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Musikerinnen Gleichberechtigung im Orchester?

Mirga Gražinytė-Tyla und Oksana Lyniv - leuchtende Vorbilder auf Machtpositionen in der Musikwelt. Aber wie sieht's 2023 sonst so aus in den Orchestern? Wo sich in Sachen Gleichberechtigung was geändert hat und welche Ungeheuerlichkeiten immer noch nachwirken.

Die litauische Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert erstmals das BR-Symphonieorchester. Auf dem Programm steht neben Beethovens Leonoren-Ouvertüre, Weinbergs hochexpressive Zweite Symphonie und ein Klavierkonzert von Mozart mit dem Pianisten Francesco Piemontesi. | Bildquelle: Ben Ealovega

Bildquelle: Ben Ealovega

"The horn is for boys", das Horn sei ein Instrument für Jungs. Diesen Satz hatte ein Schullehrer zu Musikerin und Klassikinfluencerin Sarah Willis gesagt. Trotzdem lernte die 1968 geborene US-Amerikanerin Horn und schrieb auch ein bisschen Geschichte: 2001 wurde sie die erste Hornistin und Blechbläserin in der Geschichte der Berliner Philharmoniker. Normal ist das aber noch lange nicht: Das Tonhalle-Orchester Zürich, Cleveland Orchestra oder das Shanghai Symphony Orchestra? Haben heute alle noch Blechbläsergruppen ohne eine einzige Frau.

Frauen bei den Wiener Philharmonikern? Bis spät in die 1990er ausgeschlossen

Ausschließlich Männer im Orchester – das war lange die Norm, nämlich bis 1997. Erst dann entbrannte eine kontroverse Diskussion rund um die in dieser Frage sehr konservativen Wiener Philharmoniker. Die Satzung des traditionsreichen Spitzenorchesters schloss damals Frauen aus dessen Reihen gänzlich aus. Am Rande einer USA-Tournee sorgte dies für heftige Demonstrationen. Die Erklärung von Alfred Koll, dem damaligen Sprecher des österreichischen Kulturministeriums, machte es nicht besser: "Wir befürchten Ausfallzeiten durch Schwangerschaft und nicht mehr ausreichende Beherrschung des Instruments nach der Mutterschaftspause." Gut ein Vierteljahrhundert später wirken immerhin 23 Frauen unter 121 Männern mit an der Pflege des Wiener Klangstils. Die erste war eine Harfenistin - nicht ungewöhnlich ...

Die große Ausnahme in der Männer-Tradition: die Harfe

Die französische Harfenistin Lily Laskine mit Maurice Ravel | Bildquelle: Wikipedia/cc Die französische Harfenistin Lily Laskine mit Maurice Ravel 1935. | Bildquelle: Wikipedia/cc Denn eine Ausnahme der männlichen Instrumentalisten-Tradition war schon immer die Harfe. Eine wissenschaftliche Studie des Bremer Sophie-Drinker-Instituts für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung von 2018 dokumentiert dieses globale Phänomen: "Harfenistinnen stürmen die Männer-Bastion Orchester", so die Überschrift eines Kapitels in der Studie. "Dass die erste Frau bei den Wiener Philharmonikern eine Harfenistin war, ist alles andere als Zufall, gilt doch die Harfe bis heute als spezifisch weibliches Instrument", heißt es da. Daher seien Harfenistinnen schon zu Zeiten akzeptiert gewesen, als die Mitwirkung von Spielerinnen anderer Instrumente noch völlig undenkbar war. So wurde schon 1909 Lily Laskine als erste Solo-Harfenistin eines Pariser Orchesters engagiert. Nach wie vor ist der Frauenanteil in den Harfen sehr hoch: 93,7 Prozent in deutschen Berufsorchestern. Im Vergleich dazu wieder die Blechbläser*innen: Bei den Tuben sind etwa gerademal 1,9 Prozent weiblich besetzt.

Es ändert sich etwas in den Orchestern. Wie viel, das kommt auf die Position an

Dennoch hat sich einiges geändert. Eine Analyse des deutschen Musikinformationszentrums (MIZ) von 2020 unter den Mitgliedern der 116 öffentlich finanzierten Berufsorchester in Deutschland ergab: Durchschnittlich sind 39,6 Prozent der Orchestermitglieder in deutschen Berufsorchestern Frauen. Von der paritätischen 50, die sich eigentlich – wenn Stellen aus rein musikalischen Gründen heraus besetzt würden – irgendwann automatisch ergeben sollte, ist das aber immer noch ein Stück entfernt. Und der Blick auf die höheren Dienststellungen von Posten wie Konzertmeister*innen, Stimmführer*innen und Solostellen, zeigt deutlich: Ein gewisser institutioneller Sexismus besteht immer noch: In niedrigeren Dienststellungen wie bei Vorspieler*innen und im Tutti sind Frauen fast gleichauf mit ihren männlichen Kollegen, ihr Anteil liegt hier bei 47,5 Prozent. In den höheren Dienststellungen aller Orchester sind Frauen mit durchschnittlich 28,4 Prozent unterrepräsentiert.

Geschlechterklischees, statistisch belegt

Anna Lelkes, Harfenistin und  erste Frau bei den Wiener Philharmonikern, 1995. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Ulrich_Schnarr Anna Lelkes, die erste Musikerin bei den Wiener Philharmonikern war Harfenistin. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Ulrich_Schnarr Die Analyse des MIZ zeigt auch: Die Geschlechterklischees der Instrumente spiegeln sich in modernen Orchestern immer noch. Die höchsten Frauenanteile gab es bei den Harfen (93,7 %), den Flöten (65,4 %) und in den 2. Violinen (62,6 %), die höchsten Männeranteile bei der Tuba (98,1 %), der Posaune (96,5 %) und in Pauke/Schlagwerk (95,4 %). Ein Grund dafür lautet, dass sich solche Verhältnisse in einer Gesellschaft über Vorbilder von alleine fortsetzen, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird. Da unterscheidet sich die Musikszene nicht von der nach Blau und Rosa getrennten Spielwarenabteilung. Ein Mädchen mit Dirigier-Ambitionen wird als überambitioniert empfunden, ein Junge, der Harfe lernen will, als zu weich.

Dirigentinnen: Eine junge Erfolgsgeschichte?

Doch gerade bei den Dirigentinnen ändert sich etwas. Da ist der vielgelobte Film "Tár" in den Kinos, der ungeschönt von Machtmissbrauch in einer Machtposition erzählt, es aber im Verlauf des Films fast gar nicht als Kuriosum thematisiert, dass die Chefposition der Berliner Philharmoniker hier von einer Frau besetzt ist. Aber auch im echten Musikleben fällt eine Veränderung auf: "Wir haben fast keine Chance mehr, unsere Männer unterzubringen", scherzte gar Sabine Frank von der Agentur Harrison Parrott 2021 im Kursbuch Musik. Seit #metoo hätten die Anfragen an ihre Dirigentinnen deutlich zugenommen haben. Und eine Frau an der Spitze eines Orchesters könnte schon bald besonders begehrt sein: Wenn Orchester mit einer Frau geprobt haben und zufrieden sind, würden die Manager bei Sabine Frank anrufen und fragen, ob die Dirigentin in drei oder fünf Jahren, wenn bei ihnen der Chefposten frei wird, zur Verfügung stünde. Man wird sehen müssen, ob diesen Worten Taten folgen. Ein Zeichen in die richtige Richtung: Unter den Top 100 Dirigent*innen war 2012 nur eine Frau. Im Jahr 2022 waren es schon zwölf. Ebenso bei den Komponist*innen: 2019 war keine einzige Frau unter den Top 20 der meist aufgeführten Werke. Im Jahr 2022 waren neun Frauen unter den Top 20. Dazu gehörten Sofia Gubaidulina, Kaija Saariaho und Olga Neuwirth.

Die noch immer herrschende Ungleichheit wirkt subtil

Die gesellschaftliche Wahrnehmung hat sich aber in jüngster Vergangenheit sicherlich zu Gunsten der Musikerinnen gedreht. Sexistische Kommentare unter Youtube-Videos von Susanna Mälkki oder Alondra della Parra wirken aus der Zeit gefallen, auch weil hier die Resonanz zu einem großen Teil eher positiv ausfällt. Öffentlich wird gegen eine Frau am Pult nur noch in schrägen Ausnahmen lautstark gepöbelt.

Die südchoreanische Dirigentin Holly Hyun Choe. | Bildquelle: Nile Scott Die Dirigentin Holly Hyun Choe. | Bildquelle: Nile Scott Die trotzdem immer noch herrschende Ungleichheit zeigt sich subtiler. Etwa in verschobenen Ansprüchen: So berichtet die koreanische Dirigentin Holly Hyun Choe 2021 in der NZZ: "Du musst mindestens zwei-, dreimal besser sein als ein Mann, um von Musikern respektiert zu werden." Und damit meint sie keineswegs ausschließlich Männer: "Ich habe schon Frauen erlebt, die mit Dirigentinnen große Probleme haben, weil sie mit bestimmten Rollenbildern aufgewachsen sind." Auch in der Sprache spiegelt sich die Ungleichheit immer noch: Wie oft wird in Rezensionen das Äußere einer Sopranistin beschrieben, wie selten die Frisur eines Mannes. Doch solche subtilen Verschiebungen, mehr auf der Gefühlsebene denn als harte Fakten bestimmen das Klima einer Gesellschaft stark. Und Differenzierung wird auf dieser Mikroebene immer schwieriger: Bekommt Katharina Wagner so starken Gegenwind, weil sie Bayreuth ein bisschen anders sehen will als ihre Vorgänger? Oder weil manche, vielleicht ganz unterbewusst, nicht wollen, dass diese Reformen ausgerechnet von einer Frau angestoßen werden?

Hoffnung: Für die junge Generation sind Frauen auf allen Positionen schon viel selbstverständlicher

Doch die Ideen-Geschichte entwickelt sich auch immer zugunsten der Nachkommenden. So erklärt etwa auch die Dirigentin Choe, dass die Entwicklung, zumindest unter jüngeren Kolleg*innen, schon viel selbstverständlicher geworden ist. Und vielleicht beginnt hier auch der Generationenwechsel, den das Publikum klassischer Konzerte und das Musikleben im Allgemeinen braucht. Ein Symphoniekonzert mit einem diversen Programm, selbstverständlich auch von Frauen musiziert, ohne dass es überhaupt auffällt, besucht von Jungen, Alten, Frauen, Männern, schlicht von einem diversen Publikum, das ist doch eine Zukunftsvision, in der sich auch keiner mehr Sorgen um die Zukunft der Klassik machen müsste.

Sendung: "Allegro" am 8. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Freitag, 17.März, 10:07 Uhr

Leonore

Dirigentinnen

@ Trappe: Kann es sein, dass Sie sich schon länger nicht mehr im Konzertsaal oder Opernhaus aufgehalten haben? Grazinyte-Tyla, Lyniv, Mallwitz, um nur einige zu nennen, sind erstklassige Dirigentinnen. Und machen gerade Weltkarriere (leider nicht in München - da hat man es dann doch lieber ganz traditionell).
Einfach mal mit offenen Ohren hingehen …

Montag, 13.März, 18:50 Uhr

Helena S.

Für mich sollte alleine die Qualität eine Rolle spielen. Darum sind die Probespiele hinter einem Paravent. Frauen in ein Orchester (oder auch Führungsposition) zu nehmen, nur weil sie Frau ist, finde ich fatal und wirkt sich auf die Qualität aus.
Zudem: schauen Sie sich die Entwicklung in den letzten 20 - 30 Jahren an - da kann sich Frau nicht beklagen!

Sonntag, 12.März, 08:33 Uhr

Trappe

Nonsens

Was für ein abgedroschenes Nonsens-Thema. Katharina Wagner ist einfach nicht gut, das ist nun einmal der Grund der Kritik. Was für eine absurde Annahme, um das Geschlechterthema zu bemühen.
Die Gesellschaft (die Medien schon lange) scheint sich völlig einseitig gedanklich entwickelt zu haben, es wird in der Musik derjenige genommen, der am technisch Besten/Fehlerfreiesten spielt. Und überzeugende weibliche Dirigenten gibt es bislang heute nicht. Das ist die Realität. Wäre ein weiblicher junger Kleiber dabei, würde die Dame dank Ihrer Dirigierfähigkeiten Weltkarriere machen.
Nette Pseudothemen, der Inhalt steht disproportional zur übergrößen Länge.

Donnerstag, 09.März, 17:16 Uhr

H.W.

Zuwachs von Frauen

Vielleicht muss man noch eins berücksichtigen, und zwar den Zuwachs von Frauen im Orchester. Wenn man mit 25 Jahren eingestellt wird, spielt man mindestens 40 Jahre im Orchester. Dies zeigt, dass es viele Jahre braucht, um tatsächlich auch die Prozentzahlen von Frauen im Orchester auf 50 Prozent zu bringen. Allerdings ist schon bei den momentanen Bewerbern für ein Orchester die Frauenquote weit über 50%! Bevor man hier von einer Unglaublichkeit spricht, sollte man vielleicht den Zuwachs von Frauen im Orchester berechnen. Diese Zahl wäre ziemlich hoch! Und das nicht nur im tutti, sondern auch im Blech und auf führenden Positionen! In ein paar Jahren könnte sich das Bild so wandeln, dass man eine Männerquote einführen müsste!

Donnerstag, 09.März, 12:25 Uhr

Schneider

Abbie Conant

Schon interessant, dass in einem Bericht der Fall Abbie Conant nicht erwähnt wird.
Mehr Skandal geht ja wohl nicht.

Donnerstag, 09.März, 10:42 Uhr

Michael

Anna Lelkes blickt zurück

Falls die Geschichte von Anna Lelkes Sie im Detail interessiert - wir haben sie kürzlich in unserem Podcast "Erinnerungslücken" interviewt.

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