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Franz Welser-Möst zur US-Wahl "Auch unter Musikern gibt es Trump-Wähler"

Trump oder Biden? Die US-Wahl hält derzeit die ganze Welt in Atem. Franz Welser-Möst ist Chefdirigent beim Cleveland Orchestra. Wie erlebt er die Wahl? Hat sie Einfluss auf die Kultur in den USA? Und was bereitet ihm besonders viel Sorgen?

Der Dirigent Franz Welser-Möst | Bildquelle: ©JuliaWesely

Bildquelle: ©JuliaWesely

BR-KLASSIK: Herr Welser-Möst, Sie sind eng mit den USA verbunden. Seit 2002 sind Sie dort Chefdirigent beim Cleveland Orchestra. Haben Sie den Wahlkrimi aus den USA über die Nacht verfolgt?

Franz Welser-Möst: Ja. Meine Frau und ich sind gegen halb elf ins Bett gegangen, konnten aber beide nicht schlafen und sind wieder aufgestanden. Übers Fernsehen und im Internet habe ich CNN und Fox News angeschaut und mitverfolgt. Letztendlich habe ich ungefähr zweieinhalb Stunden geschlafen. Seit fünf Uhr früh bin ich wieder dran – und schaue mir an, wie dieser Krimi ausgeht.

BR-KLASSIK: Und wie geht es Ihnen dabei?

Franz Welser-Möst: Ich bin deprimiert, aus vielen Gründen. Vor allem, weil sich Präsident Trump hingestellt hat und sagte, er wird das Gericht anrufen, damit die Auszählung gestoppt wird. Ob man ihn nun mag oder nicht – Wahlstimmen zu unterdrücken ist ein höchst undemokratischer Akt.

Egal, wie die Wahl ausgeht, das hat sehr wenig Auswirkungen auf den Kulturbetrieb – auf die Kultur als Ganzes schon.
Franz Welser-Möst

BR-KLASSIK: Welche Auswirkungen wird denn das Ergebnis der Wahl auf die Kulturbranche in den USA haben? Gehen wir mal davon aus, dass Biden gewinnt.

Franz Welser-Möst: Das wird sehr wenig Auswirkungen haben. Man muss das amerikanische System verstehen. Das ist eine Non-Profit-Organisation, wie das so heißt. Und da gehört auch die Kulturbranche dazu. Die hängt kaum von der Politik ab, vor allem was die Finanzen anbelangt – anders als in Europa. Beim Cleveland Orchestra beispielsweise beträgt die Unterstützung aus öffentlicher Hand weniger als 0,5 Prozent des Jahresbudgets. Und was aus der öffentlichen Hand finanziert wird, kommt nicht aus Washington. Die amerikanische Demokratie ist anders aufgestellt als die europäische. Der Föderalismus ist in Amerika wesentlich stärker ausgeprägt. Und ganz egal, wie die Wahl ausgeht, das wird sehr wenig Auswirkungen auf den Kulturbetrieb haben. Aber – und das hat man ja in den letzten vier Jahren schon beobachten können – auf die Kultur als Ganzes, auf die Gesellschaft, hat das riesige Auswirkungen.

Trump-Wähler unter Musikern

Der österreichische Dirigent Franz Welser-Möst | Bildquelle: © picture-alliance/dpa Franz Welser-Möst ist seit 2002 Chefdirigent beim Cleveland Orchestra. | Bildquelle: © picture-alliance/dpa BR-KLASSIK: Cleveland liegt in Ohio, und wir wissen jetzt (Mittwoch, 11:00 Uhr), dass Ohio an Donald Trump und die Republikaner gegangen ist. Hat diese Nachricht Sie getroffen? Oder haben Sie damit gerechnet?

Franz Welser-Möst: Nein, ich habe nicht damit gerechnet. Ich war vor zehn Tagen noch drüben und ich habe viele alteingesessene Republikaner getroffen, die ihr ganzes Leben lang republikanisch gewählt haben. Sie alle haben gesagt: Diesmal wählen sie Biden. Ich habe auch in der Nacht verfolgt, wie die ersten Zahlen reinkamen. Erst hat es ja so ausgesehen, als würde Biden gewinnen. Als sich herausstellte, dass dieser Staat wieder an Donald Trump geht, war das für mich schon eine Enttäuschung.

Wir sprechen einfach nicht mehr über Politik.
Franz Welser-Möst

BR-KLASSIK: Hatten Sie auch Kontakt zu den Musikerinnen und Musikern ihres Orchesters? Haben Sie mitgekriegt, wie dort politisch diskutiert wird? Gibt es zwei Lager? Es wird ja immer von dieser Spaltung des Landes gesprochen. Oder sagen Sie, eigentlich kann man alle Kulturschaffenden in das Lager der Demokraten schieben?

Franz Welser-Möst: Nein, das kann man nicht. Auch da gibt es welche, die auf der rechten Seite zuhause sind. Was sich in den letzten vier Jahren allerdings verändert hat: Man spricht nicht mehr darüber. In unserem Orchester gibt es Leute, die Trump 2016 gewählt haben – und jetzt sicherlich auch wieder. Aber auch im Orchester wird nicht mehr über Politik gesprochen. Dabei lebt die Demokratie vom Austausch verschiedene Meinungen. Nur dieser Austausch findet einfach nicht mehr statt. Da sind viele Familien und Freundschaften zu Grunde gegangen. Und auch in der Arbeit, wo früher manchmal über politische Fragen diskutiert wurde, spricht man nicht mehr darüber. Ich finde das gefährlich für eine Demokratie.

Corona-Pandemie und Kulturpolitik in den USA

Wenn die Geigen schweigen: Die Corona-Krise setzt freien Künstler*innen besonders zu | Bildquelle: picture alliance/VisualEyze Viele US-amerikanische Orchester pausieren seit Monaten komplett. | Bildquelle: picture alliance/VisualEyze BR-KLASSIK: Die Corona-Pandemie wurde bei den Wählerumfragen als unterschiedlich wichtig bewertet. Für die meisten Trump-Wähler passt alles so, wie er mit der Pandemie umgegangen ist. Die Biden-Wähler fordern dringend einen Kurswechsel. Wie haben Sie denn den Umgang mit der Pandemie im Hinblick auf die Kultur oder Kulturpolitik erlebt?

Franz Welser-Möst: "Kulturpolitik" ist in Amerika ein anderer Begriff, weil das vom jeweiligen Bundesstaat abhängt. Der Gouverneur von Ohio, wo Cleveland dazugehört, ist Republikaner. Er ist aber sehr ähnlich wie die europäischen Regierungen vorgegangen. Es gab einen ziemlich strengen Lockdown. Diesbezüglich hat er sich ganz bewusst gegen Trump gestellt. Das heißt, es gibt riesige regionale Unterschiede.

Es wird einiges sehr Unerfreuliches auf uns zukommen.
Franz Welser-Möst

BR-KLASSIK: Wenn sich der Gouverneur gegen Trump gestellt hat, wie sieht es denn dann damit aus, die durch Corona Geschädigten finanziell aufzufangen? Stichwort Kurzarbeit ...

Franz Welser-Möst: Das hängt von jeder einzelnen Institutionen ab. Das Cleveland Orchestra war eines der ganz wenigen Institutionen, die aufgemacht haben – allerdings auch nicht fürs Publikum. Wir haben fast nur mit Streamings gearbeitet. Aber wir haben wenigstens ein Lebenszeichen von uns gegeben, anders als viele berühmte Orchester: New York Philharmonic, Chicago, Boston, Los Angelos oder San Francisco. Die haben ja teilweise gesagt: Wir spielen bis nächsten Sommer nicht.

BR-KLASSIK: Machen Sie sich Sorgen um die Orchesterlandschaft, in den USA?

Franz Welser-Möst: Ja, da wird einiges wegfallen. Denn die Probleme, die es vielleicht vorher schon im Ansatz gegeben hat, werden durch die Pandemie noch größer und durch den damit verbundenen Lockdown. Wir werden da im nächsten Jahr noch einiges sehr Unerfreuliches erleben.

Sendung: "Allegro" am 5. November 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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