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Saxophonist Heinz Sauer zum 90. Geburtstag Der Unbeugsame mit dem schillernden Ton

Sein Spiel: Weltspitze. Der deutsche Jazz-Saxophonist Heinz Sauer hat einen völlig unverkennbaren, rau-schillernden Ton. Sofort identifizierbar, aber so sperrig, dass sich keine Note von ihm sich zum Klischee eignet. Und so blieb er einer der viel zu wenig Gerühmten der Jazzgeschichte. Am 25. Dezember 2022 wird der große Jazzmusiker Heinz Sauer 90 Jahre alt.

Heinz Sauer | Bildquelle: Anna Meuer

Bildquelle: Anna Meuer

Ein langer, dünner, bescheidener und äußerst freundlicher Mann – und musikalisch: ein Kompromissloser. Sein Saxophonton ist die klanggewordene Unangepasstheit. Wenn der deutsche Jazzmusiker Heinz Sauer in sein Tenorsaxophon bläst, dann knurrt das Instrument, dann röhrt es, dann sperrt es sich schmirgelnd und schräg kreischend gegen musikalische Konventionen. Und manchmal klingt es sogar auf warm strömende Art innig. Aber nie gefällig, süßlich oder einschmeichelnd. Liebevoll ja, und zwar in jeder noch so feinen Nuance. Aber garantiert nie lieblich. Ein Meister der kantigen Hingabe ist dieser aus der hochlebendigen Nachkriegs-Szene in Frankfurt am Main entsprungene Freigeist und Instrumentalist. Ein Musiker mit ganz strengen eigenen Ansprüchen. Und denen ist er inzwischen seit über sechs Jahrzehnten treu – mit ganz eigenen, unverkennbaren Tönen.

Radio-Tipp

Henning Sieverts feiert den großen hessischen Tenorsaxophonisten in der Jazztime am 26. Dezember ab 23.05 Uhr in ganz unterschiedlichen Aufnahmen, u. a. mit Albert Mangelsdorff, Bob Degen, Michael Wollny und dem HR Jazzensemble.

Jazz-Emanzipation statt Mathe und Physik

Posaunist Albert Mangelsdorff mit Altsaxophonist Günter Kronberg und Tenorsaxophonist Heinz Sauer | Bildquelle: Reclam Posaunist Albert Mangelsdorff mit Altsaxophonist Günter Kronberg und Tenorsaxophonist Heinz Sauer | Bildquelle: Reclam Der am 25. Dezember 1932 in der deutschen Stadt Merseburg geborene Musiker gehörte seit den frühen 1960er-Jahren zu den herausragenden Figuren des bundesdeutschen Jazz – und heute noch zählt er zu den prägnantesten Musikern der deutschen Szene. Eigentlich hatte er Physik und Mathematik studiert, in Darmstadt. Jazz hatte ihn in seiner Freizeit fasziniert, und er hatte autodidaktisch das Saxophonspielen begonnen – zunächst Alt- und Baritonsaxophon, dann erst das Tenorsaxophon, das zu seinem typischen Sprachrohr wurde - und auf Amateur-Festivals gespielt.

Dann suchte der Frankfurter Posaunist Albert Mangelsdorff, damals schon eine starke Gestalt der bundesdeutschen Szene, einen Saxophonisten für eine Tour im Auftrag des Goethe-Instituts. Und Heinz Sauer wurde Mitglied in dessen Band, die sich bald zur bedeutendsten in West-Deutschland mauserte: 1963 brachte Mangelsdorff das klingende Manifest der bundesdeutschen Jazz-Emanzipation heraus, die LP "Tension", mit der er postulierte, dass Musiker aus Europa ihren eigenen Ton finden sollten, statt amerikanische Vorbilder zu imitieren. Der Tenorsaxophonist Heinz Sauer war bei dieser Aufnahme mit von der Partie und blieb einer der besonders ausdrucksstarken Solisten in Albert Mangelsdorffs Bands. Herausragende Soli sind von ihm besonders auf dem Mangelsdorff-Album "Never Let It End" von 1970 zu hören – ein atemberaubendes, ausnahmsweise auf dem Altsaxophon, spielte er in dem fesselnden Stück "Certain Beauty".

Eindringliche Töne mit Songs von Björk und Prince

Sauer wurde selbst immer mehr zu einer starken eigenen Stimme des Jazz aus dem westlichen Deutschland. Jahrzehnte lang gehörte Sauer auch mit seinem eigenen Quartett sowie in Trio- und Duo-Formationen – nicht zuletzt mit dem amerikanischen Pianisten Bob Degen – zu den besonders profilstarken Musikern in Europa. Seit 2004 arbeitet er mit dem 46 Jahre jüngeren deutschen Pianisten Michael Wollny im Duo zusammen – und erreichte mit ihm eine neue, jüngere Zuhörerschaft, nicht zuletzt auch mit miniaturhaft-eigenwilligen Interpretationen von Popsongs wie "Nothing Compares 2 U" von Prince und "Where Is The Line?" von der isländischen Pop-Ikone Björk. Zugleich aber belichteten die beiden Stücke wie den brüchig-traurigen Song "Don’t Explain" der melancholischen Swing-Königin Billie Holiday neu: mit fahlen Tönen von bohrender Nachdrücklichkeit. Und sie spielten eine neue Interpretation des Mangelsdorff-Klassikers "Certain Beauty" ein, diesmal aber mit Sauer auf dem gewohnten Tenorsaxophon.

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ECHO Jazz 2014: Auftritt Heinz Sauer & Michael Wollny | Bildquelle: ECHO - Deutscher Musikpreis (via YouTube)

ECHO Jazz 2014: Auftritt Heinz Sauer & Michael Wollny

Töne wie "glühende Lava"

Wenn Heinz Sauer spielt, gibt es keine Harmlosigkeit. Das liegt an seinem Sound, aber auch an seinen besonderen künstlerischen Vorstellungen. Den Sound hat der langjährige Jazz-Redakteur des Hessischen Rundfunks, Ulrich Olshausen, am besten beschrieben – mit einem Passus, der von Martin Kunzlers Jazz-Lexikon bis hin zu diversen Internet-Seiten immer wieder zitiert wird, aber einfach auch unerlässlich ist. Olshausen schrieb: "Wenige Jazzmusiker vermögen ihre Tonbildung mit einer so ununterbrochenen Intensität aufzuladen wie Sauer: Die Töne werden herausgestoßen oder fließen breiig weg wie glühende Lava, sie glitzern eben noch und sind im nächsten Moment fahl, sie sind weich und schön oder werden mit Überblasfarben bis zur Doppeldeutigkeit verändert." Genau so klingt Heinz Sauer.

Seine künstlerischen Vorstellungen hat Heinz Sauer am konturenschärfsten selbst umrissen – in allerdings nicht sehr zahlreichen Interviews, darunter einem des Bayerischen Rundfunks im Jahr 2013. "Menschliche Stimmen" seien Instrumente für ihn. Musik ist für ihn nicht nur Musik. "Es soll ja mit dem Leben zu tun haben, emotional sein, und da bot es sich an, auch Schreie auf dem Saxophon zu formen. Aber nicht so wie die anderen. Es gibt ja etliche Saxophonisten, die haben das kultiviert. Aber die schreien dann nur. Ich hab dann versucht, Gegensätze zu produzieren in den Tönen. Gegensätze liebe ich ja sowieso."

Das "böse Ding" des Funktionieren-Müssens

Sauer ist ganz Individualist in seiner Musik. Er liebt es deshalb besonders, in kleinen Besetzungen zu spielen. "Je mehr Leute dazukommen, um so gefährlicher wird das. Deswegen würde ich auch nie in eine Big-Band gehen. Mit Jazz und mit dem, was ich mir so vorstelle, hat das gar nichts zu tun. Diese Leute, die müssen alle funktionieren. Und das ist ein böses Ding. Big Band ist schwer, menschlich schwer. Es gibt halt sehr viele Dinge - das hab ich erlebt - auch im Free Jazz, da steht jemand vor dir, hebt die Posaune hoch, und dann sollst du den und den Ton spielen. Und da frag ich mich in meiner Freiheits-Liebe: Warum? Ausgerechnet jetzt? Hier? Den Ton? Weil du das willst? Mach ich nicht. – Naja. Also, ich bin halt mal so." Das sagte Heinz Sauer, in sehr ruhigem und besonnenem Ton und mit leise-expressiven Wortbetonungen, in einer Sendung von BR-Klassik, in der er Studiogast war.

Bewahrer eines eigenen Kopfes

Einer, der sich nichts vorschreiben lässt, sich ganz den eigenen Kopf bewahrt. Er liebt das Abgeschiedene, wohnt seit langem in Königstein im Taunus am Waldrand, weil er Großstädte wie Frankfurt am Main zu lärmend findet. Ein hochsensibler Geist und Musiker – denn auch wenn er einer der Expressivsten des deutschen Jazz ist, zu den lautesten gehört er bei weitem nicht. Ein grandioser Töne-Former und Freigeist. Da kann man ihm eigentlich nur zurufen: Bleib weiterhin so! Noch möglichst lange. Und natürlich nur, wenn du magst. Alles Gute zum Neunzigsten!

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UWE OBERG / HEINZ SAUER / JÖRG FISCHER Wiesbaden 2018 | Bildquelle: yveslauberge (via YouTube)

UWE OBERG / HEINZ SAUER / JÖRG FISCHER Wiesbaden 2018

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