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Der Pianist und Komponist Fazıl Say Politischer Klangkünstler

Seine Kompositionen sind oft politisch, schaffen eine kulturelle Brücke zwischen der Türkei und Europa, zwischen Ost und West. Mit seinem Klavierkonzert "Silk Road" gastiert der Pianist Fazıl Say beim "Festival der Nationen" in Bad Wörishofen.

Fazil Say (3. Februar 2010 in Essen) | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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18. Oktober 2012: Gerichtstermin im Justizpalast Istanbul. Vorwurf: Blasphemie und Beleidigung islamischer Werte. Bei einer Verurteilung drohen 18 Monate Gefängnis. Ein Weltstar vor einem örtlichen Strafgericht: Fazıl Say.

Fazıl Say beim Festival der Nationen

BR-KLASSIK ist am 6. Oktober ab 19.00 Uhr live bei der Abschlussgala des diesjährigen "Festivals der Nationen" in Bad Wörishofen dabei. Starsolist des Abends ist der türkische Komponist und Pianist Fazıl Say: Er spielt sein zweites Klavierkonzert "Silk Road", außerdem den Solopoart in Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 sowie in Gershwins "Rhapsody in Blue". Aleksandar Marković leitet das Münchner Rundfunkorchester. Eröffnet wird der Abend mit dem Geiger Daniel Lozakovich als Solist in Camille Saint-Saëns' "Introduktion und Rondo capriccioso" - ihm wird der "Prix Young Artist of the Year" überreicht.

Ein Held in den sozialen Medien

Sein beliebtestes Video auf Youtube hat 2,8 Millionen Klicks, er hat über eine halbe Million Follower bei Twitter: Für einen Künstler im Bereich der klassischen Musik ist Fazıl Say ein Social-Media-Held. Mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik untermalt er sein Klavierspiel. Manchmal singt er sogar mit. Ihm selbst falle das oft gar nicht auf: "Wir würden uns zu Tode langweilen bei einer von einem Computer gespielten Mozart-Sonate: Erst das eigene Spiel macht mehr daraus – und welche Pantomimen oder Gesichter wir dabei ziehen, merken wir nicht", sagt Say.

Seine Kompositionen sind oft politisch – in seinen Werken Gezi Park I, II und III verarbeitet er beispielsweise die Ereignisse im Istanbuler Gezi Park: der harte Kurs des Premierministers Erdogan gegen die Demonstranten und die Angriffe der Polizei auf unschuldige Menschen. "Millionen von Menschen versammeln sich in Istanbuls Taksim-Platz, in Besiktas und in den Kadikoy-Distrikten, in Ankara, Izmir und Adana, und beginnen mit wochenlangen Protesten gegen die Regierung, die die Welt aufhorchen lassen", schreibt Fazıl Say im Vorwort zur Partitur von Gezi Park I.

Kulturbotschafter und Brückenbauer

Mit drei Jahren fängt Fazıl Say bereits an, Klavier zu spielen. Sein Lehrer gibt ihm die Aufgabe, jeden Tag über Dinge zu improvisieren, die er täglich erlebt. Er selbst sieht dies als die Quelle seines Improvisations- und Kompositionstalents an.

Seine zahlreichen Kompositionen umfassen Stücke für Soloinstrumente, aber auch für großes Orchester oder Kammermusik. Sie schaffen eine kulturelle Brücke zwischen der Türkei und Europa, zwischen Ost und West. 2008 wurde er deswegen von der EU zum Kulturbotschafter ernannt und 2016 bekam er den Beethovenpreis für Menschenrechte verliehen. "Die Kulturen vermischen sich immer mehr, weil auch die Menschen sich immer mehr vermischen. Wir sollten diese Brücken weiter ausbauen und eine größere Aufgeschlossenheit für andere Kulturen entwickeln", sagt Fazıl Say.

Spott über den Islam

Der Muezzin hat das Abendgebet in 22 Sekunden ausgerufen [...] Was hast es du so eilig? Eine Geliebte? Ein Raki auf dem Tisch?" – Als der bekennende Atheist 2012 unter anderem diesen angeblich islamfeindlichen Post auf Twitter schreibt, muss er Konsequenzen ziehen: Er wird angeklagt. Seine Anwältin beruft sich auf Artikel zehn der Europäischen Menschenrechtskonvention und auf die eigentlich im Grundgesetz der Türkei verankerte Meinungs- und Überzeugungsfreiheit. Das Gericht lässt die Klage dennoch zu.

Viereinhalb Jahre Rechtsstreit

Im April 2013 wird Fazıl Say zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im selben Jahr wird das Urteil jedoch wegen eines Formfehlers aufgehoben. Ein kurzes Aufatmen, doch das Verfahren wird neu aufgerollt, die Entscheidung des Gerichts bleibt die gleiche: zehn Monate Haft auf Bewährung. Im Oktober 2015 wird wiederum das zweite Urteil aufgehoben und das Oberste Berufungsgericht verweist das Verfahren an das Gericht der ersten Instanz zurück. Im September 2016 dann das endgültige Urteil: Freispruch für Fazıl Say – die Twitter-Mitteilungen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Wenn man heute auf seinen Instagram-, Twitter- und Facebook-Account klickt, findet man Konzertankündigungen, Probenberichte und Verlinkungen zu vergangenen Auftritten. Von politischen Äußerungen keine Spur mehr: Seit dem Prozess 2013 hält er sich mit kritischen Aussagen in den sozialen Medien zurück. Die politische Haltung in seiner Musik jedoch lässt er sich nicht nehmen.

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