Bildquelle: © Goran Nitschke

Bildquelle: © Goran Nitschke

BR-KLASSIK: Daniil Trifonov, die Etüden von Frédéric Chopin sind vermutlich die berühmtesten Klavier-Etüden überhaupt. Lassen sich die Liszt-Etüden damit vergleichen? Sind das überhaupt Etüden?

Daniil Trifonov: Die Liszt-Etüden sind meiner Meinung nach genauso bedeutend wie die Chopins. Beide Komponisten hinterließen die größten Meisterwerke dieses Genres im 19. Jahrhundert. Sie haben damit viele nachfolgende Musiker inspiriert, im gleichen Geist zu komponieren. Nehmen Sie zum Beispiel die russischen Komponisten Skrjabin und Rachmaninow. Bei den Chopin-Etüden ist jedes einzelne Stück auf einen spezifischen technischen Aspekt fokussiert, natürlich kombiniert mit dem musikalischen Genius von Chopin. Liszt dagegen geht viel programmatischer vor. Er hat fast jeder einzelnen Etüde einen Titel gegeben, und man findet in jedem Stück auch eine ganz spezifische Atmosphäre oder auch Geschichte. Wir haben es hier mit weit mehr als reinen Übungsstücken zu tun, ähnlich wie beispielsweise bei Rachmaninows "Etudes-tableaux".

Die Dramaturgie der Liszt-Etüden

BR-KLASSIK: Empfinden Sie die Liszt-Etüden als Zyklus oder eher als eine Sammlung von Einzelwerken?

Daniil Trifonov: Ich bin überzeugt davon, dass es sich um einen Zyklus handelt. Die einzelnen Etüden korrespondieren miteinander und sind musikalisch oft miteinander verknüpft. Von der ersten bis zur letzten Etüde gibt es auch eine Art Dramaturgie, bei der es einen regelrechten Kulminationspunkt gibt, nämlich zwischen der achten und neunten Etüde. Danach werden die Stücke plötzlich viel introvertierter. Bis dahin steigert Liszt die Etüden sowohl musikalisch als auch virtuos-technisch immer mehr. Dann kommt so etwas wie ein Siedepunkt, eine Kulmination des Ganzen, und dann geht es auf eine ganze neue Ebene, auf der die verbleibenden Etüden immer introvertierter klingen und einen immer persönlicheren Ausdruck annehmen.

Wir sollten uns vom Titel 'Etüden' nicht täuschen lassen.
Daniil Trifonov

BR-KLASSIK: Liszts Etüden sind unglaublich virtuos und technisch so anspruchsvoll, dass man manchmal den Eindruck hat, der musikalische Gehalt tritt dahinter zurück. Ist das Virtuosität zum Selbstzweck?

Daniil Trifonov: Wir sollten uns vom Titel 'Etüden' nicht täuschen lassen. Obwohl sie so heißen, steckt viel mehr musikalischer Inhalt darin. Denken sie nur an die "Paganini-Etüden" oder an die italienisch bezeichneten Etüden, die sich sehr mit der Tradition des Belcanto auseinander setzen.

BR-KLASSIK: Sie wirken als Mensch eher zurückhaltend. Welche Rolle spielt für Sie das exaltierte, das akrobatische Moment, das sich in dieser Musik findet?

Pianist Daniil Olegowitsch Trifonov | Bildquelle: © Dario Acosta Bildquelle: © Dario Acosta Daniil Trifonov: Als ich begonnen habe, mich mit den Liszt-Etüden auseinanderzusetzen, habe ich mich nicht sehr um den virtuosen Aspekt gekümmert. Mich hat viel mehr interessiert, was für Assoziationen die Musik bei mir persönlich freisetzt. Zum Beispiel die Etüde Nr. 6 mit dem Titel "Vision", das ist eines meiner Lieblingsstücke, einfach aufgrund seiner Harmonien und seiner Textur. Es bezieht sich auf die "Walpurgisnacht", und da kommt mir natürlich gleich ein zweiter Gedanke in den Kopf, nämlich die "Symphonie fantastique" von Berlioz. Der "Marche au supplice", also der Gang zum Richtplatz. Sie sehen, jede dieser Etüden kann ein Bild erzeugen.

Studio - aber mit Live-Atmosphäre

BR-KLASSIK: Ihre neue CD "Transcendental" ist gleichzeitig Ihre zweite Studioproduktion: Wie fühlt sich die Studioatmosphäre im Vergleich zum Livekonzert an?

Daniil Trifonov: Die vorhergehende CD ist komplett im Studio entstanden. Hier dagegen war es ein Mix aus beidem. Die ersten Tage habe ich ganz klassisch allein im Studio aufgenommen. Aber am letzten Tag haben wir ein paar Zuhörer eingeladen. Es waren nicht viele, nur um die hundert Leute. Aber es half, eine Live-Atmosphäre herzustellen. Beides hat Vor-und Nachteile. Wenn man im Studio aufnimmt, dann kann man natürlich mehr wagen und ausprobieren. Bei der Live-Aufführung kommt es eben auf den Moment an. Deshalb war es für mich natürlich sehr interessant, beides zu haben.

BR-KLASSIK: Bis jetzt hört man Sie vor allem mit hochromantischem Repertoire. Wären demnächst auch Mozart, Beethoven oder Bach denkbar oder ist das nicht "Ihr Ding"?

Daniil Trifonov: Ganz im Gegenteil. Ich bewundere und verehre die Klassiker, und ich bin dabei, mein Repertoire nicht nur in Richtung der Klassik, sondern auch in Richtung der Musik des 20. Jahrhunderts zu erweitern. Sie haben Recht, die Aufnahmen bis jetzt galten vor allem der Romantik, aber ich hoffe, dass ich bald auch andere Werke aufnehmen kann.

Für die nächsten Jahre plane ich nicht mehr als 100 Konzerte.
Daniil Trifonov

BR-KLASSIK: Sie haben einen unglaublich straffen Tourplan. Allein zwischen August und Dezember habe ich 47 Konzerte gezählt. Wie halten Sie sich fit und wie schaffen Sie den Ausgleich?

Daniil Trifonov: Ach, ich habe ja immer mal Urlaub - und das können für mich auch schon ein paar Tage sein. Das muss aber auf jeden Fall drin sein. Aber Sie haben natürlich Recht. Das ist eine ziemliche Herausforderung, auch was das Privatleben angeht. Es ist zum Beispiel nicht gerade einfach, eine Fernbeziehung so lange aufrechtzuerhalten. Die Familie und die Eltern sehe ich nur selten. In den letzten fünf Jahren war ich unglaublich viel unterwegs, aber bis jetzt finde ich noch eine gewisse Balance. Für die nächsten Jahre plane ich nicht mehr als 100 Konzerte.

Die Fragen stellte Falk Häfner für BR-KLASSIK.

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